Digitalisierung im Zahlungsverkehr

Warum Innovation und Nachhaltigkeit kein Gegensatz sind

Digitalisierung im Zahlungsverkehr

Joerg SchwitallaGeschäftsführer bei giropay GmbHVor nicht einmal 20 Jahren war der Zahlungsverkehr das wohl trockenste Arbeitsgebiet im gesamten Kreditgewerbe. Wer sich daran erinnert, hat vermutlich Beschäftigte vor Augen, die den ganzen Tag über nichts anderes taten, als Überweisungsbelege manuell abzutippen.Heute hingegen ist der Zahlungsverkehr zu einem attraktiven Geschäftsfeld aufgestiegen. Entsprechend hoch ist die Wettbewerbsdynamik in diesem Segment – und ebenso mancher Betrag, der bei Unternehmensübernahmen den Besitzer wechselt: Medienberichten zufolge zahlte Anfang des Jahres eine Investorengruppe für den deutschen Kartenzahlungsdienstleister Concardis gut 700 Mill. Euro. Bislang gehörte das aus der früheren Gesellschaft für Zahlungssysteme hervorgegangene Unternehmen hiesigen Banken und Verbänden – darunter DZ Bank, Deutsche Bank, Commerzbank und die Sparkassen.Wie hochgesteckt die Markterwartungen an Fintech-Firmen im Payment-Sektor mittlerweile sind, lässt sich auch an aktuellen Unternehmensbewertungen ablesen. So will nach neuesten Medienberichten der niederländische Payment Service Provider Adyen an die Börse und strebt dabei eine Bewertung von sage und schreibe 9 Mrd. Euro an. Was beflügelt die Geschäftsfantasie rund um den einst so behäbigen, unattraktiven Zahlungsverkehr? Die Antwort lautet ganz klar: der fundamentale Wandel, den die Digitalisierung im Alltag der Verbraucher ausgelöst hat. Bezahlt wird heute eben nicht mehr allein am Point of Sale, sondern immer häufiger auch online und mobil für digitale Dienste oder Einkäufe im Internet. Dabei wird der Komfort immer wichtiger – etwa für Online-Händler. Denn wer erst langwierig seine Adressdaten oder Kreditkartennummer eingeben muss, verliert womöglich die Kauflust und springt ab. Ein paar Mausklicks weiter wartet ja schon der nächste Shop – und das Angebot ist 24 Stunden sieben Tage die Woche verfügbar. Von Online-Händlern wird ein hoher Zahlungskomfort als Bestandteil des digitalen Kauferlebnisses erwartet. Nur so können sie potenzielle Kunden lang genug auf der eigenen Plattform halten und einen erfolgreichen Kaufabschluss erzielen. Auf der anderen Seite aber präferieren Händler auch Zahlungsgarantien von einem Payment-Dienstleister, weil dadurch viele Geschäftsprozesse deutlich erleichtert werden. Neben direkten Digitalisierungsfolgen beeinflussen auch rechtliche Veränderungen den Markt für Zahlungsdienstleistungen. An erster Stelle ist hier die novellierte Payment Service Directive – kurz PSD2 – zu nennen: Diese EU-Richtlinie ermöglicht Dritt­anbietern künftig einen Zugriff auf Kontodaten und erlaubt ihnen sogar, Zahlungstransaktionen auszulösen. Erklärtes Ziel von PSD2 ist es, den Wettbewerb im Payment-Sektor kräftig anzukurbeln. Längst warten schon zahlreiche Fintech-Start-ups genauso wie fast alle digitalen Giganten von Google über Apple bis Amazon und Facebook mit innovativen Ideen auf, die den etablierten Banken Marktanteile abnehmen sollen. Außer auf den daraus generierten Umsatz haben es die digitalen Newcomer aber auch auf die Kundenberührungspunkte abgesehen, die mit jeder Zahlung einhergehen. Und zwar sowohl als Ansatzpunkt für neue Serviceideen als auch, um möglichst viele Daten über das Konsumverhalten von Kunden zu sammeln.Etliche Ideen aus der Non-Banking-Welt überleben die harte Marktrealität außerhalb ihres Entwicklungslabors allerdings nicht. Offenbar gelingt es nicht jedem Start-up, seine Innovationsidee in ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu überführen. Davon zeugt das wortlose Verschwinden so mancher Fintech-Firma, deren Markteintritt zuvor von lautstarken Ankündigungen begleitet war. All das wirft die allgemeine Frage auf, welche Nachhaltigkeitskriterien für digitale Innovationen im Finanzdienstleistungssektor gelten. Ist es tatsächlich so, dass sich der Wettbewerb vor allem am Tempo bemisst, mit dem aus Ideen fertige Geschäftsmodelle werden? Geschwindigkeit ist fraglos ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, bei dem ein Start-up aufgrund seiner gleichsam digitalen DNA prinzipiell im Vorteil ist gegenüber traditionell organisierten Firmen. Gleichwohl weist auch im digitalen Business nicht jedes Unternehmen, das auf Präsentationen gern modern und agil erscheint, auch ein höheres Innovationstempo auf. Amazon und Google sind beispielsweise Großkonzerne, bei denen vielstufige Entscheidungswege bis ins amerikanische Headquarter und zurück die Umsetzung von Innovationsideen für nationale Märkte nicht weniger verzögern, als dies bei irgendeinem hiesigen Finanzdienstleister konventioneller Prägung der Fall sein mag.In Deutschland sprechen Banken und Sparkassen erst seit gut zwei Jahren konkret über “Digitalisierung”. Dennoch haben sie in puncto Nachhaltigkeit der digitalen Non-Banking-Konkurrenz einen entscheidenden Vorteil voraus, nämlich ihre gewachsenen Kundenbeziehungen – auch digital im Online-Banking und mobil über die Apps: Aus der langjährigen Betreuung resultiert eine umfassende Kundenkenntnis, die für einen ganzheitlichen Innovationsansatz von unschätzbarer Bedeutung ist. Anders als viele Start-ups, die so gern von ihren digitalen Genen reden, haben etablierte Kreditinstitute den Bankkunden stets als Ganzes im Visier. Bei der Entwicklung digitaler Angebote können sie somit die bekannten Kundenbedürfnisse berücksichtigen, wie beispielsweise die Tatsache, dass Kunden auf absehbare Zeit keineswegs sofort und ausschließlich per Smartphone-App bezahlen wollen, sondern auch weiterhin mit Bargeld oder Karte.Wirtschaftlich tragfähig und damit auch nachhaltig werden digitale Innovationen vor allem dann, wenn sie sich sinnvoll in ein übergeordnetes Omni-Channel-Angebot einfügen. Es genügt also nicht, sich nur punktuell auf einen isolierten Bedarfsaspekt zu konzentrieren und dafür im Rekordtempo eine neue App zu entwickeln. Stattdessen sollte bei der Entwicklung digitaler Angebote bedacht werden, dass kein Kunde in lauter Einzelbedürfnisse zerfällt, sondern in der digitalen und der analogen Welt stets derselbe Mensch bleibt.Ausruhen dürfen sich Banken und Sparkassen indessen nicht auf ihrer exklusiven Kundenkenntnis. Denn in der Tat beschleunigt die technologische Entwicklung die Marktgeschwindigkeit und verändert Kundenerwartungen rasant. Auch in der Finanzbranche gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Deshalb schauen immer mehr Kreditinstitute und ihre IT-Partner auf die Start-up-Szene und fragen sich, wie sie das eigene Innovationstempo auf Touren bringen können. Manche streben Kooperationen oder Akquisitionen an, um ausgewählte Fintech-Angebote in die eigene Bank-Wertschöpfungskette zu integrieren. Andere wählen typische Fintech-Strukturen als methodisch-organisatorisches Vorbild – entweder durch Ausgründung eigener Start-ups oder durch ein internes Innovation Lab, wo experimentelle Arbeitsformen wie agile Softwareentwicklung oder Design Thinking erprobt werden können.Agilität in der Softwareentwicklung ist nicht das Einzige, was die Bankenbranche von ihrer digitalen Konkurrenz erlernen kann: Vereinfachung der Nutzung ist ein weiterer maßgeblicher Erfolgsfaktor, dem zum Beispiel auch die ehemalige Ebay-Tochter Paypal ihren Aufstieg zu einem internationalen Zahlungsdienstleister verdankt. Inzwischen können auch die Kunden vieler Banken und Sparkassen einen Großteil ihrer Online-Zahlungen mit giropay deutlich einfacher erledigen als zuvor. Bei Kleinstbeträgen unter 30 Euro entfällt bei Zahlungen die TAN-Eingabe, was den Online-Einkauf der Kunden leichter macht. Nicht nur die Nutzung, sondern auch viele Hintergrundprozesse lassen sich durch digitale Zahlungsdienste einfacher und damit effizienter gestalten. Dazu jedoch müssen die Bedürfnisse verschiedener Kundengruppen auf jeweils unterschiedliche Art und Weise abgebildet werden: Während der eingangs erwähnte Online-Händler zum Beispiel in vielen Bereichen auf eine Zahlungsgarantie angewiesen ist, spielt dieser Aspekt für kommunale Serviceportale eine untergeordnete Rolle. Ein digitales Rathaus stellt viel mehr darauf ab, seine Verwaltungsdienstleistungen online anzubieten und durch geeignete Bezahlverfahren Effizienzgewinne zu erzielen. Bürger haben dann die Möglichkeit, im Bedarfsfall das Knöllchen, die Parkvignette oder sonstige Gebühren bequem online zu bezahlen. Weit mehr als tausend deutsche Kommunen bieten ihren Bürgern bereits diesen Komfort über giropay an. Sie verbessern damit nicht nur die Akzeptanz ihrer E-Government-Angebote, sondern sparen auch Arbeitszeit. Denn so entfallen all jene Nacharbeiten, die bislang zum Beispiel beim fehlerhaften Abtippen des langen, alphanumerischen Aktenzeichens des Bußgeldbescheides ins Online-Banking anfielen.Fazit: Nachhaltigkeit versprechen digitale Innovationen nur dann, wenn sie den Kundenbedarf aus einer ganzheitlichen Perspektive heraus adressieren. Unter dieser Prämisse lassen sich auch individuelle Bedürfnisse unterschiedlicher Kundengruppen differenziert und mit einer gesunden Kosten-Nutzen-Relation erfüllen, wie das Beispiel E-Government versus Online-Händler zeigt. In Sachen Agilität und Entwicklungstempo kann die etablierte Finanzwirtschaft einiges von der Start-up-Szene lernen. Umgekehrt können aber auch Fintech-Firmen von Banken lernen – nicht zuletzt die einfache Tatsache, dass ein nachhaltiges Geschäftsmodell immer auch wirtschaftlich tragfähig sein muss.