DTCC befürwortet beschleunigtes Settlement
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Anfang Februar stand der Wertpapiermarkt vor einem Systemstopp: Vor allem über den Neobroker Robinhood investierende Privatanleger hatten im Machtkampf mit Shortsellern das Marktvolumen in Aktien wie Gamestop dermaßen nach oben getrieben, dass Market-Maker kaum noch Kurse stellen konnten und sich die zentrale US-Clearingstelle DTCC genötigt sah, von Robinhood und anderen Brokern erheblich höhere Sicherheiten (Collateral) anzufordern. Allein Robinhood war aufgerufen, sofort zusätzliche Sicherheiten von 3 Mrd. Dollar zu stellen, damit Kundenorders ausgeführt werden können. Da das nicht möglich war, beschränkte Robinhood den Handel in den hochvolatilen Papieren, was Empörung im Retail-Lager hervorrief, die sich gegenüber den Hedgefonds benachteiligt sehen.
Robinhood-CEO Vlad Tenev nahm das zum Anlass, eine Neujustierung der Abwicklungsmechanismen im Wertpapiermarkt zu fordern. Dafür erhielt er auch Unterstützung – unter anderem von einem ehemaligen SEC-Commissioner, der die Industrie auf dem Weg von T+5 auf das heutige T+2 begleitet hatte. Zuletzt wurde vor vier Jahren von T+3 auf T+2 verkürzt – das heißt, auch heute dauert es noch zwei Tage, bis Trades im Hintergrund final abgewickelt sind.
Das empfindet eine steigende Zahl von Marktteilnehmern als unbefriedigend – inklusive des DTCC. Der setzt sich nun an die Spitze des Fortschritts und plädiert für eine Verkürzung auf T+1. Wie der Weg dahin aussehen soll, das hat der für Equity Clearing und Settlement Services zuständige Managing Director Mike McClain im White Paper „Advancing Together: Leading the Industry to Accelerated Settlement“ aufgezeigt: Innerhalb von zwei Jahren könne die Industrie ihre Prozesse so weit umgestellt haben, dass US-Aktien spätestens am Folgetag abgewickelt sind.
Als Vorteile benennt McClain, dass mit verkürztem Settlement auch Gegenparteirisiken und Collateral-Anforderungen sinken – alles Kostenpunkte für die Marktteilnehmer. Im Schnitt sind jeden Tag mehr als 13 Mrd. Dollar an Liquidität in Collateral-Fazilitäten beim DTCC geparkt, um Gegenparteirisiken abzusichern. Das birgt prozyklische Einflüsse auf das Marktrisiko, und verkürztes Settlement könnte eine bessere Balance von risikobasierten Collateral-Anforderungen herstellen, sagt McClain. Dem vom DTCC entworfenen Risikomodell für T+1-Settlement zufolge könnte die Volatilitätskomponente der Sicherheitenerfordernisse um 41% reduziert werden – und das in einer unveränderten Processing-Landschaft sowie bei unverändertem Kundenverhalten.
Netting ist unverzichtbar
Die Modellrechnung zum Netting macht dabei klar, um was für Summen es geht: Während an einem durchschnittlichen Tag 1,77 Bill. Dollar beim DTCC ins Netting gehen, waren es am 3. März 2020, als die Fed mit einer unerwarteten Zinssenkung für Volatilität sorgte, 3,51 Bill. Dollar (siehe Grafik). Dank der Netting-Effekte gehen an einem durchschnittlichen Tag 37,7 Mrd. Dollar ins finale Settlement, nur dieses Volumen also wird an Liquidität wirklich bewegt. An einem turbulenten Handelstag wie dem 3. März 2020 waren es dann aber 80,3 Mrd. Dollar, die ins Netting gingen. Eine solche Maximallast, mehr als doppelt so hoch wie das durchschnittliche Volumen, muss das System ohne Schluckauf verkraften können.
Automatisierter Prozess
Deshalb wird der DTCC nicht müde, die Vorzüge des multilateralen Netting hervorzuheben: Dabei handelt es sich um den automatischen Prozess, Kauf- und Verkaufsorders in einer Aktie gebündelt miteinander zu verrechnen. Diese Konsolidierung von Aktienpositionen ergibt dann eine Nettoschuld oder ein Nettoguthaben, das dann dem finalen Settlement zuzuführen ist – und dieses Volumen sei dank Netting um mindestens 98% geringer gegenüber dem Bruttowert, rechnet McClain vor.
Aufgrund dieses pragmatischen Effekts des Netting spricht sich der DTCC auch gegen Instant Settlement aus: Milliardenbeträge müssten ständig hin- und hergeschickt werden, was die Stabilität des Finanzsystems beeinträchtigen könnte. Deshalb müsse man bei der Beschleunigung des Settlement-Zyklus sehr behutsam vorgehen, argumentiert der DTCC zu Recht. Dabei könne man sogar mit heutiger Technologie schon innerhalb eines Handelstages setteln. Auf diese Option würden Investoren aber nicht zurückgreifen aufgrund der Komplexität der Marktstruktur sowie bestehender Prozesse in ihrer heutigen IT-Architektur – was offenbart, dass die aufs Netting eingeschworenen Marktteilnehmer in einer gewissen Behäbigkeit gefangen sind.
Das ändert sich allerdings, seitdem die Distributed Ledger Technology (DLT) eine Infrastruktur für beschleunigtes Settlement zwischen den Depots bieten kann. Auch der DTCC erkundet die Option DLT-Settlement im Projekt „Ion“, wofür schon Ende März ein Prototyp fertig sein soll – wohlgemerkt findet „Ion“ unter Wahrung des Netting statt und wäre die Grundlage für T+1.
Option Instant Settlement
Mit Integration von tokenisierten Assets könnten einige Marktteilnehmer aber geneigt sein, diese Wertpapiere im Rahmen eines Peer-to-Peer-Handels inklusive Settlement gar nicht mehr in den Maschinenraum des DTCC zu geben, sofern die Regulatorik dies erlaubt. Der Vorteil: Wenn Teile des Marktvolumens so ins Instant Settlement gehen, sinken neben den Gegenparteirisiken auch die Collateral-Anforderungen – auch wenn die Broker dann natürlich Liquidität auf ihren Instant-Settlement-Konten vorhalten müssen. Aber auch da kommt ja über Wertpapierverkäufe ständig frische Liquidität rein. Zumindest Teile des Marktes könnten so aus dem Collateral-System herausgenommen werden.
Dialog mit Branche gestartet
Beim DTCC geht man die Sache mit Augenmaß an und wirkt jetzt im Dialog auf die Wertpapierfirmen ein, ihre Prozesse und Infrastrukturen für die Einführung von T+1 zu überprüfen. Der Hebel: Was sie beim beschleunigtem Settlement an Collateral sparen, können sie dann an anderer Stelle im Markt einsetzen. Auf die Research-Agenda kommt dann auch, welche „upstream and downstream impacts“ verkürztes Settlement auf andere Teilmärkte wie Derivate, die Wertpapierleihe und den Währungshandel hat. Am DTCC soll es jedenfalls nicht scheitern: Der wurde 1973 als Plattform für T+0-Settlement gegründet.