Digitalisierung mischt die Karten neu

Harter Wettbewerb im Firmenkundensegment intensiviert sich

Digitalisierung mischt die Karten neu

Der strategische Fokus von Banken in Deutschland hat sich in der Dekade seit der Finanzkrise in drei Schritten verlagert: Nach dem Beinahe-Zusammenbruch des Finanzsystems galt es zunächst, die Institute zu stabilisieren und Risiken abzubauen. In der nächsten Phase führten Banken zahlreiche Kostensenkungsprogramme ein, gaben defizitäre Geschäftsfelder auf und bauten Personal ab. Mittlerweile haben viele Kreditinstitute zurück in den Angriffsmodus geschaltet, sie konzentrieren sich auf die Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle und die Steigerung der Erträge: “Gas geben” hallt wieder über die Bankenflure. Möglichst umfassend bedienenDas klassische Firmenkundengeschäft steht dabei mit einem für 2018 geschätzten Ertragstopf von gut 20 Mrd. Euro im Zentrum der Wachstumsstrategie zahlreicher Institute. Für viele Banken ist der naheliegende Wachstumshebel allerdings nicht allein die Neukundengewinnung, sondern vor allem die Steigerung der Ertragsproduktivität bei Bestandskunden. Das klassische Kreditgeschäft bildet mit 66 % des Ertragspotenzials das Ankerprodukt – weist jedoch in den vergangenen Jahren rückläufige Margen auf. Banken setzen daher darauf, ihre Kunden möglichst umfassend zu bedienen. Startpunkt einer profitablen Wachstumsstrategie ist deshalb die Analyse des gesamten Share of Wallet pro Kunde.Neben dem Kreditgeschäft stellt das Cash Management den nächsten, wesentlichen Ansatzpunkt zur Vertiefung der Kundenbeziehung dar. Die Markterfahrung zeigt, dass Kunden, die einer Bank ihr Cash Management anvertraut haben, auch einen wesentlichen Anteil ihrer weiteren Bankgeschäfte über diesen Partner tätigen. Dazu gehören beispielsweise Trade-Finance-Produkte. Banken können sich durch dieses kombinierte Flow-Geschäft rund 24 % des weiteren Marktpotenzials erschließen.In der Position als Kernbank gelingt es ihnen zudem leichter, sich im Rennen um die margenstarken Markets- und Corporate-Finance-Produkte die Pole-Position zu erarbeiten. Die schrittweise Nutzung dieser Ertragspotenziale fordert von Banken einen differenzierten Kundenfokus, zielgenau abgestimmt auf Sektoren und Regionen, damit sie Marktanteile im fragmentierten und hart umkämpften deutschen Firmenkundenmarkt gewinnen können.Nicht nur hiesige Player forcierten in den vergangenen Jahren ihre Firmenkundenaktivitäten. Der deutsche Mittelstand rückte zunehmend in den Fokus von Auslandsbanken. Der Brexit verstärkt diesen Trend weiter: 2018 war die Anzahl neuer Banklizenzen rekordverdächtig. Banken, die sich für Deutschland als neuen Sitz entscheiden, prüfen den gezielten Angang hiesiger Firmenkunden – quasi als Beiprodukt ihres Standortaufbaus. Der zunehmende Wettbewerb um deutsche Unternehmen und eine mögliche Verschiebung der Marktanteile zwingt Banken, ihr Wertversprechen im Firmenkundengeschäft zu hinterfragen und zu erneuern.Hinzu kommt das Wettrennen bei der digitalen Transformation. Nachdem diese im Privatkundensegment das Tagesgeschäft bestimmt, erreicht die Digitalisierung nun auch im Firmenkundengeschäft die Agenda der Chefstrategen. Die Auswirkungen variieren je nach Kundensegment. Im Geschäft mit Firmen- und Großkunden steht die persönliche Beziehung im Mittelpunkt, laut einer Studie von Strategy &, der Strategieberatung von PwC, ist sie sogar das wichtigste Auswahlkriterium für (bevorzugte) Bankpartner.Das Element der persönlichen Beziehung kann mit digitalen Komponenten zukunftsfest gemacht werden. Digitale Instrumente und Prozesse sollten Banker von administrativen Aufgaben befreien und die Zeit für den Kunden maximieren. Eine überzeugende Kundenerfahrung, die auf digitalen Fähigkeiten und der persönlichen Betreuung basiert, wird zum wesentlichen Hebel, um identifizierte Ertragspotenziale in der bestehenden Kundenbasis zu nutzen und Neukunden zu gewinnen. Diese Differenzierung ist notwendig, da die Bereitschaft von Firmenkunden, den Wechsel eines bevorzugten Bankpartners oder gar der Hausbank zu erwägen, gering ist.Folglich geht der Trend im klassischen Firmenkundengeschäft nicht zur digitalen Vollbank. In der Tendenz beschränken sich digitale Bankangebote bisher auf einzelne Produktgruppen – insbesondere getrieben durch selektive Attacken von Fintechs. Auch diese Entwicklung drückt sich deutlich differenzierter aus als im Privatkundengeschäft. Im Firmenkundengeschäft reagieren zahlreiche Fintech-Angebote bereits auf jene Kundennachfrage, die von Banken ganz bewusst ungehört bleibt.Vor diesem Hintergrund positionieren sich erfolgreiche Banken vermehrt mit digitalen Value-Added-Services abseits des Kernbankgeschäfts. Ein modulares Ökosystem baut bestehende Kundenbeziehungen aus und hilft dabei, die Kundenschnittstelle langfristig zu verteidigen und die Marktposition abzusichern. Mit fortschreitender Digitalisierung ist davon auszugehen, dass diese Angebote zu neuen Marktstandards werden und zum Gesamtpaket des zukünftigen Kernangebots hinzuwachsen.Die Digitalisierung mischt die Karten im Firmenkundengeschäft neu und intensiviert den bereits harten Wettbewerb. Banken müssen die individuellen Kundenbedürfnisse in den Fokus stellen und ihr Geschäft danach ausrichten. In der Konsequenz müssen sie die Segmentgrenzen “neu denken” und den tatsächlichen Kundenbedürfnissen anpassen, um sinnvolle und kundengerechte digitale Angebote zu schaffen.Kundensegmente allein anhand von Umsatzgrößen zu definieren, könnte bald der Vergangenheit angehören. Big-Data-Analysen liefern wertvolle Einblicke, um komplexere Kriterien zu erarbeiten. Die Praxiserfahrung zeigt, dass hierbei die neue Technologie weniger die Herausforderung ist, sondern vielmehr die Verfügbarkeit und strategische Nutzung der Daten im Rahmen des zukünftigen Marktangangs.—-Robert Bischof, Partner bei PwC Strategy& Deutschland und Felix Becht, Manager bei PwC Strategy& Deutschland