Emerging-Markets-Story bietet noch viel Potenzial

Analyse des Marktes ist umfangreicher und komplexer geworden - Aktiven Portfoliomanagern eröffnen sich neue Chancen für Überrenditen

Emerging-Markets-Story bietet noch viel Potenzial

Niedrigere Wachstumsraten, Handelsbilanzdefizite, ein schwächelnder Aktienmarkt: Wer die aktuellen Schlagworte zum Thema Schwellenländer hört, der könnte dahinter ein Ende der vielversprechenden Emerging-Markets-Story vermuten. Doch diese Sichtweise greift zu kurz: Nach der hohen Dynamik der vergangenen Jahre sind Investitionen in die Aktienmärkte der Schwellenländer zwar schwieriger geworden. Allerdings bietet sich aktiven Portfoliomanagern in diesem Umfeld höheres Alpha-Potenzial als bislang. Davon können Anleger, die in Schwellenländer-Aktienfonds investiert sind, profitieren. Grundsätzlich zu beachtenEgal ob China, Indien, Brasilien, Russland oder eines der kleineren Schwellenländer – jahrelang haben die Emerging Markets Investoren mit enormen Wachstumsraten und hohen Renditen am Aktienmarkt verwöhnt. Nun, da die allgemeine Dynamik nachlässt, sollten Anleger zwei grundsätzliche Punkte beachten. Zum einen hat es Abschwünge wie den momentanen in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Beispiele dafür sind die Schuldenkrise in Lateinamerika in den 1980er Jahren oder die Asien-Krise Ende der 1990er Jahre. Diesen Krisen folgten Erholungsphasen, in denen die Schwellenländer nicht nur wieder zu alter Stärke gelangt, sondern sogar über ihre Vorkrisenniveaus hinaus gewachsen sind. Ähnlich sollten Investoren die aktuelle Situation einordnen: Statt sich komplett aus Schwellenländer-Aktien zurückzuziehen, sollten sie den Abschwung als natürlichen Abschnitt eines Wirtschaftszyklus betrachten, nicht als Ende der Emerging-MarketsStory.Zum anderen entwickeln sich die einzelnen Volkswirtschaften innerhalb der Gruppe der Schwellenländer zunehmend verschieden. Dies kann durch unterschiedliche Fundamentaldaten begründet sein oder dadurch, dass die Wirtschaftszyklen der einzelnen Länder zeitversetzt ablaufen. Im Ergebnis wird es immer schwieriger, Emerging Markets als einheitliche Anlageklasse zu verstehen und zu behandeln. Begriff war nie ganz präziseDer Begriff Schwellenländer war ohnehin nie ganz präzise. Denn er umfasste stets kleinere, von Rohstoffvorkommen getriebene Staaten wie Chile und Peru ebenso wie große Länder, deren Fortschritte sich zu einem Großteil aus der wachsenden Mittelschicht innerhalb der einheimischen Bevölkerung speisten. Nun, da sich die Dynamik der einzelnen Staaten zunehmend unterschiedlich entwickelt, wird eine tiefgehende Analyse der einzelnen Märkte noch wichtiger.Die Analyse des gesamten Marktes für Schwellenländer-Aktien ist in den vergangenen Jahren deutlich umfangreicher geworden. Wer in entsprechende Werte investieren möchte, kann auf ein Anlageuniversum von rund 18 000 Titeln zurückgreifen. Vor zehn Jahren waren es nur etwa 7 400 Aktien gewesen. Investoren müssen also inzwischen mehr als doppelt so viele Werte wie damals unter die Lupe nehmen, wenn sie die chancenreichsten Aktien herausfiltern wollen. Veränderte AktivitätenNicht nur der Umfang der notwendigen Analysen hat zugenommen. Gleichzeitig ist das erforderliche Research komplexer geworden. Ein Grund dafür ist, dass sich die geschäftlichen Aktivitäten von Unternehmen aus Schwellenländern in den letzten Jahren verändert haben. Vielfach haben sie sich in die Industriestaaten verschoben, wie zum Beispiel bei Samsung: Im Jahr 1996 erwirtschaftete der Elektronikkonzern noch 60 % seines Umsatzes im Heimatland Südkorea, 2012 waren es nur noch 16 %. Der brasilianische Flugzeughersteller Embraer generierte 2012 mehr als die Hälfte seines Umsatzes in Europa und Nordamerika. Beim indischen IT-Dienstleister Infosys entfielen im selben Jahr 85 % des Umsatzes auf diese beiden Regionen.Unterdessen ist der Anteil des Schwellenländer-Geschäftes bei vielen Unternehmen aus Industriestaaten gestiegen. Dies gilt beispielsweise für den niederländischen Konsumgüterhersteller Unilever. Dieser hat den Anteil seines Umsatzes, den er in Asien und Afrika erwirtschaftete, von 1996 bis 2012 von 20 % auf 38 % gesteigert. Investoren sollten daher von Fall zu Fall abwägen, wie sie optimal vom Wachstum in den Emerging Markets profitieren können: auf direktem Wege über Aktien von Unternehmen aus Schwellenländern oder indirekt über Aktien von Unternehmen aus Industriestaaten, die in den Schwellenländern Geschäfte betreiben.Nicht nur bei einzelnen Unternehmen verschieben sich die Aktivitäten, sondern auch innerhalb der Volkswirtschaften. So können sich die Beiträge einzelner Branchen zum Wachstum verändern. Solche Entwicklungen sind nicht zwangsläufig an die Marktkapitalisierungen der Unternehmen aus den jeweiligen Branchen gekoppelt, auf denen wiederum die Branchengewichtungen in den Benchmark-Indizes beruhen. Das heißt: Eine ehemals schwache Branche, die einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, ohne dass die Marktkapitalisierungen der entsprechenden Unternehmen dies reflektieren, könnte in den Benchmark-Indizes weiterhin gering vertreten sein. Die Freiheit von Investoren, sich von Vergleichsindizes zu lösen, und die Fähigkeit, solche Benchmark-unabhängigen Konzepte umzusetzen, gewinnen daher an Bedeutung. Strategien überdenkenSchließlich haben die rasante Aufholjagd der Emerging Markets und das verstärkte Interesse von Investoren an Schwellenländer-Aktien dazu geführt, dass die Korrelationen zwischen den Aktienmärkten der Schwellen- und Industrieländer in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Dies bedeutet: Investoren, die sich vor einiger Zeit entsprechend ihrer Chance-Risiko-Profile strategisch in den Emerging Markets positioniert haben, sollten ihre Strategien mit Blick auf die Gesamtportfolien überdenken und gegebenenfalls anpassen. Die genannten Beispiele zeigen, dass Investitionen in Schwellenländer-Aktien anspruchsvoller geworden sind. Die gute Nachricht dabei ist: Aktiven Fondsmanagern bietet sich vor diesem Hintergrund höheres Alpha-Potenzial als bislang. Auf dem Laufenden haltenBeispielsweise können Portfoliomanager Bewertungsunterschiede, die sich infolge der zunehmend unterschiedlichen Dynamik der einzelnen Volkswirtschaften ergeben, ausmachen und nutzen. Dabei hilft es ihnen, wenn sie in den Emerging Markets sitzen oder sich auf Kollegen vor Ort stützen können. Denn auf diese Weise können sie sich stets unmittelbar über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden halten und falls erforderlich sofort reagieren.Mit dem Wachstum des Anlageuniversums bei Schwellenländer-Aktien geht einher, dass auf immer mehr Aktien Short-Geschäfte möglich sind. Inzwischen ist dies bei 60 % der Einzeltitel der Fall; damit liegt der Anteil etwa doppelt so hoch wie vor vier Jahren. Dadurch können Investoren bei Schwellenländer-Aktien zunehmend auch von fallenden Kursen profitieren – vorausgesetzt, sie verfügen über die erforderlichen Research-Ressourcen. Portfoliomanager, die gemeinsam mit umfangreichen und erfahrenen Analystenteams die Fundamentaldaten der einzelnen Aktienmärkte auswerten, sind dabei im Vorteil. Zusätzliche GelegenheitenWie erwähnt gibt es zunehmend Möglichkeiten, über Aktien von Unternehmen aus Industriestaaten indirekt vom Wachstum in den Emerging Markets zu profitieren. Portfoliomanagern, die entsprechende Anlagefreiheiten außerhalb der Schwellenländer genießen und auf die Expertise globaler Aktienteams zurückgreifen können, bieten sich dadurch zusätzliche Renditechancen.Zudem können aktive Portfoliomanager mit großen Anlagefreiheiten Differenzen zwischen den Beiträgen der einzelnen Branchen zum Wirtschaftswachstum und deren Gewichten in Aktienmarktindizes ausgleichen. Sie können zum Beispiel Industriewerte, die in Schwellenländer-Indizes gemessen am Beitrag zum Wirtschaftswachstum in der Regel überrepräsentiert sind, geringer gewichten. Im Gegenzug können sie etwa Werte aus dem Service-Bereich, die in Indizes eher unterrepräsentiert sind, höher gewichten. Nicht verunsichern lassenIndem Portfoliomanager ihre Freiheiten auf diese Weise nutzen, um von Indizes abzuweichen, können sie auch Korrelationen zu Investments in Industriestaaten reduzieren. Dies kann sich positiv auf die Gesamtperformance von Portfolien auswirken, die neben Schwellenländerfonds weitere Anlageklassen und Märkte umfassen.Unter dem Strich betrachtet bietet die Emerging-Markets-Story noch viel Potenzial. Investoren sollten sich nicht davon verunsichern lassen, dass das Umfeld anspruchsvoller geworden ist. Stattdessen sollten sie sich rechtzeitig für die nächste Aufwärtsbewegung im Konjunkturzyklus positionieren und neue Alpha-Quellen nutzen. Wer nicht über die dafür notwendigen Ressourcen verfügt, kann zum Beispiel auf die Expertise externer Fondsmanager zurückgreifen.—Christian Machts, Leiter des Retail-Geschäftes in Deutschland, Österreich und Osteuropa bei BlackRock