GASTBEITRAG

Digitalisierung verschiebt ein Fünftel des Bankenmarktes

Börsen-Zeitung, 30.4.2019 Seit mehr als 15 Jahren ist das Privatkundengeschäft in Deutschland im Umbruch: Wachstum von Direkt- und Auslandsbanken, Finanz-, Vertrauens- und Imagekrise, Filialnetzrestrukturierung, digitale Migration der...

Digitalisierung verschiebt ein Fünftel des Bankenmarktes

Seit mehr als 15 Jahren ist das Privatkundengeschäft in Deutschland im Umbruch: Wachstum von Direkt- und Auslandsbanken, Finanz-, Vertrauens- und Imagekrise, Filialnetzrestrukturierung, digitale Migration der Servicedienstleistungen ins Internet – und kein Ende in Sicht. Nach wie vor gilt Deutschland als “overbanked” und “underpriced” in Europa.Auf Basis neuester marktforschungsbasierter Analysen der Customer-Journey-Präferenzen und Kanalaffinitäten zeichnet sich eine sprunghaft ansteigende Relevanz einer bisher oft belächelten Wettbewerbsdynamik ab: der Onlinekauf aller, auch als komplex geltender Bankprodukte. Die erfolgreichen Fintechs erteilen Lektionen in der Customer Experience, sind allerdings bei konsequentem Herangehen leicht imitierbar und in der Skalierung durchaus einholbar. Wer als Sieger hervorgeht, ist also offen. Fest steht aber jetzt schon: Wer seinen Verkauf digitalisiert, wird vom Verhaltenstrend der Kunden profitieren. Wer es nicht tut, den bestraft das Leben. Vorbild DirektbankWir schätzen, dass rund 20 % des Marktes sich in den kommenden Jahren zu den Gewinnern bewegen werden. Wieder sind die Voraussetzungen für einen perfekten Sturm gegeben, wie er zuletzt beim Entstehen der Direktbanken vor knapp 20 Jahren erlebbar war: niedrige Markentreue in einer Industrie mit ramponiertem Qualitätsimage und das rasche Etablieren neuer, diesmal digitaler Absatzkanäle mit einem neuen Versprechen.Die Fakten sprechen für sich. Loyalität und Vertrauen in Banken sind auf einem Tiefpunkt: Laut dem Edelman Trust Barometer von 2018 vertraut nur etwas mehr als ein Drittel der Bevölkerung (38 %) den Finanzdienstleistern. Auf Grundlage der jüngsten strategischen Markenstudie von Deloitte beträgt der Abstand zu Loyalitätsführern, also der Lieblingsmarke, über 40 %.Gleichzeitig steigen die Präferenzen der Kunden für den Online-kauf, gerade auch bei Bankprodukten. Bei Lösungen des Daily Banking wie Kontoführung und Karte liegen die Werte schon über 90 %. Neu kommt hinzu, dass auch bisher vom Onlinekauf weniger betroffene, komplexere Finanzlösungen nun zu 70 bis 80 % Onlinekaufpräferenzen aufweisen. Beispiele hierfür sind Baufinanzierung, Immobilien als Kapitalanlage oder Investments bei großen Summen. Marktanteile erobert Agile Wettbewerber sind längst dabei, diese Kundenpräferenzen in eigene Marktanteile zu verwandeln, ob N26, die über 2 Millionen Kunden meldet, Weltsparen, die über 10 Mrd. Euro Sparvolumen verzeichnet, oder Scalable Capital, die bereits die Milliardenschwelle geknackt hat – es wird immer mehr dieser Fälle geben.Dabei ist weniger die Organisations- oder Fundingform des Fintechs entscheidend, sondern vielmehr Konsequenz und der Fokus auf die durchschlagende Customer Journey. Wer vor seinem inneren Auge noch an chaotische Großraumbüros voller Klebezettel an den Wänden denkt, sei vor dieser Nostalgie gewarnt. Knallhartes UX/CJ-Varianten-Design und die entsprechende Verprobung mit einem Arsenal an mittlerweile etablierten Neuro-Science-Consumer-Methodiken stehen hinter den Erfolgen.Es ist “Face to the Customer” – vorne am Kunden – eine neue IT erforderlich. Dort helfen Cloud-basierte Ansätze, Echtzeit-AI (statt CRM auf alten Daten) und Omnichannel-Plattformen, in einem aggressiven Kosten- und Time-to-Market-Wettbewerb zu überleben. Nicht jedem gelingt es jedoch angesichts magerer Gewinne, dieser existenziellen Investitionsnotwendigkeit zu entsprechen.Die Folge: Die Marktquotenveränderungen in den nächsten Jahren werden signifikant sein. Schon sichtbare Neugeschäftskontingente unterscheiden sich gravierend vom gewohnten Status quo. Etablierte Player, die sich passiv verhalten, Investitionen zurückstellen und digitale Geschäftsmodelle vernachlässigen, werden bis zu 20 % Marktanteile an Fintechs und aktiv ausgerichtete, innovationsgetriebene Banken abgeben. Gewinner der DisruptionNiemals? Hier das Déjà-vu: Im Jahr 2000 hatten Direktbanken laut Bundesbank einen Marktanteil von 0,7 % – heute haben sie mehr als 15 Millionen Kunden. Etablierte Player, denen der Umstieg auf agile Arbeitsweisen und digitale Geschäftsmodelle gelingt, können weit mehr tun als Schadensbegrenzung. Sie können als zweite Gewinner neben den Fintechs aus der Disruption hervorgehen.—-Hans Kraus, Partner Deloitte