LEITARTIKEL

El dinero electrónico

Geldwäsche, Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung - geht es nach den vehementesten Befürwortern der Digitalisierung der Zahlungsströme wird Bargeld vor allem für solche Zwecke eingesetzt und sollte deshalb möglichst schnell verschwinden. Dann wäre auch...

El dinero electrónico

Geldwäsche, Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung – geht es nach den vehementesten Befürwortern der Digitalisierung der Zahlungsströme wird Bargeld vor allem für solche Zwecke eingesetzt und sollte deshalb möglichst schnell verschwinden. Dann wäre auch Schluss mit Tankstellenüberfällen und Straßenraub, glauben Optimisten. Noch ist Bargeld aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken, aber elektronische Zahlungsmittel sind weltweit auf dem Vormarsch.Londons Busfahrer nehmen seit dem vergangenen Jahr keine Münzen und Scheine mehr an. Das soll jährlich 24 Mill. Pfund bringen. In Schweden, wo im Bus schon lange nicht mehr bar bezahlt werden kann, sind inzwischen selbst die Verkäufer von Obdachlosenzeitungen mit Kartenlesegeräten ausgestattet. Der Siegeszug des von Vodafone und Safaricom entwickelten mobilen Zahlungssystems M-Pesa in Kenia zeigt, dass sich das Phänomen keinesfalls auf hoch entwickelte Industriestaaten beschränkt. Die ecuadorianische Zentralbank bringt derzeit ihr sistema de dinero electrónico an den Start, ein vom Staat getragenes mobiles Zahlungsabwicklungssystem, das den Bürgern unter anderem ermöglichen soll, sich gegenseitig Geld zu überweisen und ihre Steuern zu bezahlen.Es sind die Schwellen- und Entwicklungsländer, die Mobilfunkern und Banken die größten Wachstumschancen bieten. Schließlich leben hier breite Bevölkerungskreise jenseits formalisierter Beschäftigungsverhältnisse, Besteuerung und Geldkreislauf. Ihnen können mit Mobile-Banking-Angeboten SIM-Karten und Handys verkauft sowie Gebühren für Finanzdienstleistungen entlockt werden. Nach Schätzungen der Citi dürften durch die Digitalisierung weltweit 220 Millionen Menschen in den formellen Finanzsektor eintreten. Das Volumen des Zahlungsverkehrs innerhalb der formellen Wirtschaft dürfte ihren Schätzungen zufolge dadurch um etwa 1 Bill. Dollar anschwellen. Staatsapparate würden effizienter. Die Steuerbehörden könnten 100 Mrd. Dollar mehr einsammeln. Die Auszahlung von Sozialleistungen ließe sich so optimieren, dass dabei 185 Mrd. Dollar eingespart werden könnten. Dem Einzelhandel blieben Kosten von mehr als 125 Mrd. Dollar erspart. Dem Digital Money Index zufolge, der vom Londoner Imperial College mit der Citi erstellt wird, gehört Deutschland zu den Ländern, die für eine umfassende Einführung des digitalen Bezahlens bereit wären.Wo aber wäre der Nutzen für andere? Man wird wohl kaum damit rechnen dürfen, dass der Handel seine Kostenvorteile an die Kunden weiterreichen wird, wenn er künftig auf die Dienste von Geldtransportfirmen verzichten kann. Auch Steuersenkungen sind eher unwahrscheinlich, auch wenn kein Geld mehr gedruckt beziehungsweise keine Münzen mehr geprägt werden müssen und weniger Sozialhilfe an Unberechtigte ausgeschüttet wird. Man muss nicht George Orwell gelesen haben, um zu ahnen, wo die Nachteile liegen. Wenn sich das Transaktionssystem auch noch in den Händen des Staates befindet, wie in Ecuador, kann man bei plötzlichem öffentlichen Mittelbedarf – “no tengo dinero” – schnell und mit geringem Aufwand enteignet werden. In Skandinavien und anderen entwickelten Ländern hat man immerhin die Wahl zwischen vielen Anbietern.Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie möglichst viel über ihre Kunden wissen wollen. Schließlich geht es um Geld. Alle so abgewickelten Transaktionen lassen sich zurückverfolgen. Handys liefern zusätzlich Geodaten. Mittlerweile sind die dabei anfallenden Mengen auch problemlos zu verarbeiten, Big Data sei Dank. Anders als Bitcoin sind digitale Zahlungssysteme keine virtuelle Währung, die ein anonymes Bezahlen ermöglichen würde.Es wäre naiv zu glauben, dass sich durch die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs Eigentumsdelikte aus der Welt schaffen lassen könnten – ganz im Gegenteil, wie der spektakuläre Raubzug einer multinationalen Gang von Cyberkriminellen zeigt, die binnen zwei Jahren bis zu 1 Mrd. Dollar erbeutet haben sollen. Wer weniger helle ist, wird aus seinen Opfern auf der Straße eben nicht mehr das Geld herausprügeln, sondern deren Passwörter. Und manche Dinge werden wohl immer bar bezahlt werden. Das gilt nicht nur für illegale Drogen, sondern auch für im Vertreterhotel geguckte Schmuddelfilme oder Leistungen von Prostituierten, deren Geschäft erst vor kurzem legalisiert wurde. Es sei denn, es würde jedem die Möglichkeit gegeben, Transaktionen wirkungsvoll zu anonymisieren, und damit ein Recht auf Vergessenwerden bei der Zahlungsabwicklung eingeräumt.——–Von Andreas HippinWird Bargeld durch elektronische Zahlungen abgelöst, nutzt das in erster Linie Banken, Einzelhandel und dem Staatsapparat. Sie erhalten zudem wertvolle Daten.——-