Eine Garage als Start-up für Start-ups
Anfang des Jahres hat die Comdirect Bank ihre Start-up Garage im Hamburger Schanzenviertel eröffnet. Seitdem sind drei Fintechs dort eingezogen. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erläutern Arno Walter, CEO der Comdirect Bank, und Mariusz Bodek, Gründer und Leiter der Start-up Garage, die im ersten halben Jahr gesammelten Erfahrungen und warum Kooperation für die Direktbank der Königsweg im Umgang mit Start-ups ist.Von Franz Công Bùi, HamburgIm Fünfminutentakt rauscht lautstark eine S-Bahn vorbei und unterbricht den Gesprächsfluss. Die Gleise befinden sich direkt hinter dem Hamburger Betahaus, in dem die Comdirect Start-up Garage ihr Domizil gefunden hat – mitten im Sternschanze genannten Stadtteil der Hansestadt, unmittelbar um die Ecke der berüchtigten Roten Flora. Das Gebäude mit seinen glatten Betonwänden auch in den Büros ziert der raue Charme eines Provisoriums. Und die vorbeibretternden Züge erinnern permanent daran, dass auch die Zeit unaufhaltsam vorbeirauscht. Das Wort “Garage” im Namen unterstreicht zwar den provisorischen Charakter der Einrichtung, weist aber gleichzeitig den Weg in eine verheißungsvolle Zukunft, denn in einer Garage hatte Steve Jobs vor vierzig Jahren gemeinsam mit Steve Wozniak und Ronald Wayne Apple Computer aus der Taufe gehoben.Mit der Start-up Garage verfolgt die Comdirect fürs Erste das Ziel, innerhalb weniger Monate gemeinsam mit Fintech-Gründern zunächst ein Basisprodukt und ein Vermarktungsmodell dazu zu entwickeln. Es gehe darum, an die früheste Phase einer Idee zu gelangen. Dabei kalkuliert Arno Walter, CEO der Comdirect Bank, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung explizit mit ein, dass auch Ideen dabei sein werden, die nicht funktionieren: “Wenn du etwas Neues ausprobieren willst, gehört heute Scheitern ganz klar dazu. Das ist aus meiner Sicht absolut in Ordnung.” “Scheitern gehört dazu”Deswegen probiere man es ja aus, und manchmal sei die Welt auch einfach noch nicht so weit: “Ein schönes Beispiel ist das Thema WAP-Banking, das war zunächst der Megahype. Und dann hat man gesagt, das Thema ist tot, das funktioniert nicht. Manchmal ist ein Thema vielleicht einfach erst viel später reif. Damals war alles deutlich komplizierter, heute gibt es die Bandbreiten und die Geschäftsmodelle.” Die Auswahl zu treffen, sei jedoch nicht so leicht, erklärt Mariusz Bodek, Gründer und Leiter der Start-up Garage. Seit Ankündigung des Projekts vor zehn Monaten seien knapp 350 Bewerbungen eingegangen. Dass bislang nur drei Start-ups in die Garage eingezogen sind, habe jedoch nichts damit zu tun, dass darunter total viele schlechte Ideen gewesen wären: “Bei vielen Ideen lässt sich nicht sagen, ob das vielleicht das nächste Airbnb oder Dropbox ist oder ob es vielleicht größer ist, als Google im Bankwesen jemals sein könnte. Das ist nun mal nicht gleich erkennbar.”Nach einem halben Jahr zieht Walter nun das Zwischenfazit, dass der Schritt zur Gründung der Garage goldrichtig sei. Der Ansatz, dass die Fintechs beziehungsweise ihre Gründer ihr Know-how und ihre Ideen mitbringen und die Comdirect ihren Part hinzufügt, habe sich als ein sinnvolles Vorgehen erwiesen. Bei vielen Dingen würde die Direktbank in dem Prozess auch noch dazulernen. Bodek beschreibt die Garage als so etwas wie eine Art Start-up-Projekt im eigenen Unternehmen.Ursprünglich war vorgesehen, dass Start-ups jeweils für drei Monate in der Garage einquartiert werden und ein Budget in Höhe von 10 000 Euro erhalten. Doch eine Lehre aus dem ersten halben Jahr war Bodek zufolge, dass eine gewisse Flexibilität vonnöten ist. Es brauche zwar feste Rahmenparameter, aber man dürfe das nicht zu dogmatisch handhaben. Beispielsweise kämen Kosten für Coachings noch oben drauf und auch einige interne Ressourcen würden für die Datenzulieferung oder Workshops abgestellt. Das zur Verfügung gestellte Gesamtpaket könne so einen Wert von bis zu 50 000 Euro erreichen. Wie hoch das Budget innerhalb der Comdirect für die Garage veranschlagt ist, das behalten die Quickborner für sich. Auch mit Blick auf die Zeitplanung sei man variabler geworden, denn es habe sich gezeigt, dass die Jungunternehmen bis zu vier Monate mit der Garage verbunden blieben. Den ersten Monat bräuchte man allein schon für die Terminplanung und um alle relevanten Ansprechpartner zu finden sowie miteinander warm zu werden. Und ein Start-up sei, wie Walter beschreibt, zum Beispiel mit Verzögerung gestartet, weil die Gründer zunächst noch ihre Abschlussprüfungen an der Universität absolvieren wollten. Mittlerweile gebe es zudem auch nicht mehr das Dogma, dass Hamburg der Standort sein müsse. Das Programm sei in den letzten Wochen umgestrickt worden, und wenn jetzt ein Start-up aus Thailand oder den USA käme, könne es auch per Telearbeit bei sich vor Ort arbeiten und würde dann punktuell für Abstimmungsworkshops eingeladen.Eine direkte Beteiligung an den Start-ups sei zwar initial nicht vorgesehen, aber Walter will das nicht für alle Zeiten ausschließen. Die Comdirect behalte sich natürlich vor, auch noch weitere Schritte mit den Gründern zu gehen. Aus seiner Sicht sollte jedoch vermieden werden, mit einer Debatte über eine etwaige spätere Beteiligungsstruktur die Kreativität der Gründer zu beschneiden oder gar zu ersticken. Und letztlich müsse sich ja erst noch weisen, ob die Idee tatsächlich funktioniert. Bei den ersten beiden Start-ups der Garage, Neontrading, die eine semantisch angehauchte Wertpapiersuche entwickelt hat, und Anyfolio, die einen Motif-Investing-Ansatz verfolgen, werde derzeit geprüft, ob und wie gemeinsam weitergemacht wird. Das dritte Start-up, Fingym, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, die “finanzielle Fitness” der Deutschen zu verbessern (siehe Artikel unten), hat erst Mitte Mai die Garage bezogen.Flexibilität und Agilität sind aus Walters Sicht entscheidend, denn derzeit fände ein brutaler Wandel statt durch die Digitalisierung, die unser Leben verändert. Um die Dynamik der Veränderung von Technologie und Kundenverhalten zu umschreiben, zieht Walter eine Analogie zur Musikbranche: Früher habe es Schallplatten gegeben, die über 50 Jahre der bestimmende Tonträger gewesen seien. Dann seien die CDs gekommen, die 20 Jahre eine dominante Rolle gespielt hätten, dann jedoch vom MP3-Format abgelöst worden seien. Und zehn Jahre später sei das Streaming zur bestimmenden Plattform geworden. Ähnliche Entwicklungszyklen sieht Walter auch im Bereich Finanzen.Die Garage spielt laut Bodek indes eine wichtige Rolle für das Innovationsmanagement, das in den vergangenen anderthalb Jahren in der Comdirect aufgebaut wurde. “Ideen kommen von überall. Die Garage ist dabei ein Kanal. Wir bündeln damit Ideen, die von außen kommen. So erhalten wir, wenn man so will, eine sehr zielgerichtete Ideen-Autobahn. Dadurch können wir schnell entscheiden, was wir unterstützen wollen oder auch nicht”, beschreibt Bodek den sich ergebenden Vorteil. Auch mit etablierten Jungunternehmen werde schon lang kooperiert. Doch die Suche nach gänzlich neuen Ansätzen gewinnt an Bedeutung, wie Bodek unterstreicht: “Wir wollen nicht wie einige andere einfach nur kooperieren und mit etablierten Start-ups den nächsten Use Case, den schon jede dritte Bank hat, anbieten. Wir wollen bei Themen, die einen Strategie-Fit haben, die erste Anwendung anbieten. Der First-Mover-Effekt ist für uns da deutlich nachhaltiger.” Walter betont: “In der digitalen Welt werden die, die schnell sind und die richtigen Ideen haben, auch die Gewinner sein.”Die Herangehensweise der Comdirect an Fintechs bezeichnet Walter als “Coopetition”, eine Kombination aus den Worten Cooperation und Competition. Eine Bank könne nicht alles selber bauen und über die Garage ließen sich Menschen mit tollen Ideen erreichen, denen man im Gegenzug einiges bieten könne, etwa was die Themen Regulierung oder Datenschutz angeht. Zudem verfüge die Comdirect gemeinsam mit ihrer Tochter Ebase über drei Millionen Online-Kunden. Bis ein Start-up ein paar Hunderttausend Nutzer hat, mit denen es irgendwann Geld verdienen kann, sei es ein verdammt langer Weg. Das sei auch ein Grund, warum es eine so hohe Nachfrage nach der Garage gebe, auch von sehr etablierten Firmen, die man kaum noch als Start-up bezeichnen könne.Derzeit ist die Comdirect – zum Teil über Ebase – Kooperationen mit unterschiedlichsten Partnern wie Gini, Moneymeets, Toptrade, Wikifolio, Cashboard, Easyfolio, Fintego und eben den drei Start-ups aus der Garage eingegangen. Hierbei gebe es vier unterschiedliche Modelle. Die gemeinsame Entwicklung von Ideen und Produkten wie etwa bei der Comdirect-Bezahl-App Smartpay, die in Kooperation mit Gini entstanden ist. Oder aber das Zurverfügungstellen einer Vermarktungsplattform wie etwa bei Wikifolio. Oder auch bloß die Bereitstellung einer Schnittstelle ins Comdirect-Depot wie für die Trading-App von Toptrade. Und bei Cashboard sei die Comdirect über Ebase lediglich mit einer White-Label-Lösung im Hintergrund die depotführende Bank. Walter ist auch für die Zukunft überzeugt: “Es gibt nicht das eine Modell, das für alle passt. Deswegen verfolgen wir ein offenes Ökosystem.”