Digitalwährungen brauchen keine Blockchain

China verzichtet für Payment komplett auf Distributed Ledger - Nutzung im Wertpapier-Bereich als "Wholesale Coin" hat eine Chance

Digitalwährungen brauchen keine Blockchain

Alle Zentralbanken erforschen Konzepte zur Nutzung eigener Digitalwährungen. In China läuft ein finaler Test dafür im Zahlungsverkehr – ohne Blockchain. Mehr als eine Nebenrolle ist für den Distributed Ledger derzeit nicht drin – auch wenn der Nutzen im Interbanken-Wertpapiergeschäft belegt ist.bg Frankfurt – Es sind schlechte Zeiten für Blockchain-Enthusiasten. Zum einen nehmen Gründungen in ihrer Umsetzung einen äußerst zähen Verlauf oder werden wie bei Telegrams TON-Projekt auf regulatorischen Druck hin eingestellt. Zudem braucht die Finanzbranche Zeit für eine technologische Due Diligence, um Distributed-Ledger-Plattformen (DLT) zum einen kompatibel für die Schnittstellen zur Legacy-Infrastruktur zu machen. Zum anderen sind weitere Trade-offs zu managen wie Cybersecurity und Skalierbarkeit sowie Governance-Regeln für den Betrieb einer DLT-Plattform zu formulieren. Die Branche lässt sich aber nicht entmutigen: Nachdem frühere Projekte versandeten, hat der US-Wertpapier-Riese DTCC nun mit “Whitney” und “ION” zwei Projekte aufgesetzt, welche die Abwicklung von Security Token ermöglichen sollen.Aber auch hier gibt es zunächst nicht mehr als einen Whitney-Prototypen, der einen Testlauf auf der Ethereum-Blockchain absolviert hat und nun werden APIs für Partner wie Hyperledger und R3 Corda bereitgestellt. “ION” ist breiter angelegt und soll eruieren, welche Vorteile Blockchain-Strukturen im Settlement von digitalisierten oder tokenisierten Assets bringen können.Das ist der springende Punkt: Nur wenn Wertpapiere in ihrer heutigen elektronischen oder später tokenisierten Form direkt in digitalem Cash (E-Money) verrechnet werden können, ergeben sich Vorteile im langen Wertpapierzyklus von Settlement, Verwahrung und anschließender Bewirtschaftung. Dort setzt auch der programmierbare Euro oder Dollar an: Wird eine Anleihe tokenisiert und alle zur Emission gehörenden Daten auf einer Blockchain gespeichert, dann können die als “Smart Contracts” bezeichneten Computerprogramme die automatisierte Bewirtschaftung des Bonds mit zum Beispiel der Auszahlung von Zinserträgen übernehmen. Das Underlying tokenisiertZudem ergeben sich auf einer DLT-Plattform Vorteile für die Verfügbarkeit von Assets im sogenannten Collteral Management. Denn es sinken die Liquiditätskosten für Marktteilnehmer in einem Multi-Billionen-Markt. Darauf zielen Deutsche Börse und Bundesbank mit ihrem “Blockbaster”-Projekt, das auf bestehender Infrastruktur aufsetzt und mit der hauseigenen DLT-Plattform HQLA eine Verbindung zum Wertpapierverwahrer schafft. Dabei wird das zugrunde liegende Wertpapier (Bond) mittels eines Tokens als Abbild mobil gemacht, ohne dass das “Underlying” bewegt werden muss.Das wäre natürlich alles sehr viel einfacher für den breiten Markt, wenn zum einen für Bonds die Urkundenerfordernis beseitigt würde – ein Gesetz befindet sich in Arbeit – und wenn zum anderen für das Cash-Settlement ein digitaler Euro in dem Sinne zur Verfügung stände, dass er ohne Umwege für ein direktes Settlement zwischen den Transaktionsparteien zur Verfügung stände. So hat die DZ Bank im Derivatebereich eine Automatisierung via Smart Contracts geschaffen, der zur Ausschöpfung der Effizienzvorteile nur noch der Euro als digitales Zentralbankgeld (CBDC) fehlt.Die jüngsten Äußerungen von EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch stimmen jedoch eher skeptisch, dass die Notenbank des Euroraums hier schnell handelt. Andererseits drängen Notenbankgouverneure wie François Villeroy de Galhau auf die Einführung einer CBDC sowie die Integration von Stablecoins, wie sie Libra in ihrer erneuerten Form anbieten will. Was de Galhau aber zunächst vorantreibt, das ist eine auf den Interbankenmarkt zielende “Wholesale CBDC”, die von der Banque de France bereits gemeinsam mit Société Générale getestet wurde: Dabei wurden Wertpapiere über eine eigend dafür entwickelte DLT-Plattform tokenisiert und dann in den Post-Trade-Bereich gegeben.Doch während bei diesen Interbank-Transaktionen DLT-Infrastruktur integriert ist, läuft die Entwicklung von CBDCs für den Zahlungsverkehr derzeit so, dass überhaupt keine Blockchain benötigt wird. Das ist schon bei der im Frühjahr in die Pilotphase gegangenen Digitalwährung DC/EP der chinesischen Notenbank zu beobachten. Es können Beträge in die Wallet auf dem Smartphone geladen werden und diese dann direkt zum elektronischen Einkauf eingesetzt werden. Das findet auf bestehender Infrastruktur über die Geschäftsbanken statt, muss eine solche Retail CBDC doch allein wegen ihrer sofortigen massenweisen Verwendung vom Start weg hochgradig skalierbar sein. Dafür erst eine hochperformante Blockchain zu bauen, hieße, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Und offenbar sind die Backend-Systeme der chinesischen Notenbank leistungsfähig genug, dass sie in Verbindung mit Payment-Firmen wie Alipay problemlos erhöhtes digitales Volumen abwickeln können – in Europa müsste das über die Sepa-Infrastruktur geschehen, die derzeit für Instant Payment aufgerüstet wird. Libra fährt MinimalprogrammDabei wirkt CBDC im Zahlungsverkehr wie ein Bargeld-Ersatz und beschleunigt damit das Zurückdrängen des physischen Bezahlens – Bargeld ist Zentralbankgeld und wird durch seinen digitalen und direkt elektronisch einsetzbaren Zwilling ersetzt. In diese Kerbe schlägt auch das von Facebook initiierte Libra-Projekt, das nun in seiner Primärfunktion als “Single Currency”-Payment-Token in den Markt eingeführt werden soll. Es gibt also nur den Dollar-Token oder den Euro-Token, der durch eingezahlte und auditierte Reserven gedeckt ist und damit gegenüber dem ursprünglichen Konzept auf den Währungskorb mit Fremdwährungs-Komponente verzichtet. Und wie viel Blockchain noch in der Libra-Infrastruktur stecken wird, das steht in den Sternen – auf die Entwicklung eines dezentralen Systems analog zum Bitcoin-Design verzichtet Libra jedenfalls. Da mag auch regulatorischer Druck eine Rolle gespielt haben. Aber für die technologiebegeisterte Gemeinde fehlt nun der Anreiz, selbst einen Server in den Keller zu stellen und damit einen eigenen Netzwerkknoten zu betreiben, was ja zum einen Vergütung für die Rechnerleistung bringen und zum anderen einen Anreiz für den Einsatz des Libra Coin darstellen würde.Ob sich letztendlich wirklich so viele für den Libra Coin interessieren werden, hängt von den Alternativen ab und ob diese barrierefrei zugänglich sind auf den dominanten digitalen Plattformen. Wenn wir in Europa in drei Jahren den digitalen Euro analog zu DC/EP haben und dieser bei den Payment-Dienstleistern bzw. den Smartphone-Herstellern im Frontend integriert ist, wer braucht da noch Libra?Dass eine solche Retail CBDC im Zahlungsverkehr friktionsfrei für die Banken integriert werden kann, das hatte schon im Januar ein Papier von EZB-Direktor Ulrich Bindseil aufgezeigt: Privatkunden erhalten zwar ein Konto bei der Zentralbank; dieses wird aber mit einer stufenweisen Verzinsung (Tiering) so incentiviert, dass überschüssige Depositen auf das Girokonto bei einer Bank geleitet werden – womit die das Giralgeld in den Kreislauf bringenden Banken ihre Rolle behalten können. Gute BargeldtraditionWie weitsichtig die Generaldirektion für Marktinfrastruktur & Zahlungsverkehr der EZB dabei vorgeht, das zeigt ein ganz spezielles Feature: Entwickelt wurde am Reißbrett zusammen mit R3 und Accenture eine DLT-Plattform, die es den Bürgern bei Verwendung von Zahlungen mit geringem Betrag erlaubt, anonym zu bleiben. Das knüpft an der Tradition des Bargelds als einfaches Zahlungsmittel an, das vom Bürger ohne ständige Überwachung einzelner privater Transaktionen eingesetzt werden kann. Das wäre natürlich Balsam für die deutsche Seele.