Engere Verzahnung von Finanz- und Realwirtschaft

Die Kapitalmarktunion ist eine der ganz großen Initiativen auf der Zeitleiste der europäischen Integration

Engere Verzahnung von Finanz- und Realwirtschaft

Wenn es beim europäischen Projekt um Harmonisierungsbestrebungen geht, hat Luxemburg sich einen Ruf als Zugpferd erworben. Meist ist das Großherzogtum an vorderster Front dabei, wo Lösungen für grenzüberschreitendes Handeln gefragt sind. Warum das auch bei der Kapitalmarktunion so ist, soll im Folgenden erläutert werden.Der Kapitalmarkt in Europa ist immer noch zu stark fragmentiert. Das schadet der Wirtschaft. Geldmittel müssen fließen können, Investitionen brauchen EU-weit Barrierefreiheit. Als das Projekt “Capital Markets Union” von der Juncker-Kommission aus der Taufe gehoben wurde, war die Absicht klar: in ganz Europa Wachstum und Investitionen ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen. Das Erfordernis des politischen Kompromisses bedeutete jedoch, dass nicht alles so schnell gehen konnte wie angestrebt. Die aktuelle Kommission führt jetzt mit der Projektversion 2.0 die Arbeit fort, die vor fünf Jahren begonnen wurde und voraussichtlich noch ebenso lange andauern wird. Viele kleine Schritte über einen langen Zeitraum sollen Europa zum Ziel bringen: einem effizienten einheitlichen Kapitalmarkt.Als die jetzige Kommission Ende 2019 ihre Arbeit aufnahm, hatte sich in Politik und Finanzwirtschaft weitgehend Einigkeit darüber eingestellt, dass es sich bei der CMU, wie die Capital Markets Union im Englischen abgekürzt wird, um “unfinished business” handelt. Daraufhin befasste sich mit dem High-Level-Forum (HLF) zwischen November 2019 und Juni 2020 ein Gremium von Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft mit der Sache und hat nun Empfehlungen für zielgerichtete Maßnahmen ausgesprochen, die Bürgern und Firmen in ganz Europa gleichberechtigten Zugang zu den EU-Kapitalmärkten garantieren sollen. Die Anliegen der AnlegerEin Projekt für die Menschen soll es werden, dieses Vorhaben mit dem sperrigen Namen. Kapitalmärkte mögen weit weg sein – die Frustrationen im Alltag des grenzüberschreitenden Anlegers sind greifbar. Hier soll ganz praktisch Abhilfe geschaffen werden, und so sind es die konkreten Investmentziele von Bürgern in 27 Ländern, die im Mittelpunkt eines neuen Aktionsplans der Kommission stehen.Die HLF-Empfehlungen kommen keinen Moment zu früh. Die Folgen der Coronavirus-Pandemie lassen sich nur abfedern, wenn die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die vielerorts wichtige Träger unserer Ökonomien sind, die Möglichkeiten finanzmarktbasierter Finanzierung voll ausschöpfen können. Zudem ist durch den Brexit ein wichtiger Finanzplatz weggefallen: Für die Kapitalbeschaffung dieser KMU steht London nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung. Die verbliebenen Mitgliedstaaten müssen ihre Kräfte bündeln, um den Aufschwung zu meistern und den Umbau der europäischen Wirtschaft voranzutreiben – zu nachhaltigem Wachstum und digitaler Effizienz. Bei der Kapitalmarktunion geht es also um nichts weniger als die Wettbewerbsfähigkeit und Eigenständigkeit der Europäischen Union (EU). 16 Maßnahmen empfohlenDer neue Aktionsplan steht auf drei Säulen. Insgesamt sieht er 16 Einzelmaßnahmen vor, die sich diesen drei Hauptzielen zuordnen lassen. Neben der Vertiefung des Finanzbinnenmarkts an sich, zu der Maßnahmen wie die weitere Verbesserung des Anlegerschutzes und der grenzüberschreitenden Verzahnung von Investmenttransaktionen zählen, sollen Unternehmen unabhängiger von Bankenfinanzierungen werden. In Europa wird die Wirtschaft deutlich weniger über Aktien- und private Finanzmärkte finanziert als in anderen Regionen der Welt und auch weniger, als es der hiesigen Wirtschaftsleistung angemessen wäre. Vor allem KMU sollen leichteren Zugang zu alternativen Finanzierungsquellen wie Venture Capital erhalten.Die Diversifizierung von Geldquellen für Unternehmen führt zu einer belastbareren Realwirtschaft und vielfältigeren Anlageoptionen für Investoren. Damit ist die dritte Säule angesprochen: Die EU soll ein noch sichererer Ort für langfristige Spar- und Anlageprodukte für Privatpersonen werden. Auch für Kleinanleger soll es attraktiver werden, Geld zum Beispiel in Fonds oder Aktien anzulegen, statt es bei anhaltend niedrigen Zinsen auf dem Sparkonto liegen zu lassen, was in Europa noch immer viel zu häufig der Fall ist.Viele Mitgliedstaaten haben alternde Gesellschaften und sorgen sich – wenn nicht heute, dann spätestens morgen – um ihr Rentenniveau. Wie wichtig es ist, dass sie ihre Rentensysteme auf verschiedene Säulen stellen, ist schon oft ausgeführt worden, nicht zuletzt von unserem Verband. Die drei Säulen der staatlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorge sichern buchstäblich die Stabilität der europäischen Volkswirtschaften. Das paneuropäische private Pensionsprodukt PEPP (Pan-European Personal Pension Product) soll die dritte Säule weiter ausbauen. Es fügt sich damit nahtlos in die Zielsetzung der Kapitalmarktunion ein. Indem Investieren für alle einfacher und attraktiver wird, etwa durch sichere, transparente Produkte wie das PEPP, ermöglichen wir in ganz Europa finanziell inklusivere, belastbarere Gesellschaften, größeren Wohlstand im Alter und erschließen zugleich Kapital für den Wandel hin zu einer nachhaltigen und krisenfesten Ökonomie. Eltif-ReformDie bankunabhängige Unternehmensfinanzierung in der EU lässt sich auch durch eine Stärkung der Eltifs, also der European Long-Term Investment Funds beziehungsweise europäischen langfristigen Investmentfonds, unterstützen. Als transparente, streng regulierte Vehikel für alternative Anlagen – wie eben in KMU, die langfristiges Kapital benötigen, aber auch beispielsweise in Infrastruktur – hätten sie das Potenzial, für illiquide Anlage die anerkannte Marke zu werden, die OGAW (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) für liquide Anlagen schon seit langer Zeit sind. Sie könnten dazu beitragen, neben institutionellen Anlegern wie Rentenfonds und Versicherern auch Privatanleger zur Investition in KMU heranzuziehen.ALFI unterstützt die Empfehlung des HLF für eine Reform des Eltif-Regelwerks. Es gilt vor allem, noch bestehende Hürden für Anleger abzubauen und die Voraussetzungen anzugleichen, die Mitgliedstaaten an die Anlegereignung und das Passporting stellen. Auch einige Umgestaltungen am Produkt selbst – hin zu mehr Einfachheit und Flexibilität – könnten hilfreich sein.Gute Produkte genügen jedoch nicht. Attraktiv muss auch ihr Erwerb selbst werden, und der Fondskauf am Smartphone wird nicht lange Zukunftsmusik bleiben. Kenntnisse über Finanzprodukte wie PEPP und Eltif müssen daher zukünftig zur Allgemeinbildung gehören. Assetmanagern kommt hier, wie bei der Initiative überhaupt, eine Schlüsselrolle zu.Aus der Sicht Luxemburgs, besonders der luxemburgischen Assetmanager und Investmentfondsspezialisten, sind die CMU-Bestrebungen eng verknüpft mit den Entwicklungen, die wir seit Jahren aktiv vorantreiben, wie der Förderung von Altersvorsorgeprodukten, dem Investment in alternative Fonds oder der Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsform mithilfe innovativer Technologien. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, sind Assetmanager prädestiniert als “Matchmaker” zwischen den schlafenden Sparguthaben von Millionen von EU-Bürgern einerseits und innovativen Projekten auf der Suche nach Kapitalquellen andererseits. Luxemburger Investmentfonds bilden vielleicht die wichtigste Schnittstelle überhaupt für die Kapitalmarktunion. Genau hier bringen wir Anleger und Finanzierungsprojekte grenzüberschreitend zusammen. Camille Thommes, Generaldirektor des Luxemburger Fondsverbands ALFI (Association of the Luxembourg Fund Industry)