IM GESPRÄCH: RALF W. BARKEY UND MICHAEL BOCKELMANN

"Ein Zusammenwachsen ist notwendig"

Frankfurter Genossenschaftsverband und RWGV nehmen neuen Anlauf zur Fusion - Partner wollen Kräfte bündeln und dennoch die Mitgliedernähe bewahren

"Ein Zusammenwachsen ist notwendig"

Der für 13 Bundesländer zuständige Frankfurter Genossenschaftsverband und der Rheinisch-Westfälische Genossenschaftsverband (RWGV) mit Sitz in Münster, zwei der noch fünf regionalen Prüfungs-, Beratungs- und Bildungsverbände der Genossen, wollen im nächsten Jahr fusionieren. Ziel ist es, die Kräfte zu bündeln, ohne die Nähe zu den Mitgliedern aufzugeben. Die Vorstände und Gremienvorsitzenden unterschrieben am Donnerstag eine Absichtserklärung mit den Eckpunkten der geplanten Verschmelzung. Ein früherer Fusionsversuch war 2014 gescheitert. Die Börsen-Zeitung befragte den RWGV-Vorstandsvorsitzenden Ralf W. Barkey und den Verbandspräsidenten des Genossenschaftsverbandes, Michael Bockelmann, zu dem Vorhaben.Von Bernd Wittkowski, FrankfurtVor zwei Jahren hatten der Genossenschaftsverband, der seine Verwaltungssitze in Neu-Isenburg bei Frankfurt und seit der Fusion mit dem Genossenschaftsverband Norddeutschland (GVN) im Jahr 2008 auch in Hannover hat, und sein Münsteraner Pendant RWGV ihre monatelangen Fusionsverhandlungen sang- und klanglos abgebrochen. Gemeinsame ProjekteWarum soll es diesmal besser laufen? “Wir haben die Zeit seit 2014 intensiv genutzt, um uns besser kennenzulernen. Das bedeutet konkret: Wir haben eng in gemeinsamen Projekten zusammengearbeitet und konnten so Leistungen für unsere Mitglieder im Schulterschluss entwickeln”, sagt Michael Bockelmann, der Verbandspräsident des Genossenschaftsverbandes. Beispielsweise habe man arbeitsteilig eine neue Prüfungssoftware entwickelt und die IT-Systeme auf einen gemeinsamen Stand gebracht. Mit der GRA Rechtsanwaltsgesellschaft verfügten beide Verbände zudem über einen gemeinsamen Kooperationspartner.Die Verbände, deren Gremien (Verbands- beziehungsweise Verwaltungsräte) den Letter of Intent zur Fusion und die Aufnahme der eigentlichen Verhandlungen am Donnerstag jeweils einstimmig beschlossen, wollen “strukturelle Antworten auf die strategischen Herausforderungen unserer Zeit geben”. Denn die Arbeit der Verbände werde derzeit maßgeblich durch die Konzentrationsprozesse der Mitglieder, den demografischen Wandel und die wachsenden regulatorischen Anforderungen bestimmt. Die Fusionsdynamik der Mitglieder halte an. Sinkende MitgliederzahlBockelmann weiter: “Das bedeutet: In absehbarer Zeit sinkt die Anzahl unserer Mitgliedsgenossenschaften. Gleichzeitig steigt aber auch der Bedarf an Unterstützung durch Verbandsmitarbeiter und Spezialdienstleistungen. Das liegt neben den steigenden regulatorischen Anforderungen auch in Trends, wie der fortschreitenden Digitalisierung, begründet.” Verstärkt werde dieser Aspekt zudem durch eine zunehmende Branchenheterogenität. Die Situation sei gegenüber 2014 noch einmal deutlich herausfordernder geworden. “Ein Zusammenwachsen ist deshalb notwendig.”An der Basis der Ortsbanken fragen sich indes nicht wenige, wie die Verbände den Spagat schaffen wollen, die Kräfte zu bündeln und Synergien zu heben und dennoch die Nähe zu den Mitgliedern zu erhalten. Doch Synergien zu heben könne nur eines der Ziele sein, sagt Ralf W. Barkey, der Vorstandsvorsitzende des RWGV. “Eine Fusion bietet uns allerdings die Möglichkeit, Synergien zu nutzen, um unser Dienstleistungsangebot zu erweitern, es dort, wo es erforderlich ist, zu vertiefen und die für einen genossenschaftlichen Regionalverband so wichtige Nähe zu den Mitgliedern nicht zu verlieren.” In einem fusionierten Verband könne breites Spezialwissen aus beiden Verbänden effizient eingesetzt und weiterentwickelt werden. Die Mitglieder könnten so von einer Fülle an unterstützenden Hilfestellungen durch die Fachleute des vereinigten Verbandes profitieren. “So stärkt eine Fusion die Nähe zum Mitglied, weil wir immer mehr Spezialdienstleistungen neben dem Standard anbieten können.”Barkey weist darauf hin, dass die Bilanzsumme der genossenschaftlichen Mitgliedsbanken von unter 50 Mill. Euro bis über 35 Mrd. Euro reiche. Neben den Volksbanken und Raiffeisenbanken gehörten auch Kirchenbanken und Sonderinstitute zur Mitgliedschaft. Bei den landwirtschaftlichen Genossenschaften reiche die Bandbreite von kleinen Genossenschaften im Biosektor bis hin zu den großen Erzeugergenossenschaften in den östlichen Bundesländern. “Die Heterogenität der gewerblichen Genossenschaften betrifft jedoch nicht nur deren Größe: Unsere Mitglieder kommen aus allen Branchen des Wirtschaftssystems.” “Verband der Regionen”Die Dezentralität und Mitgliedernähe wollen die Fusionspartner gewährleisten, indem sie sich nach dem Zusammenschluss als “Verband der Regionen” positionieren, der Nähe und Kompetenz miteinander verbinde. “Die enge Partnerschaft mit den Mitgliedern in der Region sichern wir dabei durch die organisatorischen Strukturen sowie in den Gremien des fusionierten Verbandes ab. Wir können so Spezialisierungsvorteile gemeinsam nutzen und mehr Gewicht in die politische Interessenvertretung der Mitglieder auf Landesebene und innerhalb des genossenschaftlichen Verbundes einbringen sowie Skaleneffekte realisieren”, so Barkey.Die Nähe zu den Mitgliedsunternehmen habe weiterhin absolute Priorität, betont auch Bockelmann. “Wir gewährleisten das durch persönliche Betreuung vor Ort, effiziente Kommunikationswege und ein dezentrales, leistungsfähiges Standortnetz.” Die Mitglieder würden weiterhin von den persönlichen Ansprechpartnern des Verbandes betreut, die ihnen schon jetzt bekannt sind. Auch der Vorstand wolle nah am Mitglied sein. An den verschiedenen Standorten seien deshalb Entscheidungsträger, also Führungskräfte, der jeweiligen Kernbereiche angesiedelt. Auch mit Veranstaltungen wolle man den direkten Austausch mit den Mitgliedern fördern. “Um diese Idee weiter auszubauen, planen wir zudem die Etablierung von Regionaltagen, in denen die Mitglieder einer Region unmittelbar an der Willensbildung mitwirken können.” Mehrwert verdeutlichenTrotz gelegentlicher kritischer Äußerungen etwa seitens der meinungsstarken Interessengemeinschaft kleiner und mittlerer Genossenschaftsbanken, was weitere Fusionen auf der Verbandsebene angeht, meint Bockelmann, die Stimmung unter den Mitgliedern mit Blick auf die Fusion sei grundsätzlich positiv. “Andere Verschmelzungen in der genossenschaftlichen Welt verdeutlichen außerdem, dass eine Konzentration notwendig ist.” Allerdings habe die Verbandsspitze die Aufgabe, den Mehrwert einer Verschmelzung deutlich zu machen. Das sei möglich, indem man die Nähe zum Mitglied erhalte und das Leistungsangebot verbessere, ohne die Belastung der Mitglieder zu steigern. “Dann werden wir die Unterstützung unserer Mitglieder gewinnen.”Angesprochen auf in der Gruppe geäußerte Befürchtungen, dass durch weitere Verbandsfusionen das Gefühl für das Geschehen an der Basis und die den Verbund prägende dezentrale Aufstellung verloren gehen könnten, meint der Frankfurter Verbandspräsident, Nähe und Regionalität brauchten auch Größe. “Denn nur ein großer Verband kann Spezialisten für Genossenschaften aller Größenordnungen vorhalten. Die Präsenz in den Regionen war das Leitmotiv in unseren Gesprächen und den Fusionsüberlegungen.” Die Gremienstruktur des neuen Verbandes sei dabei besonders von Nähe und Dezentralität geprägt. Der neue Name “Verband der Regionen” sei somit gleichzeitig Anspruch und Versprechen an die Mitglieder.Barkey ergänzt, man habe beim Ausbau der Kooperation geprüft, welche Veranstaltungsformate beide Verbände für den direkten Austausch mit den Mitgliedern vorhalten. Dies seien beispielsweise Dialogabende, Arbeitsausschüsse, Vortrags- und Aussprachetage im Genossenschaftsverband sowie “Politik trifft Praxis”, Bezirkstagungen und Vorstandsforen im RWGV. “Wir haben eine große Vielfalt regelmäßiger Anlässe für den Austausch. Wir schaffen auch immer wieder aktuelle Anlässe in Form von Projekten, in denen Mitglieder von Beginn an eingebunden werden. Das sorgt für Nähe, und das sorgt dafür, dass wir ein Gefühl für das Geschehen an der Basis behalten.” Darüber hinaus könne das Wissen um das Geschehen an der Basis so in die Verbandsarbeit einfließen.Im Fusionsprozess wollen sich die beiden Verbände von einem “gemeinsamen Verständnis einer gleichberechtigten Partnerschaft” leiten lassen und dabei auf einem in knapp zwei Jahren intensiver projektbezogener und strategischer Zusammenarbeit gewachsenen Fundus an Gemeinsamkeiten aufbauen. Nach den bemerkenswert eindeutigen Beschlüssen vom Donnerstag beginnen nun offizielle Fusionsgespräche. Die Verhandlungsergebnisse sollen den Verwaltungsräten in parallel stattfindenden Sitzungen am 13. Dezember zur Beschlussfassung vorgestellt werden. In einer gemeinsamen Sitzung beider Verwaltungsräte und Vorstände am 25. Januar soll dann der Verschmelzungsvertrag unterzeichnet werden. Auf Mitgliederversammlungen am 26. und 27. April soll der offizielle Fusionsbeschluss rückwirkend zum Jahresbeginn 2017 gefasst werden. Der Zusammenschluss bedarf in der Mitgliederversammlung des Genossenschaftsverbandes beziehungsweise beim Verbandstag (Vollversammlung) des RWGV Mehrheiten von jeweils 75 % der Stimmen. Standorte bleiben erhaltenJuristischer Sitz des fusionierten Verbandes soll nach Angaben von Barkey Frankfurt werden. Verwaltungssitze werde es in Düsseldorf, Hannover und Neu-Isenburg geben. Bockelmann betont aber, dass daneben auch alle weiteren Standorte – Berlin, Leipzig, Münster, Schwerin, Koblenz, die Akademiestandorte in Baunatal, Forsbach und Rendsburg sowie die Berufsschule in Münster – erhalten blieben. Schließlich wolle man “Synergien nutzen, um unsere Aufgaben noch besser zu erfüllen, ohne bei der Nähe zu den Mitgliedern Kompromisse machen zu müssen”.Stabilität signalisiert Bockelmann auch hinsichtlich der Arbeitsplätze im vereinigten Verband. “Wir wollen dort, wo Synergien gehoben werden können, diese auch investieren. Denn es gilt, den Verband zukunftsfähig aufzustellen, das bedeutet Stabilität langfristig zu erhalten und damit dauerhaft ein attraktiver Arbeitgeber für unsere Mitarbeiter zu bleiben.” Der Frankfurter Verband hatte Ende vergangenen Jahres 1 065 Mitarbeiter einschließlich Auszubildende, der RWGV gibt seine Beschäftigtenzahl aktuell mit 450 an.Vorstandsvorsitzender des fusionierten Verbandes soll nach einer Absprache der Verwaltungsräte beider Verbände zunächst Bockelmann werden, der im nächsten Jahr sein 60. Lebensjahr vollendet und, wie seit langem unabhängig von der Fusion geplant, Ende 2017 ausscheidet. Zum 1. Januar 2018 soll dann der 55-jährige Barkey an die Verbandsspitze rücken. Als weitere Vorstandsmitglieder sind Siegfried Mehring (derzeit RWGV) sowie Klaus Bellmann, René Rothe und Marco Schulz (alle drei beim Genossenschaftsverband) vorgesehen. “Die Tür bleibt offen”Auf die Frage, ob die beiden heiratswilligen Verbände weitere Organisationen aus der ziemlich bunten genossenschaftlichen Verbändelandschaft (vgl. Grafik) einladen wollen oder schon eingeladen hatten, sich an der Fusion zu beteiligen, sagt Barkey: “Die Tür bleibt für weitere Verbände offen.” Doch zunächst gehe es jetzt darum, die Fusionsgespräche zwischen dem Genossenschaftsverband und dem RWGV zu einem solchen Ergebnis zu bringen, dass die Mitglieder beider Verbände der Verschmelzung zustimmen. Das werde die zentrale Aufgabe in den kommenden Monaten sein.Die Frage, ob man auf dem Weg zu einem nationalen Einheitsverband sei, wie ihn unter anderem sein Vorgänger im Frankfurter Verband, Walter Weinkauf, vor einigen Jahren dezidiert gefordert hatte, beantwortet Bockelmann mit einem eindeutigen “Nein”. Es gebe eine klare Arbeitsteilung zwischen den Verbänden. “Wir brauchen unsere Bundesverbände, um unsere Kraft in der Interessenvertretung und bei bundesweiten Aktivitäten zu bündeln.” Die kooperative und komplementäre Zusammenarbeit in der genossenschaftlichen Organisation stehe daher in keiner Weise zur Debatte. Man wolle sie uneingeschränkt fortsetzen. “Der Verantwortung, welche die zukünftige Verbandsgröße gegenüber allen unseren Partnern mit sich bringt, stellen wir uns. Vertrauen nach innen und außen ist für uns dabei das Wichtigste.” Die Verbände in ZahlenDer RWGV mit rund 700 Unternehmen, davon 182 Banken, und deren 3,3 Millionen Mitgliedern bezeichnet sich als mitgliederstärkste Wirtschaftsorganisation im Rheinland und Westfalen. Außer den Volks- und Raiffeisenbanken gehören dem Verband 160 landwirtschaftliche Warengenossenschaften und Zentralen sowie 361 gewerbliche Dienstleistungs- und Handelsgenossenschaften an. Der Verband setzte im vergangenen Jahr inklusive der GenoBankConsult 65 Mill. Euro um. Der Frankfurter Verband vertritt nach eigenen Angaben in seinem 13 Bundesländer umfassenden Zuständigkeitsgebiet die Interessen von rund 2 200 Mitgliedsgenossenschaften (davon 281 Banken), hinter denen 4,5 Millionen Mitglieder stehen. Der Umsatz des Verbandes betrug im vorigen Jahr 121 Mill. Euro.