FINANZEN UND TECHNIK - GASTBEITRAG

Eine Kapitalmarktrevolution namens Blockchain

Börsen-Zeitung, 1.3.2016 Das Thema Blockchain ist derzeit in aller Munde. Kein Wunder: Die Technologie steckt voller Verheißungen wie Transparenz, Schnelligkeit und Effizienz. Damit stehen die Kapitalmärkte vor einer Revolution. Zwar wissen wir noch...

Eine Kapitalmarktrevolution namens Blockchain

Das Thema Blockchain ist derzeit in aller Munde. Kein Wunder: Die Technologie steckt voller Verheißungen wie Transparenz, Schnelligkeit und Effizienz. Damit stehen die Kapitalmärkte vor einer Revolution. Zwar wissen wir noch nicht ganz genau, was die Blockchain aus unserem Geschäft machen wird. Sicher ist aber, dass die Technologie den Wertpapierbereich vereinfachen und verbessern kann. In Zeiten flächendeckenden Kostendrucks und immer schnelleren Prozessen im gesamten Finanzsektor wird die Blockchain uns allen wertvolle Dienste leisten.Noch arbeiten wir in einer Welt der doppelten Buchführung und zweitägiger Erfüllungszeiträume in vielen Assetklassen. Der Nachhandel ist siloartig aufgebaut. Wenn künftig die Möglichkeit besteht, das Transaktionslogbuch der Blockchain zu nutzen, um die an den Wertpapierhandel anschließenden Zahlungs- und Eigentumsübergangsprozesse abzuwickeln, brauchen wir keine doppelte Buchführung mehr, und Transaktionen können nahezu in Echtzeit abgewickelt werden.Auch das regulatorische Reporting, das viele Marktteilnehmer vor bisweilen erhebliche Herausforderungen stellt, würde deutlich einfacher. Die Aufseher bekämen den von ihnen angestrebten umfassenden Einblick in das Marktgeschehen. All das mag einzeln betrachtet nicht sonderlich aufsehenerregend klingen. Zusammengenommen käme es aber einer Revolution am Kapitalmarkt gleich. Schließlich kämpft Europa auch im Jahr 2016 noch mit einer Fragmentierung der Finanzmärkte, die auch die einheitliche europäische Wertpapierabwicklungsplattform Target2 Securities (T2S) nicht gänzlich wird beseitigen können. In den USA verdeutlichen Börsenpannen regelmäßig, dass die dortigen Systeme ihre Schwächen haben. Das gilt auch für den Nachhandel mit seinen fragmentierten Prozessen und einer in die Jahre gekommenen Infrastruktur.Erste Tests haben gezeigt, dass die Blockchain pro Sekunde 5 000 Wertpapiertransaktionen verarbeiten kann. Manch einer erwartet, dass es deutlich mehr 100 000 sein werden, wenn die Technologie eines Tages den Kinderschuhen entwachsen ist. Unternehmen wie Digital Assets, an dem sich die Gruppe Deutsche Börse beteiligt hat, tun aber alles, um die Möglichkeiten der Technologie auszuloten und zur Reife zu bringen.Das wird allerdings noch eine Weile dauern. Neben technischen Herausforderungen – Stichworte sind Speicherplatz, Stromverbrauch und IT-Sicherheit – sind auch etliche regulatorische Fragen zu klären. Vor allem aber müssen die Marktteilnehmer überzeugt werden. Während Erleichterungen in der Buchführung und im Reporting sowie kürzere Erfüllungszeiträume auf flächendeckende Zustimmung stoßen dürften, ist unklar, wie viel Transparenz begrüßt wird. Denn eins ist klar: Kein Investor will, dass seine Kauf- oder Verkaufsabsichten am Kapitalmarkt für alle einsehbar sind. Der wichtigste Punkt an dieser Stelle ist, dass die Marktteilnehmer der Stelle, welche die Blockchain betreibt, vertrauen müssen. Und wer ist in dieser Hinsicht besser positioniert als Marktinfrastrukturbetreiber, die seit Jahrzehnten für den reibungslosen Handel und eine zuverlässige Verrechnung und Abwicklung stehen? 2016 – Jahr der TatenDas neue Jahr ist erst wenige Wochen alt, und schon haben etliche Initiativen für Schlagzeilen gesorgt, die zeigen: 2016 wird in puncto Blockchain das Jahr der Taten. Die verschiedenen Industrieinitiativen zur Blockchain-Technologie dürften erste Prototypen vorlegen, die dann den Lackmustest durchlaufen müssen. Anschließend wird weitergetüftelt werden. Angesichts der erheblichen Herausforderungen ist nicht damit zu rechnen, dass der erste Wurf sitzt. Noch nicht massentauglichNoch ist zumindest im Kapitalmarktgeschäft kein Anwendungsfall vorgelegt worden, der im Massengeschäft praxistauglich wäre. Zwar kann der gesamte Handelszyklus einer Unternehmensanleihe – also der Trade an sich, das Clearing und das Settlement – in einer Distributed Ledger durchgeführt werden. Das allein ist aber noch kein Indikator dafür, dass das gesamte Geschäft mit Corporate Bonds künftig wirklich in der Blockchain stattfinden wird.In der Frage, welche Dienste die Technologie genau leisten kann, dürften Marktteilnehmer noch die eine oder andere Überraschung erleben. Schlicht anzunehmen, dass die Blockchain Nachhandelsprozesse überflüssig macht, ist sicher zu kurz gesprungen. Marktinfrastrukturanbieter wie die Deutsche Börse werden weiterhin eine wichtige Rolle spielen und auch weiterhin Nachhandelsdienstleistungen anbieten, nur werden diese unter Umständen anders aussehen als heute.Bei all den jetzt anstehenden Arbeiten ist es entscheidend, rechtzeitig Industriestandards zu entwickeln. Ansonsten droht erneut Fragmentierung – und die ist nicht nur teuer. Sie hemmt auch das Wirtschaftswachstum, das Politiker und Notenbanken weltweit anzukurbeln versuchen. Verbindliche Verabredungen über den Einsatz der Blockchain können diese Bemühungen unterstützen, wenn es gelingt, die Technologie – beziehungsweise einzelne Varianten davon – im Massengeschäft zum Laufen zu bringen und dabei gleichzeitig die Stabilität der Märkte zu verbessern und Investoren den Handel sowie das Settlement zu erleichtern.—-Marc Robert-Nicoud, CEO Clearstream Holding