Eigentum verpflichtet auch bei der Geldanlage

Die Ansprüche von Investoren werden vielschichtiger

Eigentum verpflichtet auch bei der Geldanlage

Pascal BlanquéChief Investment Officer der Amundi GroupWer einen genauen Blick auf sein Portfolio wirft, wird mit einigen unbequemen Fragen konfrontiert: Billigen die Unternehmen in Drittweltländern Kinderarbeit und unwürdige Arbeitsbedingungen? Ergreifen sie Maßnahmen gegen den Klimawandel und den Raubbau an natürlichen Ressourcen? Und wie sieht es in puncto Governance aus, um beispielsweise illegale Absprachen zu vermeiden?Seit einiger Zeit beobachten wir, dass die Ansprüche von Investoren vielschichtiger werden. Auch wenn die Rendite nach wie vor im Vordergrund steht, fragen sich immer mehr Anleger, welche ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen Investmententscheidungen haben und wie man verantwortungsbewusst handeln kann. Zugegeben: Bei vielen dieser Herausforderungen handelt es sich um Herkulesaufgaben, bei denen Widerstände zu überwinden und Strukturen schrittweise anzupassen sind. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Investoren Umwelt- und Sozialstandards sowie Aspekte einer guten Unternehmensführung frühzeitig in die Anlageentscheidung einbeziehen und stetig weiterentwickeln müssen.Lange waren es einige wenige Pioniere, wie Stiftungen und kirchliche Investoren, die nachhaltig investierten. Heute gibt es hingegen kaum einen professionellen Anleger, der ESG, so die englische Kurzform für Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte, außer Acht lässt. Entsprechend wurden seit den Anfängen des verantwortungsbewussten Investierens zahlreiche Ansätze entwickelt, die auf folgenden vier Zielen basieren: die Umsetzung eigener Wertvorstellungen, die Optimierung des Risiko­managements, das Nutzen von Anlagechancen und die Berücksichtigung der Ansprüche Dritter. Assetmanager sollten ihre Kunden dabei unterstützen, deren individueller Verantwortung gerecht zu werden und Einfluss auf Unternehmen auszuüben.Im Kern des nachhaltigen Investierens steht die ESG-Analyse, wobei die Ratings die ESG-Bilanz von Unternehmen detailliert abbilden. Sie können zur Identifikation auszuschließender Unternehmen sowie für Themen- oder Best-in-Class-Ansätze zugrunde gelegt werden. Heute sind mehr extrafinanzielle Informationen über Unternehmen verfügbar als je zuvor, was die ESG-Integration erheblich vereinfacht.Bei der ESG-Analyse stehen zwei Ziele im Fokus: Erstens erlauben es ESG-Ratings die Unternehmen zu identifizieren, die ESG-Chancen und -Risiken am besten managen. Zweitens stehen die ESG-Teams im engen Kontakt zu den Unternehmen. Sie kennen die Best Practices der Branchen, können als erfahrene Gesprächspartner die Erwartungen der Investoren thematisieren und im Dialog auf das Management einwirken. Interessant ist, dass die Bereitschaft von Unternehmen, sich mit den Ansprüchen der Investoren auseinanderzusetzen, erheblich gewachsen ist. Zudem will das Management heute detailliert wissen, nach welchen Kriterien die Unternehmen analysiert werden und wo Ansatzpunkte für Verbesserungen bestehen. Haben bisher vor allem große Gesellschaften Anstrengungen zur Verbesserung ihrer ESG-Bilanz unternommen, durchdringt das Thema heute auch Small und Mid Caps sowie Private Equity und Private Debt.Gleichzeitig müssen wir diesen Aspekten über ESG-Ratings hinaus noch mehr Momentum verleihen. Investoren, denen weltweit quasi alle Ressourcen und Produktionsvermögen gehören, tragen die Verantwortung, Schäden zu vermeiden. Ein verantwortungsbewusster Marktteilnehmer zu sein, heißt also auch, einen konstruktiven Dialog als Aktionär zu führen und Stimmrechte auszuüben. Pro Jahr besuchen wir rund 2 600 Hauptversammlungen mit mehr als 32 000 Beschlüssen, wobei 2016 kontroverse Themen, wie die Managervergütung oder der Umgang mit Klimarisiken, im Fokus standen. Immer häufiger wird der Dialog zu ESG-Aspekten jedoch außerhalb der Hauptversammlung geführt, wovon beide Seiten profitieren. Einerseits gibt es Unternehmen die Chance, sich an den Best Practices der Branche zu messen und Verbesserungen voranzutreiben. Andererseits können Aktionäre die Erkenntnisse nutzen, um Anlagechancen zu identifizieren und Risiken zu steuern. Diese Fragen zu antizipieren, ist von entscheidender Bedeutung, ganz gleich ob es sich um mögliche Kontroversen oder aussichtsreiche Innovationen handelt.In extremen Fällen kann der Ausstieg aus Titeln beziehungsweise eine Divestment-Strategie richtig sein, um Unternehmen zu sanktionieren. Verbreitet ist dies bei Zuwiderhandlungen gegen internationale Verträge und Konventionen wie die UN-Menschenrechtscharta oder den UN Global Compact für verantwortungsvolle Unternehmensführung. Aber auch darüber hinaus ist es sinnvoll, belastete Branchen, kontroverse Praktiken und sich verweigernde Unternehmen auszuschließen. Ethisch motivierte Divestment-Strategien gibt es bereits lange. So haben religiöse Investoren schon im viktorianischen Zeitalter nicht in die Waffenindustrie investiert und sogenannte Sin Stocks (Tabak, Alkohol und Glücksspiel) außen vor gelassen. In letzter Zeit gewinnt jedoch auch die ökologisch motivierte Divestment-Bewegung an Schlagkraft. So fordern Aktivisten zum Beispiel den Ausstieg aus Unternehmen, die Kohle oder Ölsand abbauen oder Fracking betreiben. Allerdings gibt es Argumente, die gegen ein Divestment sprechen. Am schwersten wiegt, dass es eine einmalige Maßnahme ist: Der Investor zieht sich zurück und gibt seine Einflussmöglichkeiten auf.Ein Best-in-Class-Ansatz kombiniert eine Einflussnahme mit der Drohkulisse eines Divestments. So kann man Unternehmen hinsichtlich ihres ESG-Ratings rangieren und entweder nur in die Titel mit einem Top-Rating investieren oder ESG-Leader über- und Nachzügler untergewichten. Die Erfahrung zeigt, dass dies durchaus den Wettbewerbssinn der Manager mobilisiert – denn wer möchte schon die rote Laterne beim ESG-Rating halten? Zudem muss man auch eingestehen, dass wir auf die Öl- und Gasbranche noch angewiesen sind. Regenerative Energien erlauben es zwar, die globale Erwärmung zu bremsen. Bis wir jedoch ganz ohne fossile Brennstoffe leben können, wird es noch Jahre dauern. Mit einem Best-in-Class-Ansatz kann man dieser Tatsache Rechnung tragen und in Öl- und Gas-Unternehmen investieren, die sich durch ein gutes ESG-Rating qualifizieren. Da ein regelmäßiges Update der ESG-Ratings den Unternehmen zugänglich gemacht wird, besteht für alle Gesellschaften der Anreiz, ihre Standards regelmäßig zu verbessern und sich für das Anlageuniversum zu qualifizieren.Zudem gibt es Themeninvestments, die einen konkreten und quantifizierbaren Effekt auf die Herausforderungen unserer Tage anstreben. Nachdem zum Beispiel immer mehr Investoren Klimarisiken als relevant für ihre Portfolios ansehen, hat die Finanzindustrie darauf einerseits mit Low-Carbon-Strategien reagiert. Andererseits ist die Weiterentwicklung grüner Technologien mit einem Finanzierungsbedarf verbunden, der interessante Anlagemöglichkeiten in den Bereichen regenerative Energien, Wasser, Abfallmanagement und Infrastruktur bietet. Der stark wachsende Markt für Green Bonds ist Spiegelbild dieses enormen Finanzierungsbedarfs.Beim Social Impact Investing geht es schließlich darum, in Unternehmen zu investieren, die sowohl einen messbaren sozialen Nutzen als auch eine Finanzrendite erbringen. In dieser jungen Anlageklasse wird versucht, Herausforderungen in Schwellen- und Entwicklungsländern anzugehen und neue Wirtschaftszweige zu mobilisieren.Supranationale Institutionen und NGOs waren lange die einsamen Kämpfer gegen Armut, Korruption und den Ressourcenraubbau. Inzwischen haben Unternehmen und der Finanzsektor erkannt, welche Rolle ihnen beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft zukommt. Wir sind überzeugt, dass es eine starke Nachhaltigkeitspolitik Unternehmen erlaubt, Risiken besser zu managen und die Effizienz zu steigern. Für Investoren und Assetmanager ist nachhaltiges Investieren der Weg, Verantwortung in einer Welt zu übernehmen, in der es viele Herausforderungen gibt, deren Konsequenzen weit über finanzielle Erwägungen hinausgehen.