Diversifizierte Finanzierung sorgt für Unabhängigkeit

Mittelstand sollte vorhandene Palette der Alternativen mit verschiedenen Partnern nutzen - Folgepflichten beim Schritt an den Kapitalmarkt bedenken

Diversifizierte Finanzierung sorgt für Unabhängigkeit

An “Macht” und “Freiheit” denken die wenigsten mittelständischen Unternehmer bei der Analyse und Planung der Finanzierungsstrukturen ihres Unternehmens. Dennoch sind es genau diese beiden in der politischen Philosophie verankerten Konzepte, die einem Firmenlenker verdeutlichen können, wie sich die Finanzierungsstruktur des Unternehmens optimal in seinem Interesse gestalten lässt. Denn das Hauptinteresse eines Firmenchefs ist darauf gerichtet, die Eigenständigkeit der Firma zu bewahren und den Umsatz profitabel zu steigern. Der Unternehmer möchte dabei von möglichst wenigen Faktoren abhängig sein, die er nicht selbst beeinflussen kann. Diese Unabhängigkeit kann er jedoch nur über finanzielle Unabhängigkeit erreichen. Davon sind die meisten mittelständischen Firmenlenker jedoch weit entfernt. Aktuell sehr viele KrediteMit Blick auf die Passivseite der Bilanz bedeutet finanzielle Unabhängigkeit unter anderem, eine Eigenkapitalausstattung zu haben, die sich relativ zum Fremdkapital auf mehr als 50 % beläuft. Denn dies ist das Kapital, über das die Firma frei verfügen kann. In der Realität ist es allerdings so, dass der deutsche Mittelstand im Durchschnitt eine Eigenkapitalquote von rund 15 bis 20 % aufweist. Diese geringe Eigenkapitalausstattung ist nicht zuletzt den über Jahre hinweg im internationalen Vergleich relativ günstigen Finanzierungsmöglichkeiten geschuldet, die den Firmen insbesondere über die regionalen Genossenschaftsbanken und Sparkassen angeboten werden.Das kontinuierliche Wachstum vieler Unternehmen wurde daher weniger durch die eigenkapitalstärkende Innenfinanzierung als über Bankkredite gestemmt. Der Nachteil: Die Mehrheit der Unternehmen hierzulande hat sich in Abhängigkeit von ihren Kreditgebern (in der Regel ein bis zwei Banken aus ihrer Region) begeben.An den Gedanken von Macht und Freiheit anknüpfend ist es daher für Unternehmen jeder Branche hilfreich, ihre relative Macht durch die Stärkung des Eigenkapitals zu verbessern und gleichzeitig die Finanzverbindlichkeiten nach Fremdkapitalgebern, Laufzeiten und Finanzierungsinstrumenten zu diversifizieren. Dazu ist es jedoch erforderlich, sich mit der vorhandenen Palette der Finanzierungsalternativen vertraut zu machen und diese mit unterschiedlichen Partnern zu nutzen. Welche Instrumente stehen Unternehmen zur Verfügung?Seit 2010 hat sich in Deutschland ein Markt für sogenannte Mittelstandsanleihen etabliert, begleitet durch die Entstehung entsprechender Handelsplattformen und Segmente der Börsenbetreiber. Diese Anleihen bringen den emittierenden Unternehmen frisches Kapital in Höhe von circa 20 bis zu 200 Mill. Euro. In den vergangenen drei Jahren wurden durch Mittelständler über 100 Anleihen im Gesamtvolumen von 5 Mrd. Euro begeben. Diese Unternehmen haben sich mit der Emission einen breiten und heterogenen Investorenkreis erschlossen und sind damit unabhängiger von der Kreditpolitik der Banken geworden.Hierbei ist jedoch wichtig, dass sich die Firmen der Konsequenzen, insbesondere der Folgepflichten, bei dem Schritt an den Kapitalmarkt bewusst sind. Die Unternehmen müssen bereit sein, sich dem Kapitalmarkt zu öffnen. Denn eine Anleihe stellt ein öffentliches Angebot dar. Dazu ist es erforderlich, dass das emittierende Unternehmen einen Wertpapierprospekt erstellt. Neben den testierten Jahresabschlüssen der vergangenen zwei Jahre beschreibt dieser Prospekt den Markt, in dem sich das Unternehmen bewegt. Mögliche unternehmensspezifische Risiken werden erläutert, und weitere Informationen, wie zum Beispiel die Gewinn-und-Verlust-Rechnung oder die Kapitalflussrechnung, werden offengelegt, die das Familienunternehmen in den meisten Fällen bisher noch nicht publik gemacht hat.Obgleich der Wertpapierprospekt vor allem den Unternehmer vor möglichen Haftungsansprüchen schützen soll, stellt er gerade bei Familienunternehmen eine schwierige, wenngleich oft auch nur rein psychologische Hürde dar. Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Transparenz und die Folgepflichten, die die Anleihe als Finanzierungsinstrument mit sich bringt, gerade für Gesellschafter, die nicht in das operative Geschäft eingebunden sind, einen positiven Aspekt darstellen. Vorreiterrolle in EuropaMit zunehmender Reife des Marktes für Mittelstandsanleihen ist ein vermehrtes Interesse von Investoren aus dem europäischen Ausland, insbesondere aus Benelux, Skandinavien und Frankreich, zu beobachten. Ferner nimmt die Anzahl von Anfragen möglicher ausländischer Emittenten, in Deutschland eine Anleihe mit einem Volumen zwischen 75 und 125 Mill. Euro zu begeben, vermehrt zu. Dies verdeutlicht, dass Deutschland nicht nur im Bereich des produzierenden mittelständischen Gewerbes eine Vorreiterrolle innerhalb Europas einnimmt, sondern auch bei den damit einhergehenden Finanzierungsformen.Ein wichtiger Grund für den Erfolg dieses Finanzierungsinstruments: Mit einer Anleihefinanzierung können familiengeführte Unternehmen ihre Selbständigkeit eher erhalten als mit der Aufnahme eines externen Eigenkapitalgebers, der im Gegenzug oft einen Anteil des Unternehmens, verbunden mit einer Beirat- oder Aufsichtsratsfunktion, durchsetzen will. Weiterhin erhält das Unternehmen durch die von der Börse und mit der Transaktion verbundenen Marketingmaßnahmen mediale Aufmerksamkeit und kann von der gestiegenen öffentlichen Wahrnehmung profitieren. Was sich im besten Fall sogar positiv auf das operative Geschäft des Emittenten auswirkt. Dies sind zusätzliche Vorteile, die den zeitlichen Aufwand einer üblicherweise drei- bis viermonatigen Projektarbeit aufwiegen. Der Hauptvorteil besteht natürlich in der Diversifikation der Fremdkapitalgeber und damit verbunden der geringeren finanziellen Abhängigkeit und größeren Flexibilität. Factoring steht allen offenFür kleinere Unternehmen sind die Finanzierungsalternativen tendenziell geringer als für größere. Factoring kann jedoch von allen mittelständischen Unternehmen genutzt werden. Über dieses Instrument besteht die Möglichkeit, das Forderungsmanagement zu optimieren und somit finanzielle Potenziale zu heben. Hierbei werden Forderungen aus Warenlieferungen oder Dienstleistungen an ein Kreditinstitut oder ein Spezialinstitut übertragen. Für kleinere und mittlere Unternehmen – insbesondere für diejenigen, die verstärkt in Anlagen und Ausrüstungen investieren müssen – bietet es sich zudem an, jeweils branchenspezifische individuelle Leasingmodelle als Finanzierungsergänzungen zu nutzen.Für größere Unternehmen, die über einen Umsatz von mehr als 50 Mill. Euro verfügen, eröffnet der zusehends differenzierte Markt für Schuldscheindarlehen neue Möglichkeiten. Schuldscheindarlehen sind gemäß § 488 BGB Darlehen, die arrangiert werden. Sie können entweder von der kreditgebenden Bank im eigenen Buch gehalten werden – was eher die Ausnahme ist – oder durch die arrangierende Bank an einige wenige oder (wenn vom Schuldner gewünscht) auch eine Vielzahl von Gläubigern platziert werden. Schuldscheindarlehen werden üblicherweise mit Volumina zwischen 20 bis 200 Mill. Euro begeben, wovon das Gros zwischen 50 und 150 Mill. Euro liegt und die Stückelung 500 000 Euro beträgt.Da diese arrangierten Kredite nicht in Form eines öffentlichen Angebotes vergeben und sie nur über sogenannte Abtretungen außerbörslich gehandelt werden, haben Schuldscheine im Vergleich zu handelbaren Wertpapieren, wie Anleihen, moderate Dokumentationspflichten. Der zu zahlende Zins liegt jedoch tendenziell 0,25 bis 0,75 Prozentpunkte über dem eines Kupons einer vergleichbaren Anleihe. Im Bereich der Laufzeiten bieten Schuldscheindarlehen mit üblicherweise zwei bis zehn Jahren die größtmögliche Flexibilität. Insbesondere, weil Tranchen mit unterschiedlichen Laufzeiten strukturiert werden können. Während Anleihen nach wie vor am stärksten von Family Offices, Private-Banking-Einheiten und unabhängigen Vermögensverwaltern als Beimischung gefragt sind, interessieren sich vor allem Banken, Pensionskassen und Investoren aus dem Versicherungsbereich für Schuldscheine.Die aktuelle Finanzierungssituation bei Mittelständlern ist durch die Dominanz des Bankkredits als Hauptinstrument der Fremdfinanzierung geprägt. Im Zuge der verstärkten Bankenregulierung (Basel II und III) und der Konsolidierungen innerhalb des Sparkassen- und Volksbankensektors sowie langfristig durch höhere Leitzinsen werden mittelständische Unternehmen verstärkt vor Herausforderungen in puncto Fremdfinanzierung stehen. Die Nutzung zusätzlicher, unterschiedlicher Finanzierungsinstrumente kann ihnen Möglichkeiten eröffnen, ihre Verbindlichkeiten so zu strukturieren, dass diese nicht nur mehr finanzielle Sicherheit und Spielräume bieten, sondern auch zu einer geringeren Abhängigkeit gegenüber den jetzigen Kreditgebern führen. So entsteht ein relativer Machtgewinn. Das Unternehmen stärkt seine Verhandlungsposition gegenüber Geldgebern und erlangt so größere finanzielle und unternehmerische Freiheit.—Sven Janssen, Executive Director und Head of Capital Markets bei der Close Brothers Seydler Bank