Ein Rest an Unwägbarkeit
Wochen vor Ende der Brexit-Übergangsfrist gibt die Bundesbank mit Blick auf Finanzstabilitätsrisiken Entwarnung, auch wenn sie Banken auffordert, Verlagerungen zügig abzuschließen. Eine Unbekannte bleibt indes, inwieweit Institute Clearing-Bestandsgeschäft von der Themse an den Main verlagern werden.Von Bernd Neubacher, FrankfurtKnapp 60 Tage vor Ende der Übergangsfrist nach dem Brexit per Februar gibt die Deutsche Bundesbank mit Blick auf die Risiken weitestgehend Entwarnung: “Auch wenn ein Rest an Unwägbarkeit bleibt, kann der Schalter jetzt umgelegt werden”, erklärte Joachim Wuermeling, im Vorstand der Zentralbank für die Bankenaufsicht zuständig, am Montag: “Für den Bankensektor sind die größten Klippen im Großen und Ganzen umschifft. Eine Gefahr für die Finanzstabilität ist nicht erkennbar.” Von der Themse an den Main Was verbleibende Unwägbarkeit angeht, so dürfte Wuermeling insbesondere die Migration von Clearing-Volumen von der Themse an den Main im Auge behalten, ferner die Neufassung von Verträgen, die Finanzdienstleister wegen Großbritanniens EU-Austritt mit Kunden neu fassen oder modifizieren müssen. Zum Volumen bzw. zur Zahl der Kontrakte, deren Anpassung derzeit noch aussteht, war zu Wochenbeginn nichts zu erfahren. Wuermeling lässt sich allerdings mit den Worten zitieren: “Es ist erfreulich, dass viele Institute mit der Verlagerung ihrer Geschäfte bereits weit vorangeschritten sind. Einige Banken und deren Kunden wollen aber offenkundig bis zur letzten Minute mit den tatsächlichen Verlagerungen warten: Sie sollten besser jetzt handeln!” An den Rahmenbedingungen wird sich zumindest mit Blick auf den Finanzsektor bis Jahresende ohnehin nichts mehr ändern, wie in Aufsichtskreisen argumentiert wird. Einen harten Brexit werde es so oder so geben. Offenkundig kursieren mit Blick auf das sogenannte “Repapering” Sorgen, es könne zu Unebenheiten kommen, wenn Banken in letzter Minute dreistellige Milliardenbeträge übertragen wollen. Auch beim Clearing ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Zwar zählt Eurex Clearing inzwischen rund 400 Kunden und dürfte damit den Kreis der wesentlichen Akteure, die ihre Geschäfte mit auf Euro lautenden Derivaten über das London Clearing House (LCH) abrechnen, weitestgehend decken. Auch hat die Eurex das Nominalvolumen der abgerechneten außerbörslich gehandelten Zinsderivate seit 2018 um stolze 87 % auf 18 Bill. Euro gesteigert. Allein: Aktiv sind von den Akteuren an der LCH, die im Zuge des Brexit Kunden auch von Eurex Clearing geworden sind, bisher nur rund 40 %. Die Bedeutung britischer zentraler Kontrahenten (CCP) für EU-Banken ist weiterhin sehr hoch, wie die Bundesbank feststellt.Die EU-Kommission hat reagiert und britische CCPs ab Januar kommenden Jahres für 18 Monate als gleichwertig anerkannt. Wie im Markt zu hören ist, hat dies prompt dazu geführt, dass der Elan bei der Verlagerung von Clearing-Volumen an Schwung verloren hat. Bei der Bundesbank heißt es, unter Umständen sei es insbesondere unwahrscheinlich, dass Banken aktiv an der Migration nicht nur ihres Neugeschäfts, sondern auch ihres Clearing-Bestands arbeiteten. Hintergrund: Euro-Clearing an der LCH ist auch nach Ende der Äquivalenz nicht verboten, es wird die Banken allerdings deutlich mehr Eigenkapital kosten. Auf mittlere Sicht bleibe der Umgang mit dem Clearing über CCPs eine “relevante Herausforderung”, heißt es bei der Bundesbank. Die Verlagerung hoher Clearing-Volumen und speziell die Aufteilung entsprechender Bücher in Banken auf mehrere CCPs nötigen dabei nicht nur den Risikomanagern in den jeweiligen Instituten, sondern durchaus auch Finanzaufsehern Respekt ab. London hat dominiertKlar ist, dass der EU mit Großbritannien der dominierende Finanzplatz wegbricht: Einer Studie des Think-Tanks New Financial zufolge sind in den Jahren 2016 bis 2018 rund 32 % aller Finanzaktivitäten in der EU auf das Vereinigte Königreich zurückgegangen. Geht man davon aus, dass im Zuge des britschen EU-Austritts nur ein Teil dieser Aktivitäten in die EU-27 wandern wird, zeigt sich, wie stark der EU-Kapitalmarkt schrumpfen wird: “Wichtig ist die Fortentwicklung eines leistungsfähigen Finanzmarktes auf dem Kontinent, damit sich die europäische Volkswirtschaft aus eigener Kraft finanzieren kann”, resümiert Wuermeling denn auch. “Welche Rolle London dabei mittel- und langfristig noch spielen wird, ist heute völlig offen.”Bislang beobachtet die Bundesbank keine erheblichen Deregulierungskampagnen in Großbritannien. Die künftige Entwicklung sei gleichwohl unklar. “Ein harter Brexit darf nicht den Startschuss zu einem Deregulierungswettlauf geben”, meint Wuermeling. Banken stocken mächtig aufNach Schätzungen aus Aufsichtskreisen wird der Brexit Verlagerungen von bis zu 1 Bill. Euro Bilanzsumme nach sich ziehen. Nachdem die fünf für Deutschland größten Zuzügler im Finanzdienstleistungssektor ihre Aktiva laut Bundesbank bis Juni eurolandweit um 158 Mrd. auf 213 Mrd. Euro aufgestockt hatten, erwartet die Zentralbank insgesamt allein bis Jahresende eine Aufstockung um zusätzlich 379 Mrd. auf 675 Mrd.Der Maximalwert von 1 Bill. Euro liegt dabei um ein Zehntel über dem Volumen, das im April vergangenen Jahres der Verband der Auslandsbanken in Deutschland genannt hatte – damals hieß es, in den kommenden Jahren könnte es “bis hin zu einer möglichen Verdopplung der aggregierten Bilanzsummen aller Mitgliedsbanken auf dann ca. 900 Mrd. Euro” kommen. Beide Beträge lassen sich allerdings nur zum Teil vergleich, da Institute wie Unicredit und HSBC Deutschland nicht im Auslandsbankenverband organisiert sind. Der Bundesbank zufolge vereinten Auslandsbanken schon Anfang 2019 bundesweit gut 1 Bill. Euro Bilanzsumme auf sich.Auch wenn die Bundesbank Befürchtungen entgegentritt, der britische EU-Austritt werde Verwerfungen im Finanzmarkt nach sich ziehen, drückt sie mit Blick auf das Ende der Übergangsfrist zum Jahresende zugleich doch aufs Tempo: “Verlagerungen von Bilanzpositionen und Mitarbeitern sind – bei aller von der Aufsicht gewährten Flexibilität – zeitnah abzuschließen”, erklärte Wuermeling am Montag. Banken müssten die verbleibenden Wochen nutzen, um die Lücken in der Vorbereitung zu schließen. Laut Zentralbank haben Auslandsbanken angesichts des Brexit bundesweit 64 Anträge auf Genehmigung von Aktivitäten in der EU-27 gestellt, von denen mehr als 40 Erfolg hatten. Bei den übrigen handele es sich um Ersuchen kleinerer Firmen, die teils noch anhängig seien, teils auch nicht mehr forciert würden, heißt es im Markt.Den Brexit-bedingten Stellenaufbau bei den Instituten, die eine Lizenz in Deutschland beantragt haben, beziffert die Bundesbank auf eurolandweit 2 500 Stellen. Die Hälfte davon sei bereits eingerichtet. Bislang haben die in die EU strebenden Institute ihren Angaben zufolge für insgesamt 15 bankinterne Risikomodelle eine vorübergehende Tolerierung beantragt. In elf Fällen sei eine Duldung ausgesprochen worden, in einem Fall erging demnach bereits eine dauerhafte Zulassung.