Dissonanzen im Schuldenturm

Entlang dem rasch wachsenden Markt für Hochrisikokredite geht ein tiefer Graben durch die Finanzbranche

Dissonanzen im Schuldenturm

Von Daniel Zulauf, ZürichWer auf den Finanzmärkten Geld verdienen will, muss dafür entsprechende Risiken eingehen. Das Grundprinzip des Investierens wird in diesen Zeiten stark strapaziert. Denn die expansive Geldpolitik der Notenbanken sorgt dafür, dass sich auch relativ wacklige Schuldner zu vergleichsweise tiefen Zinsen finanzieren können. Das Phänomen treibt Behörden und Kreditanalysten schon seit geraumer Zeit um. Seit Anfang Oktober, als die Kursschwankungen an den Börsen heftiger wurden, hat es weiter an Virulenz gewonnen.Standard & Poor’s (S & P), eine der einflussreichsten Kreditbewertungsagenturen, beschreibt in einem Papier “die sechs Schlüsselrisiken”, die Finanzunternehmen und mit ihnen auch die international tätigen Banken im boomenden Geschäft mit gehebelten Unternehmensfinanzierungen eingehen. Gemeint sind vor allem Kredite für Firmenübernahmen durch sogenannte Private-Equity-Firmen. Die mit Private Equity finanzierten Unternehmen weisen typischerweise eine hohe Verschuldung auf, die sie über die im laufenden Geschäft zu erarbeitenden Geldmittel (Cash-flow) bedienen beziehungsweise abtragen müssen.Die Schulden belasten nicht nur die Firmen selbst. Sie stellen auch ein Risiko für ihre Gläubiger dar und bergen potenzielle Gefahren für die Banken, welche die Finanzierungen organisieren.Bleiben die Schulden am Ende an diesen Gruppen hängen? Vor Jahresfrist hatten die S&P-Analysten just diese Frage in den Raum gestellt – im Wissen um die Brisanz der beispiellosen Expansion des zugrunde liegenden Kreditmarktes. Ein Jahr später stellen die Analysten nüchtern fest: Der Markt ist noch größer und aufgeblähter geworden. Das Volumen für sogenannte Leveraged Loans erreichte Ende September in den USA 1,1 Bill. Dollar (der US-Markt repräsentiert rund 85 % des Weltmarktes). Das sind 140 Mrd. Dollar mehr als Ende 2017 und fast doppelt so viel wie vor zehn Jahren – unmittelbar nach Beginn der Finanzkrise. Dabei hat der Anteil der Kredite mit schlechter Schuldnerbonität deutlich zugenommen. Über 80 % der Neuemissionen verfügen bloß über ein “B”-Rating, was im Finanzjargon als Ramsch bezeichnet wird. Zugunsten der SchuldnerSorgen bereitet den Analysten auch der Umstand, dass der Kreditboom Hand in Hand mit einer Lockerung der Finanzierungsbedingungen geht. Die sogenannten Covenants, die Klauseln in den Kreditverträgen, welche die Kreditbedingungen zum Schutz der Gläubiger regeln, wurden in den vergangenen Jahren zunehmend zugunsten der Schuldner angepasst. 85 % der Emissionen im laufenden Jahr sind gemäß S & P mit einer sogenannten “Covenant lite”-Klausel versehen. Unter dieser kann der Gläubiger nur einmal jährlich intervenieren, wenn der Schuldner die im Kreditvertrag vereinbarten Sicherheitslimite (z. B. Cash-flow im Verhältnis zur Verschuldung) verletzt.Claudio Borio, Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, stellte im September rückblickend auf die erste Jahreshälfte fest: “Das Absatzvolumen dieser Kredite war groß, weil die Banken viele kauffreudige Anleger dafür fanden. Ein Teil wurde auch über sogenannte Collateralized Loan Obligations (CLO) abgesetzt. Dies sind enge Verwandte der berüchtigten hypothekenunterlegten Collateralized Debt Obligations, die während der großen Finanzkrise Schlagzeilen machten.” Die CLO absorbieren gemäß S & P rund 60 % aller syndizierten Hochrisikokredite in den USA. 20 % werden von spezialisierten Leveraged-Loan-Fonds übernommen.Die BIZ ist die Stimme der Notenbanken, und so gesehen gehört das Warnen zu ihrem Geschäft. Doch niemand wird Borio widersprechen können wenn er die Risiken der hohen Verschuldung anspricht. “Gemessen am BIP, ist die Gesamtverschuldung des privaten und des öffentlichen Sektors weltweit bedeutend höher als vor der Krise. Ironischerweise war Überschuldung ein zentraler Faktor der Krise, und jetzt ist die Verschuldung noch höher.”S & P sieht die Wall-Street-Banken, unter ihnen auch verschiedene europäische Adressen wie Credit Suisse, Barclays und Deutsche Bank, besonderen Risiken ausgesetzt – vor allem, wenn sich die Konjunktur abschwächt und die Schuldner größere Mühe bekunden, ihre Kredite zu bedienen. Zwar halten die Banken im Unterschied zur Vorkrisenzeit nur noch geringe CLO- und CDO-Bestände in den eigenen Bilanzen, und wenn, dann dürften sie sich gemäß S & P auf die qualitativ besten Tranchen fokussieren. Doch die Ratingagentur hält das Risiko der Banken vor dem Hintergrund ihrer außerbilanziellen Aktivitäten für bedeutend genug, dass es in Einzelfällen zu Ratinganpassungen führen könnte. Doch von solchen Risiken will die Branche vorerst wenig wissen. Für den Platzhirsch J.P. Morgan haben die Anleger, die in den vergangenen Wochen viel Geld aus Leveraged-Loan-Fonds abgezogen haben, einfach “etwas übertrieben”. Von der Credit Suisse heißt es, man steuere das Geschäft im Rahmen des Risikomanagements und innerhalb klar definierter Regeln. Investoren-Zuversicht sinktDie Banken machen geltend, dass die Positionen und Verschuldungsquoten im Leveraged-Loan-Markt im Vergleich zur Vorkrisenzeit sehr viel komfortabler sind. Was sie allerdings gerne etwas unterschlagen, ist der Umstand, dass das Zinsniveau im Vergleich zu damals sehr viel tiefer ist, was die Risiken naturgemäß dämpft. Gewachsen ist die Zuversicht der Investoren freilich nicht. Seit Ende September, als die Kursausschläge an den Börsen größer wurden, haben die Aktien von exponierten Häusern wie Credit Suisse rund 20 % ihres Wertes verloren.