GASTBEITRAG

Dürre trotz Geldflut

Börsen-Zeitung, 1.11.2016 Wenn sich institutionelle Investoren heute von einem großen Anleihepaket trennen wollen, müssen sie schon mal mehr Zeit einplanen. Denn es kann ihnen passieren, dass sie ihre Wertpapiere nicht auf einen Schlag loswerden,...

Dürre trotz Geldflut

Wenn sich institutionelle Investoren heute von einem großen Anleihepaket trennen wollen, müssen sie schon mal mehr Zeit einplanen. Denn es kann ihnen passieren, dass sie ihre Wertpapiere nicht auf einen Schlag loswerden, sondern in mehrere kleinere Tranchen stückeln müssen. Das bedeutet einen höheren organisatorischen Aufwand und Kosten, was wiederum die Rendite belastet.Dieses Problem ist Folge einer Entwicklung, die 2008 begonnen hat: Die Anleihemärkte trocknen in Teilen aus, die Liquidität hat sich deutlich verschlechtert. Damit verbunden sind erhebliche Nachteile für Investoren: Einzelne Orders haben einen größeren Einfluss auf die Kurse, die Spanne zwischen An- und Verkaufspreis geht auseinander, und die Handelskosten steigen – mit negativen Folgen für die Kapitalerträge. Transaktionen dauern entweder länger oder kommen gar nicht erst zustande. Zu 80 Prozent AnleihenGerade für Versicherer ist die Entwicklung fatal. Ihr Anlagebestand von 1,5 Bill. Euro besteht zu rund 80 % aus Rentenpapieren. Sie sind darauf angewiesen, diese jederzeit schnell, kostengünstig und preisschonend handeln zu können. Schließlich müssen sie regelmäßig Leistungen an Versicherte auszahlen. Umgekehrt legen sie ständig Geld neu an – täglich rund 1 Mrd. Euro. Hohe Volatilität und Liquiditätsschwankungen erschweren die Wiederanlage, sie führen zudem zu größeren Schwankungen in der Bilanz. Auch die Versicherungskunden sind betroffen: Niedrigere Renditen aufgrund höherer Transaktionskosten gehen letztlich zu ihren Lasten.Für die Liquiditätsprobleme gibt es mehrere Gründe, ein ganz entscheidender ist aber die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Um die Volkswirtschaften anzukurbeln und die Inflation anzuheizen, kauft sie in großem Stil Anleihen der Eurozone auf. Papiere von gut 1,3 Bill. Euro hat sie im Rahmen ihres Anleihekaufprogramms bereits erworben, zu dem seit dem Sommer auch Unternehmensanleihen gehören. Bis zum Ende des Programms im März 2017 sollen es rund 1,7 Bill. Euro sein.Die EZB agiert dabei als ein “Buy and hold”-Investor und entzieht dem Sekundärmarkt stetig Liquidität. Das führt zu dauerhaften Marktverwerfungen, von denen selbst erstklassige Staatsanleihen nicht verschont bleiben – wie der Blitz-Crash am deutschen Anleihemarkt im April 2015 zeigt. Damals verloren zehnjährige Bundesanleihen binnen zwei Tagen so stark an Wert wie nie zuvor in so kurzer Zeit.Noch anfälliger für Preisverzerrungen sind indes die ohnehin schon engeren Märkte für Pfandbriefe, Unternehmensanleihen – insbesondere von solchen mit schlechter Bonität -, verbriefte Kredite, gedeckte Schuldverschreibungen oder Schuldtitel von weniger kreditwürdigen Staaten. EZB treibt Anleger ins RisikoEs wäre daher wichtig, wenn die EZB die negativen Folgen ihrer Geldpolitik für die Liquiditätssituation auf den Anleihemärkten stärker berücksichtigt. In der langen Liste der Risiken und Nebenwirkungen sind sie ein weiteres Argument, um die Anleihekäufe spätestens im März 2017 auslaufen zu lassen. Das bedingt zugleich, dass die Notenbanker von ihrer Entscheidung abrücken, die Mittel fälliger Anleihen zu reinvestieren. Andernfalls würde die EZB-Bilanz selbst bei Beendigung des Kaufprogramms aufgebläht bleiben. Die Entstehung neuer Risiken gilt es aber zu vermeiden. Zumal die Geldpolitik der EZB noch etwas anderes bewirkt: Sie treibt damit Investoren ins Risiko. Um überhaupt noch positive Renditen erzielen zu können, weichen Anleger zunehmend in höher verzinste, aber zugleich illiquidere Anleihemärkte aus. Dies kann sich dann sehr schnell als gefährliche Strategie erweisen, wenn die Märkte von überhöhten Niveaus aus korrigieren.Eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Liquidität übernehmen auch die Banken, die als Market Maker auftreten. Sie stellen laufend Angebots- und Verkaufspreise und nehmen Wertpapiere für kurze Zeit selbst in den Bestand, falls sich kein Käufer findet. Umgekehrt können sie eine Anleihe auch “leer” verkaufen, um sich später am Markt einzudecken. Doch diese Pufferfunktion nehmen Banken immer seltener wahr. Sie ziehen sich als Market Maker zurück – vor allem aus illiquideren Märkten, wo sie am dringendsten gebraucht würden. Das hat viel mit den regulatorischen Anforderungen seit der Finanzkrise zu tun und ist sicherlich ein weiterer Grund, warum der Rentenhandel nicht mehr so reibungslos funktioniert. Denn Banken können Anleihen nicht mehr ohne Weiteres auf die eigene Bilanz nehmen, sie müssen dafür Eigenkapital unterlegen. Das macht die Geschäfte für viele Geldhäuser unattraktiv. Es mangelt an KäufernDamit fehlt besonders in Stressphasen eine wichtige Stütze im Markt. Der Schar an Verkäufern stehen kaum Käufer gegenüber. Die Verkaufsaufträge greifen dann ins Leere, wodurch die Kurse weiter nach unten getrieben werden und eine gefährliche Abwärtsspirale in Gang gesetzt werden kann. Denn die Risikomodelle vieler institutioneller Anleger sind darauf geeicht, bei hohen Marktschwankungen Signale für den Verkauf von Titeln zu geben.Um die Liquiditätssituation auf den Rentenmärkten nicht zu verschärfen, sollte die Politik deshalb auch die weitere Regulierung der Banken mit Augenmaß betreiben: Ihre wichtige Aufgabe als Marktpfleger darf nicht durch neue regulatorische Vorgaben weiter eingeschränkt werden. Im Gegenteil, auch bereits bestehende Regelungen sollten dahingehend überprüft werden, ob sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern.Daran sollte auch die Politik ein Interesse haben. Denn die sinkende Liquidität schadet nicht nur Investoren, sondern zugleich den Emittenten der Anleihen – also den Staaten. Bei schwer handelbaren Wertpapieren verlangen Käufer einen Risikoaufschlag. Dies mag angesichts niedriger Zinsen derzeit kaum ins Gewicht fallen. Das wird aber dann wieder zu einem Problem, wenn die von der EZB induzierten Verzerrungen auf den europäischen Bondmärkten der Vergangenheit angehören.Die Euro-Länder als wichtige Akteure auf dem Rentenmarkt sollten außerdem für ein regelmäßiges Angebot sorgen, welches das gesamte Laufzeitenspektrum abdeckt. Im Interesse einer langfristig stabilen Finanzierung der Staatsschulden sollten sie nicht der Versuchung erliegen, über die vermehrte Ausgabe kurzfristiger, negativ verzinster Anleihen den Haushalt temporär zu entlasten.Die Lage verbessern könnte auch eine verstärkte Harmonisierung von Anleiheprodukten innerhalb des Euroraums. Dies würde den Handel auf weniger Anleihen beschränken und die Liquidität erhöhen. Ein Schritt dahin ist die geplante Kapitalmarktunion. Die EU will so den Kapitalverkehr vertiefen und grenzüberschreitende Investitionen erleichtern, etwa durch einheitliche Standards für Finanzprodukte. Eine schnelle Lösung ist jedoch nicht in Sicht, frühestens im Jahr 2019 ist mit der Kapitalmarktunion zu rechnen. Schnell hilft nur ein Umdenken der EZB.—-Klaus Wiener, Chefvolkswirt und Mitglied der Geschäftsführung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)