GastkommentarGroßbritannien vs. EU

DLT-Regulierung: Die Konkurrenz schläft nicht

Nach der EU beschäftigt sich nun auch Großbritannien mit der Pilotierung von DLT-Marktinfrastrukturen. Ein Wettbewerb der Sandboxes zeichnet sich ab.

DLT-Regulierung: Die Konkurrenz schläft nicht

Geschwindigkeit, Sicherheit, Effizienz – die Möglichkeiten, die mit dematerialisierten Wertpapieren einhergehen, sind vielversprechend. Und doch bewegte sich ihr Anteil an den gesamten Neuemissionen in der Europäischen Union bislang auf einem geringen Niveau. Einen wesentlichen Anteil daran dürfte auch der regulatorische Rahmen gehabt haben: Darauf hat der EU-Gesetzgeber reagiert und vor knapp sechs Monaten mit einem Pilotregime für die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) Abhilfe geschaffen.

Briten ziehen nach

Seitdem sind, im begrenzten Rahmen, der Handel und die Abwicklung digitalisierter Finanzinstrumente möglich. Diese Entwicklung wurde offenbar auch im Vereinigten Königreich aufmerksam beobachtet. Am 22. August endete der Konsultationsprozess zur Einführung einer "UK Digital Securities Sandbox".

In der Europäischen Union ist es Wertpapierfirmen bereits seit März 2023 erlaubt, innovative Handels- und Abwicklungssysteme zu betreiben. Im Rahmen einer sogenannten Sandbox wurden die Vorgaben dafür gelockert. Marktteilnehmer können für die Dauer von sechs Jahren eine Lizenz als DLT-Handelsplatz oder DLT-Abwicklungssystem beantragen. Sogar ein kombiniertes Handels- und Abwicklungssystem (sog. DLT-TSS) ist zulässig.

Begrenzte Volumina zulässig

Dabei handelt es sich um ein echtes Novum, denn im traditionellen Finanzmarkt sind Handel und Abwicklung grundsätzlich getrennt. Allerdings ist das freiwillige Sandbox-System auf ein Gesamtvolumen von 6 bzw. 9 Mrd. Euro begrenzt und ermöglicht nur den Handel und die Abwicklung von einfachen DLT-basierten Finanzinstrumenten wie Aktien, Anleihen und Fonds.

Durch diese Einschränkungen sollen zunächst Risiken und Vorteile der DLT-Anwendung auf den Finanzmärkten getestet werden. Das dürfte eines herbeiführen: Wertpapierfirmen und Banken steht es frei, in neue Geschäftsbereiche wie die Abwicklung von Finanzprodukten einzusteigen, ein Segment, das bisher vor allem Zentralverwahrern wie Euroclear und Clearstream vorbehalten war.

Die neue Verordnung ermöglicht zudem Zeit- und Kosteneinsparungen im Lebenszyklus von Wertpapieren. Transaktionen können nun "sekundenschnell" abgewickelt werden, anstatt wie bisher innerhalb von zwei bis fünf Tagen. Für die Banken kann sich ein untertägiger und mehrfacher Austausch von Sicherheiten positiv auf die Eigenkapitalunterlegung auswirken. Zudem ermöglicht das DLT-Pilotregime auch Kleinanlegern den direkten Zugang zu Handelsplätzen.

Noch hält sich die Anzahl der Anträge unter dem DLT-Pilotregime dem Vernehmen nach in Grenzen. Dies könnte daran liegen, dass die Begrenzungen der zulässigen Volumina und der zulässigen Finanzinstrumente für die etablierten Finanzmarktteilnehmer zu eng gefasst sind. Beklagt wird etwa, dass strukturierte Finanzprodukte nicht auf DLT-Pilotinfrastrukturen gehandelt und abgewickelt werden können. Für kleinere oder gar unregulierte Anbieter dagegen sind die Anforderungen des Pilotregimes weiterhin recht hoch.

Der EU-Regulierungsvorstoß weckt offenbar den Sportsgeist im Wettbewerbsgefüge, wie die jüngst angestoßene UK-Gesetzgebung zeigt. Hier deutet einiges darauf hin, dass die Funktionsweise der EU-DLT-Pilotverordnung in weiten Teilen übernommen wird: So können etwa solche Finanzmarktregelungen vorübergehend ausgesetzt werden, die Marktteilnehmern die Nutzung von DLT bisher erschweren. Spannend zu beobachten bleibt, inwieweit sich das Vereinigte Königreich von der EU emanzipiert, um einen flexibleren und attraktiveren Rechtsrahmen zu schaffen.

Flexiblere Ausgestaltung denkbar

Denkbar wäre etwa, dass die UK-Sandbox-Regelungen weiter gefasst werden und auch bestimmte strukturierte Produkte zulassen, welche die EU im Rahmen ihres DLT-Pilotprojekts ausschließt. Auch die Schwellenwerte könnten flexibler ausgestaltet werden, beispielsweise anhand von Produktklassen und Marktvolumen: Je größer der Markt für ein Produkt ist, desto verhältnismäßiger erscheint seine Nutzung im Rahmen der Sandbox-Regelung. Oder ein stufenweiser Regulierungsansatz, bei dem die Schwellenwerte und regulatorischen Anforderungen mit dem Durchlaufen der einzelnen Phasen steigen.

Mit der UK Digital Securities Sandbox konzentriert sich das Vereinigte Königreich auf die Einführung eines Handels- und Abwicklungssystems, vergleichbar mit dem EU DLT-TSS für bestehende und neue Handelssysteme und Zentralverwahrer. Der Mut zum großen Wurf und zur Abgrenzung von der EU scheint allerdings noch nicht vorhanden: Erfasst werden bisher nur digitale Wertpapiere und digitale Darstellungen traditioneller Wertpapiere, aber keine Derivate.

Mehr Transparenz erforderlich

Bei den vielfach diskutierten Schwellenwerten werden im Rahmen des britischen Gesetzgebungsprozesses klare Bestimmungen bislang vermieden. Es kann Vorteile bieten, keine gesetzlichen Schwellenwerte festzusetzen, sondern diese den Aufsichtsbehörden zu überlassen. Umso mehr jedoch müssen Ansatz und Verfahren für die Marktteilnehmer transparent sein.

DLT-Marktinfrastrukturen sind für Finanzakteure und Handelsplätze auf der ganzen Welt von Interesse. Gerade die Wertpapierabwicklung und der Sekundärhandel von DLT-Finanzinstrumenten sind kritische Faktoren, weil dort die größten Effizienzvorteile zu erwarten sind.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob die EU ihren Status als Pionier auf dem Gebiet der DLT-Regulierung verteidigen kann. Schon jetzt ist ein Wettbewerb der Regulierungsregime absehbar, bei dem neben der Flexibilität der Sandboxes auch Interoperabilität mit neuen und traditionellen Marktinfrastrukturen eine große Rolle spielen wird.

Gastbeitrag

Die Konkurrenz um die DLT-Regulierung schläft nicht

Conrad Ruppel

Partner
bei Ashurst LLP

Alexander Wellerdt

Assistant General Counsel bei der
J.P. Morgan SE