„Eine Mammutaufgabe für uns alle“
Thomas Spengler.
Herr Klein, Sie sind noch im vergangenen März davon ausgegangen, im Jahr 2022 den Tiefpunkt des Ergebnisrückgangs von Schwäbisch Hall zu erreichen. Ist es dabei geblieben?
Nein, wir sind deutlich besser durch das vergangene Jahr gekommen als gedacht. Nachdem unser Vorsteuerergebnis 2020 auf 81 Mill. Euro gesunken war, werden wir für 2021 nach vorläufigen Zahlen wieder einen dreistelligen Gewinn ausweisen und Richtung 130 Mill. Euro gehen. Angesichts der herausfordernden Rahmenbedingungen sind wir mit dieser Ergebnisentwicklung zufrieden. Und wir planen, das Ergebnis in den nächsten Jahren weiter zu steigern.
Was sind die Ursachen für die frühere Trendumkehr?
Dazu trägt sowohl die Erlös- als auch die Kostenseite bei. Dementsprechend wird sich auch unsere Cost-Income-Ratio 2021 von 83 auf rund 78 % verbessern. Wir konnten unter anderem durch das sehr gute Neugeschäft das Zinsergebnis stabilisieren. Außerdem fiel die Risikovorsorge im Kreditgeschäft geringer aus als geplant. Das lag an der stabilen Konjunkturentwicklung und den geringeren Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die deutsche Wirtschaft.
Wie ist die Entwicklung bei Baufinanzierungen?
Wir blicken dort mittlerweile auf unser fünftes Rekordjahr in Folge zurück, in dem wir stärker als der Markt gewachsen sind. Im Geschäftsfeld Baufinanzierung inklusive Zwischenkrediten und Bauspardarlehen konnten wir 2021 um 5,5 % auf 20,2 Mrd. Euro zulegen. Damit sind wir unter den Top 3 der deutschen Baufinanzierer. Jeweils hälftig landet das Geschäft bei den genossenschaftlichen Instituten und in unseren eigenen Büchern.
Wie sieht es konkret im Geschäftsfeld Bausparen aus?
Beim Bausparen sichert uns das Neugeschäft von 24 Mrd. Euro einen stabilen Marktanteil von rund 30 %. Das Bruttoneugeschäft bewegt sich dabei auf Vorjahreshöhe, im eingelösten Neugeschäft liegen wir etwas darunter. Durch neue Tarife haben wir die Ertragsseite gestärkt. Einen signifikanten Beitrag hat dabei unser neuer Tarif mit einer Abschlussgebühr von 1,6 % und einem Darlehenszins ab 0,95 % geleistet. Wir richten uns damit vor allem an Kunden mit einem konkreten Finanzierungswunsch. Mit dem neuen Tarif ist die durchschnittliche Bausparsumme von rund 50 000 Euro auf 62 000 Euro gestiegen.
Der Altbestand Ihrer Bausparverträge gilt immer noch als defizitär.
Wir sind hier im Rahmen der vertraglichen Möglichkeiten weiter gut vorangekommen. Darüber hinaus laufen auch viele Verträge über den normalen Vertragslebenszyklus aus. Aber natürlich wird uns das Thema auch in den nächsten Jahren weiter beschäftigen. Zu den konkreten Zahlen kann ich wie in den Vorjahren aus Wettbewerbsgründen keine Aussagen machen.
Sie bauen seit Jahren zusammen mit den Bausparkassen BHW und Wüstenrot an einem gemeinsamen Kernbankensystem. Wie weit sind Sie mittlerweile gekommen?
Wir haben im Herbst 2021 unser Neugeschäft in der Baufinanzierung sowie das Vertriebs-Back-Office für Außendienst und Banken auf das neue Kernbankensystem SAP4/Hana gehoben. In diesem Bereich haben wir den Lead. Parallel dazu hat das BHW, das für den Bereich Bausparen im Lead ist, im Herbst das Bausparsystem produktiv genommen. Als nächster Schritt auf unserer Seite folgt bis Ende des Jahres die Migration des Baufinanzierungsbestands. Damit haben wir dann die technische Basis für die digitale Transformation auf eines der modernsten Kernbankensysteme in der Finanzindustrie gelegt – und liegen nur minimal hinter unserem Zeitplan.
Welche Bedeutung hat das Projekt für die drei beteiligten Institute?
Wir haben mit den beiden Mitbewerbern zusammen rund 60 % Marktanteil. Damit können wir in der Technologie schon behaupten, einen Marktstandard zu setzen. Die Zusammenarbeit beim Bau des neuen Kernbankensystems für Bausparverträge und Hypothekendarlehen funktioniert seit Jahren sehr gut. Der Kostenrahmen liegt bei einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Die Verteilung der Kosten funktioniert nach einem unter den drei Partnern vereinbarten Kostenschlüssel. Schließlich schafft das System SAP4/Hana die Voraussetzungen für weitere Automatisierung und Digitalisierung mit der Aussicht auf künftige Kostenvorteile. Unser nächstes Ziel wird sein, den Baufinanzierungsprozess komplett zu digitalisieren.
Wie weit sind Sie bei der Digitalisierung des geschäftlichen Alltags?
Wir verfolgen drei Stoßrichtungen bei der Digitalisierung. Einmal betrifft das unser Kerngeschäft: Der Schwerpunkt liegt dabei auf der End-to-End-Digitalisierung unserer Baufinanzierung. Hier arbeiten wir im ersten Schritt an der Automatisierung unserer Vertragsbearbeitung. Zweitens haben wir uns im immer wichtiger werdenden Plattformgeschäft gut positioniert: Unser Vermittler-Marktplatz Baufinex ist inzwischen die drittgrößte und wachstumsstärkste B2B-Plattform für Baufinanzierungen. Die eingereichten Darlehensanfragen belaufen sich auf 8 Mrd. Euro. Das ist ein Plus von mehr als 50 %. Rund 90 % der Darlehen wandern in die Bücher der genossenschaftlichen Banken. Baufinex hat knapp 500 Produktgeber, darunter 300 aus dem Bereich der genossenschaftlichen Finanz-Gruppe und 4 300 angebundene, freie Baufinanzierungsvermittler. Und ganz nebenbei ist Baufinex mit 70 Mitarbeitern ein erfolgreiches Start-up in der Provinzmetropole Schwäbisch Hall. Durch die Erschließung neuer digital gestützter Vertriebskanäle für die genossenschaftliche Organisation trägt Baufinex immer stärker zum Baufinanzierungsergebnis unserer Finanzgruppe bei.
Sie sind im April 2021 bei dem Fintech der PSD-Banken, Impleco, mit 50 % eingestiegen. Was erwarten Sie sich davon?
Genau, das ist unsere dritte Stoßrichtung – der Aufbau neuer Geschäftsmodelle. Im Kern geht es dabei um den Ausbau des Ökosystems „Bauen und Wohnen“ innerhalb des genossenschaftlichen Verbunds. Dafür haben wir die Reichweite unseres Portals Wohnglück.de eingebracht, das mit Informationen rund um Bauen, Modernisieren und Wohnen monatlich eine Million User erreicht. Impleco hatte – teilweise kostenpflichtige – Services im Angebot. Dazu zählen beispielsweise die Bewertung von Immobilien, Modernisierungschecks, Mängelprüfung und Baubegleitung. Diese Kombination bildet den Nukleus für das genossenschaftliche Ökosystem „Bauen und Wohnen“. Bereits mehr als 20 Banken haben die Services in ihr Angebot eingebunden. Wir wollen damit den Aufbau von Geschäftspotenzialen über klassische Finanzierungen hinaus ermöglichen.
Wie günstig ist für Sie die Refinanzierung über Pfandbriefe?
Das hängt von der jeweils aktuellen Kapitalmarktsituation ab. Wir haben 2021 unseren zweiten und dritten Pfandbrief über jeweils 500 Mill. Euro begeben, mit einer Rendite von 0,21 beziehungsweise 0,26 %. Mit der Möglichkeit, Pfandbriefe zu emittieren, verbessern wir unsere Refinanzierung.
Wie wird sich die Digitalisierung auf die Belegschaft auswirken?
Die Zahl unserer Mitarbeiter im Innen- und Außendienst liegt derzeit inklusive 200 Auszubildenden stabil bei 6 500. Was wir in einem Bereich durch Digitalisierung und Automatisierung an Aufgaben abbauen, benötigen wir in anderen Bereichen an neuen Skills. Meist sind das dann deutlich andere Aufgaben. So bilden wir auf der einen Seite derzeit unsere eigenen Smart-Data-Experten aus und haben andererseits mehr als 20 Software-Roboter in der Bearbeitungsstraße für Bausparverträge und Baudarlehen im Einsatz, die zumeist standardisierte Prüftätigkeiten ausführen.
Inwieweit hat die Pandemie digitale Lernprozesse beschleunigt
Nicht nur die digitalen Lernprozesse haben sich beschleunigt, alle Digitalisierungsprozesse haben sich sprunghaft entwickelt. Im Umgang mit Kunden hat sich der Ropo-Effekt verstärkt, wonach sich Verbraucher online informieren, bevor sie etwa eine persönliche Beratung suchen: 90 % der Baufinanzierungen beginnen digital bei der Infosuche. Statt dann in die Bank zu gehen, greifen viele Interessenten zur Videoberatung, um sich zu informieren. Der Abschluss einer Baufinanzierung funktioniert zwar nach wie vor meist noch face-to-face. Aber bereits 22 000 Abschlüsse sind bei uns per Videoberatung zustande gekommen.
Was denken Sie, wird davon nach der Pandemie übrigbleiben?
Im Unternehmen selbst ist mobiles Arbeiten Alltag geworden. Wir haben uns schon vor der Pandemie mit Leitplanken zu mobilem Arbeiten beschäftigt, die jetzt im Haus fest verankert sind. Die meisten Kollegen sind einige Tage im Haus und arbeiten an anderen Tagen von Zuhause. Pandemiebedingt haben wir zurzeit eine Anwesenheitsquote von 20 bis 25 %. Nach dem harten Lockdown hat man aber bei allen gespürt, dass gerade bei kreativen Prozessen oder in kritischen Projektphasen der persönliche Austausch und das Arbeiten an einem Ort wichtig sind – und wichtig bleiben werden.
Inwieweit ändert sich das Geschäftsmodell der Bausparkassen mit der steigenden Bedeutung der Baufinanzierung?
Die Bausparkassen sollten sich auf das konzentrieren, wofür sie gegründet wurden – nämlich Kunden ermöglichen, Eigenmittel zum Erwerb der eigenen vier Wände anzusparen und anschließend die Immobilie mitzufinanzieren. Aufgrund der langanhaltenden Niedrigzinsen haben die Sofortfinanzierungen an Bedeutung gewonnen. Die Aussicht auf steigende Zinsen wird zu einer Stärkung des Bauspargeschäfts führen. Mit diesen beiden Komponenten stehen wir also auf zwei soliden Beinen.
Egal wohin sich der Zins entwickelt?
Zumindest sind wir nicht mehr so abhängig von der Zinsentwicklung wie früher. Für uns ist es eher wichtig, wie sich der gesamte Markt für Wohnimmobilien entwickelt: Das Finanzierungsvolumen ist von 230 Mrd. Euro im Jahr 2017 auf 285 Mrd. Euro im vergangenen Jahr gestiegen. Und wir glauben, dass es weiter leicht nach oben geht. Hier spielen der allgemeine Wohnungsbau, Maßnahmen zum Klimaschutz, steigende Immobilienpreise und die Zinsentwicklung eine Rolle. Außerdem hat die Pandemie den Wunsch nach den eigenen vier Wänden beflügelt.
Ein Wunsch, den sich immer weniger leisten können.
Richtig. Nur 15 % der Mieterhaushalte verfügen über Eigenkapital von mindestens 60 000 Euro. Unter der Annahme, dass man beim Immobilienerwerb 20 % an Eigenkapital beisteuern sollte, könnten sich diese Menschen Immobilien im Wert von höchstens 300 000 Euro leisten – und wo finden junge Familien Objekte in dieser Preisklasse noch? Daran erkennt man eine echte soziale Schieflage, die wir lösen müssen. Daher muss die Politik den Aufbau von Eigenkapital stärker fördern, wie etwa durch die Wohnungsbauprämie oder auch durch eine Verbesserung der Arbeitnehmersparzulage
Welche Wünsche haben Sie an die Ampel-Koalition?
Bezahlbares Wohnen bleibt die zentrale soziale Frage der nächsten Jahre. Deshalb müssen die Kaufnebenkosten, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, sinken. Dies kann entweder als Grunderwerbssteuer-Freibetrag für den erstmaligen Erwerb von Wohneigentum geschehen, wie von der FDP vorgeschlagen, oder als Stufentarif erfolgen, wie es die Grünen wollen. Ohnehin sollten die Baukosten grundsätzlich günstiger werden: durch die Entschlackung der Baubürokratie und bessere Rahmenbedingungen für serielles Bauen. Darüber hinaus können entsprechende Infrastrukturmaßnahmen den ländlichen Raum wiederbeleben, womit wir die Ballungsräume entlasten können.
Immerhin wurde zum 1. Januar 2021 die Wohnungsbauprämie erhöht.
Schon jetzt ist klar, dass die überarbeitete Wohnungsbauprämie ihre Wirkung erzielt, weil der Kreis der Berechtigten erweitert wurde. Für eine verlässliche Bilanz ist es noch zu früh, aber laut Empirica-Erhebung führt die Erhöhung dazu, dass zusätzlich 1,4 Millionen Bundesbürger mehr sparen werden. Angesichts fehlender Sparzinsen ist die Wohnungsbauprämie ein wesentlicher Baustein, um die Eigenkapitalhürde bei der Baufinanzierung zu senken.
Wie sehen Sie die Zukunft von Wohn-Riester?
Durch die geänderte Zinssituation hat das Riester-Modell, nach dem 16 Millionen Deutsche sparen, an Attraktivität verloren. Grundsätzlich aber funktioniert das Prinzip. Wir können gerne neu darüber sprechen, wie man eine immobiliengestützte Altersvorsorge in eine Deutschlandrente oder Ähnliches integrieren könnte. Aber klar ist: Die Kritik an der Riester-Rente betrifft gerade nicht die Wohn-Riester-Produkte der Bausparkassen, die auch von Verbraucherschützern positiv hervorgehoben werden. Es lohnt sich also, dieses Modells zu überarbeiten, indem man den Kreis der Förderberechtigten ausweitet, die Fördersystematik und die Abwicklung vereinfacht und die Verzinsung beim Wohnförderkonto endlich absenkt.
Die Bausparkassen spielen eine große Rolle bei der Finanzierung der Klimaschutzziele. Wo sehen Sie die wesentlichen Ansatzpunkte?
Es braucht einen Masterplan, um den Gebäudebereich, der für 120 Mill. Tonnen an CO2-Emissionen steht, klimaneutral zu gestalten. Wir müssen insgesamt schneller werden und mehr Wirkung erzielen, um bis 2030 das Einsparziel von jährlich 67 Mill. Tonnen zu erreichen. Dazu müssen wir die langen Austauschzyklen bei Heizungen überwinden und den Ausbau der Solarenergie deutlich steigern. Über 50 % der Heizungen sind älter als 15 Jahre. Bei der Dämmung muss man zuerst an den Altbestand heran, weil es dort am meisten Einsparpotenzial gibt.
Wie kriegt man mehr Tempo in den Prozess?
Die aktuellen Förderprogramme wirken zwar, müssen aber bekannter werden, um die Sanierungsquote zu verdreifachen – und die Kosten im Griff zu behalten. Dann wäre es wichtig, etwas für die Ausbildung im Bauhandwerk zu tun, um die dortigen unzureichenden Ressourcen zu stärken. Und schließlich gilt es, in Richtung serielles Bauen, also Bauen mit industriell vorgefertigten Standardbauteilen, zu denken. Dazu hat Bundesbauministerin Klara Geywitz jetzt zurecht Modellprojekte angekündigt. Wir müssen es schaffen, dass bis 2030 fast jeder zweite Wohneigentümer seine Immobilie CO2-neutral bekommt, wenn wir den Klimapfad einhalten wollen. Das wird eine Mammutaufgabe für uns alle!
Das Interview führte