LEITARTIKEL

Dirty Talk

Die Verbalerotiker haben Hochkonjunktur. Spätestens seitdem in Spanien Bankia und Caixabank ihre Vereinigung angekündigt haben, sind Bankenfusionen in der Branche Small-Talk-Thema Nummer 1: Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing wird alle naselang auf...

Dirty Talk

Die Verbalerotiker haben Hochkonjunktur. Spätestens seitdem in Spanien Bankia und Caixabank ihre Vereinigung angekündigt haben, sind Bankenfusionen in der Branche Small-Talk-Thema Nummer 1: Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing wird alle naselang auf den Zeitpunkt möglicher Szenarien angesprochen, und UBS-Präsident Axel Weber soll angeblich schon einen Wunschzettel mit Übernahmekandidaten erstellt haben. Seit Jahren spielen Analysten, Medien und auch Vorstände alle denkbaren Kombinationen rund um die üblichen Verdächtigen Commerzbank, Deutsche Bank, UBS, ING, BNP Paribas und Unicredit durch. Passiert ist: nichts.Mit großer Langmut bescheinigen die Vorstandschefs sämtlicher Häuser ihrer Branche, wie dringend nötig diese doch eine Konsolidierung habe, ja, auch und gerade grenzüberschreitend. Allen Beteiligten ist klar, dass Europas Bankensektor ohne schlagkräftigere Gebilde es selbst auf dem Heimatmarkt schwer haben wird, auf lange Sicht mit der Konkurrenz aus den USA mitzuhalten. Aber: Auf das Abenteuer einer Fusion soll sich bitteschön ein Konkurrent einlassen, damit dieser sich jahrelang mit der Integration des Zukaufs lähmen möge, während die Reduktion von Überkapazitäten allen Marktteilnehmern zugutekommt. Bis auf Weiteres gilt daher: Man erregt sich am Dirty Talk, wäre aber lieber Voyeur statt Akteur.Gründe, die scheinbar natürlichste Sache in der Bankenwelt aufzuschieben, finden sich immer: Erst heißt es, man müsse zunächst die Folgen der künftigen Kapitalregeln des Baseler Ausschusses abwarten; dann muss der Verweis auf die nach wie vor ausstehende Banken-, wahlweise Kapitalmarktunion herhalten, auch wenn Euroland nun schon seit sechs Jahren eine einheitliche Bankenaufsicht hat und das Massengeschäft im Währungsraum zwar in der Tat zersplittert ist, weite Teile des Kapitalmarktgeschäfts hingegen längst global funktionieren.Damit es zum Äußersten kommt, muss dem Management das Wasser schon bis zum Hals stehen wie im Fall von Bankia und Caixabank, die ihr Geld fast ausschließlich im Massengeschäft verdienen und daher unter dem Zinstief leiden wie kaum jemand sonst. Den anderen europäischen Häusern geht es derweil nach wie vor zu gut, also nicht schlecht genug. Wie lange noch? Auf die Covid-19-Pandemie zurückgehende Abschreibungen und Rückstellungen haben dafür gesorgt, dass die aufs Jahr hochgerechnete Eigenkapitalrendite der Banken Eurolands im zweiten Quartal auf 0,01 % zusammengeschnurrt ist. Ein Jahr davor waren es noch 6 %.Weitere Trends haben das Zeug, Banken in Versuchung zu bringen, selbst wenn damit höhere Kapitalzuschläge wegen globaler Systemrelevanz drohen sollten. So hat die europäische Bankenaufsicht vor wenigen Monaten ihre Bereitschaft erklärt, bilanziellen Badwill aus der Diskrepanz zwischen Buch- und Marktwert eines Zukaufs als Kernkapital anzuerkennen: Übernahmewilligen Häusern eröffnet dies ein Eldorado an Optionen auf milliardenschwere Windfall Profits, die sie mit harter Arbeit im operativen Geschäft so rasch nicht erreichen dürften. Diese Papiergewinne fallen kurioserweise umso höher aus, je weniger der Markt einem Zukauf noch zutraut, und sie können gut so hoch sein, dass sie einen großen Teil der Kosten einer Fusion abdecken. Wachsende Möglichkeiten, Prozesse vom einen bis zum anderen Ende zu digitalisieren, erlauben zudem dem Käufer eines technisch hinterherhinkenden Wettbewerbers, sofern er das nötige Know-how mitbringt, über die üblichen Kostensynergien hinaus weitere Einsparungen im operativen Aufwand. Und: Je stärker Banken Daten und Aktivitäten in die Cloud auslagern, umso eher ist wegen der damit einhergehenden Harmonisierung eine Zusammenführung der IT-Systeme von Banken möglich, deren Komplexität schon manche Verschmelzung verhindert hat.All dies wird das Fusionskarussell nicht anwerfen. Die Anreize aber haben sich verändert. So dürfte in Zeiten der Pandemie manche Großbank auf der einen Seite gerade selbst feststellen, dass sie zu viele Filialen hat – und daher nicht noch jene etwa der Commerzbank braucht. Ein Blick auf deren Kurs-Buch-Verhältnis von noch 0,21 allerdings könnte zugleich dazu animieren, das Szenario einer Übernahme der guten Ordnung halber nochmals durchzurechnen. Anhängern des Dirty Talk werden die Themen so schnell nicht ausgehen.——Von Bernd NeubacherSeit Jahren spielt der Markt Fusionen europäischer Banken durch. Nun soll die Kombination von Bankia und Caixa die große Konsolidierung einläuten.——