Eine ganz neue Form der Kundennähe
Von Bernd Wittkowski, FrankfurtInteresse an einer Makita Motorheckenschere für 15 Euro am Tag? Oder an einem Coleman Kobuk Zelt für drei Personen für 13 Euro? Nein? Dann darf es vielleicht ein Brautkleid für 50 Euro pro Tag sein? Falls ja, wenden Sie sich bitte an die Volksbank oder Raiffeisenbank Ihres Vertrauens. Die hat – in Zeiten von Null- und Negativzinsen stets auf der Suche nach neuen Ertragsquellen – jetzt auch “Leihen und Verleihen” als Geschäftsmodell entdeckt: “Leihen. Verleihen. Du. Jetzt”: So wird der Besucher der Website “genosharing.de” empfangen.Hinter der Idee steht zunächst einmal die schlichte Erkenntnis, dass wohl jeder Mensch eine Menge Dinge besitzt, die er – wie zum Beispiel ein spezielles Gerät für Hobbygärtner – selten oder – wie eine Ferienwohnung – womöglich nur einmal im Jahr oder – wie eben das Brautkleid – hoffentlich nur einmal im Leben braucht und deshalb durch Teilen mit anderen über den Eigenbedarf hinaus verwerten kann.”Sharing Economy” heißt dieses längst auch weit über die bekannten einschlägigen Adressen wie Airbnb oder Uber hinaus etablierte Modell, mit dem sich im Zeichen der Digitalisierung jetzt auch die Kreditgenossen auf moderne Art versuchen. Raiffeisens ModellWobei die Rechtsform der Genossenschaft ja schon im analogen Zeitalter die wohl älteste und am weitesten verbreitete Ausprägung der “Sharing Economy” war. Das Prinzip von Genosharing ist auf geradezu ideale Weise kompatibel mit dem berühmtesten Leitgedanken von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, einem der Urväter des Genossenschaftswesens: “Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.”Genosharing steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Die von der Karlsruher Orga Consulting, einer 100-prozentigen Tochter des genossenschaftlichen IT-Dienstleisters Fiducia & GAD IT, betriebene Plattform ist erst seit einigen Monaten live. Den Verleihern werde noch nicht gerade die Bude eingerannt, räumt Gerd Müller ein. Er bildet mit Stefan Birghan die Geschäftsführung von Orga Consulting. Zusatzerträge generierenDass ein solches Angebot eine gewisse Anlaufzeit braucht, bis es vom Markt angenommen wird, ist indes völlig normal. Es muss sich ja erst einmal herumsprechen, dass es jetzt zum Dienstleistungsspektrum der örtlichen Genossenschaftsbank gehört, ihren Kunden zum Beispiel eine Schlagbohrmaschine oder einen Brotbackautomaten zu vermitteln. Und in der derzeitigen Testphase muss ein Interessent obendrein das Glück haben, im Geschäftsgebiet einer der noch wenigen Pilotbanken zu leben, denn “Leihen und Verleihen” – rechtlich betrachtet geht es allerdings um Mieten und Vermieten – macht bei den typischerweise angebotenen Gegenständen in der Regel nur in der Nachbarschaft Sinn oder wenn zumindest alle Beteiligten in derselben Region ansässig sind. Anders sieht es natürlich bei Wohnungen aus.Vorgenommen hat sich die Orga Consulting bis zu zehn Pilotregionen. Das Interesse der Banken scheint jedenfalls riesig zu sein. Auf ihrer eigenen IT- und Bankenfachmesse fand die Fiducia & GAD Teilnehmern zufolge mit Genosharing enormen Anklang und darf sich durch die breite Zustimmung aus der kreditgenossenschaftlichen Gruppe ermuntert fühlen, die Arbeiten an der Plattform voranzutreiben. Zumal diese für die Banken, die beim ressourcenschonenden und damit sogar noch das Prädikat “nachhaltig” verdienenden Modell “Nutzen statt Kaufen” mitmachen, nicht nur Zusatzerträge in Form von Vermittlungsprovisionen generiert. Darüber hinaus bietet sich auch die Möglichkeit, auf diesem Weg mit neuen potenziellen Firmenkunden ins Gespräch und möglichst auch ins Geschäft zu kommen. Genosharing ist offen für gewerbliche Anbieter. Netzwerker in der RegionDie Plattform ist indes nur ein Baustein der modernen Digitalwirtschaft. Parallel arbeitet die Fiducia & GAD an einer überregionalen Digitalplattform, mit der sich die Volks- und Raiffeisenbanken “als Vertrauensbroker auch für bankfremde lokale Ökosysteme im digitalen Raum positionieren können”, so der Vorstandsvorsitzende des IT-Dienstleisters, Klaus-Peter Bruns, im vorigen Jahr in der Börsen-Zeitung. Das betreffe zum Beispiel Online-Angebote kommunaler Versorger oder themenorientierte Communities im Netz. “Die Genossenschaftsbanken erhalten dadurch die Chance, ihre traditionellen Stärken – insbesondere ihre regionale Verwurzelung – in eine ganz neue Form der Kundennähe umzumünzen.” Die Zusammenarbeit und die kollektive Intelligenz der genossenschaftlichen Finanzgruppe böten die ideale Voraussetzung für ein solches digitales Ökosystem, heißt es in einer aktuellen Veröffentlichung der Rechenzentrale.Für Carsten Pfläging, der im Vorstand von Fiducia & GAD das Ressort “Entwicklung und Integration” verantwortet, verschaffen Genosharing und weitere einschlägige Digitalplattformen den Instituten die Möglichkeit, noch über ihre angestammte Rolle eines vor Ort engagierten Bankpartners hinaus als “Netzwerker in der Region” zu fungieren und durch Partnerschaften, auch branchenübergreifend, Mehrwert für die Kunden zu erzeugen. Dies sei ein echtes Differenzierungsmerkmal gegenüber den großen Spielern, so Pfläging im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Auf die Plattformen könne im Prinzip jede Leistung genommen werden, die aus Kundensicht von Interesse ist: im Zusammenhang mit einer Baufinanzierung oder einem Immobilienkauf des Kunden etwa Angebote lokaler beziehungsweise regionaler Maler, Gärtner oder Möbelhändler.Während sich Apple, Google & Co. zunehmend im Finanzgeschäft breitmachen, dringen hier also umgekehrt herkömmliche Kreditinstitute ein Stück weit in eher bankfremde Gefilde vor. Womit wiederum gerade die Volks- und Raiffeisenbanken keineswegs absolutes Neuland betreten: Man denke nur an den landwirtschaftlichen Warenhandel der Raiffeisenbanken, der schon in der Zeit des 1818 geborenen Namensgebers untrennbar mit dem Geldgeschäft verknüpft war und teilweise bis heute eine gewisse Rolle spielt.Die aktuelle Erweiterung des Geschäftsmodells, mit der freilich auch eine Veränderung des Berufsbildes des Bankers einhergeht, könnte für die Banken letztlich sogar ein Beitrag zur Existenzsicherung sein. Wenn man sich nämlich vor Augen hält, wie sehr heute nicht nur der Zahlungsverkehr, sondern die ganze tradierte Dienstleistungspalette von der Konkurrenz der Fintechs und Big Techs angegriffen wird. VertrauenssacheDamit bei Genosharing bald richtig “der Punk abgeht”, müssen aber nicht nur die teilnehmenden Banken und ihre Angestellten die Innovation annehmen. Nicht zuletzt ist seitens der Privatkunden eine Hemmschwelle zu überwinden: “Kann ich diesem mir bisher unbekannten Interessenten aus demselben Ort wirklich mein Malibu Surfboard anvertrauen?” Oder: “Bekomme ich die Drohne, die ich dem Nachbarn vermietet habe, womöglich geschrottet zurück?” Vermieten ist eben Vertrauenssache. Aber bei der Wohnungsüberlassung (Airbnb) funktioniere es ja auch, sagt Müller. Zur zusätzlichen Vertrauensbildung der Genosharing-Nutzer soll zudem neben der Bewertung durch bisherige Kunden auch eine von der genossenschaftlichen R + V speziell für Sharing-Modelle entwickelte Schadensversicherung beitragen.Die Chancen stehen mithin gar nicht schlecht, dass der Orga-Consulting-Geschäftsführer bald Mieter für seine Autodachbox findet – angeboten hat er sie selbstverständlich auf “genosharing.de”.