LEITARTIKEL

Enteignet sie - nicht

War's das schon? Die Neuvertragsmieten bei Wohnimmobilien gehen erstmals seit 2005 zurück - um 0,3 % im ersten Quartal 2019 im Vergleich zum Schlussquartal 2018. Aber zum einen ist das sehr wenig und zum anderen ein bundesweiter Durchschnitt, der...

Enteignet sie - nicht

War’s das schon? Die Neuvertragsmieten bei Wohnimmobilien gehen erstmals seit 2005 zurück – um 0,3 % im ersten Quartal 2019 im Vergleich zum Schlussquartal 2018. Aber zum einen ist das sehr wenig und zum anderen ein bundesweiter Durchschnitt, der damit nichts über die Ballungsgebiete aussagt, in denen der Wohnraum knapp und teuer ist. Gerade in Berlin, wo die Proteste besonders heftig sind und eine Bürgerinitiative die Enteignung der Deutschen Wohnen und anderer großer Bestandshalter fordert, dürften die Mieten kaum gefallen, sondern eher weiter gestiegen sein.Also dann, was ist zu tun, um ärmeren Bevölkerungskreisen, aber auch der Krankenschwester und dem Polizisten mit ihren Familien, also der Mittelschicht, auch in Ballungsräumen zu bezahlbarem Wohnraum zu verhelfen? Ist was dran an dem Vorschlag zu enteignen? Immerhin gehören der Deutschen Wohnen allein in Berlin mehr als 100 000 Wohnungen. Aber – lassen wir die Frage der Finanzierung (8 bis 9 Mrd. oder bis zu 30 Mrd. Euro stehen als Entschädigung im Raum, die das Land Berlin bezahlen müsste) mal beiseite – neue Wohnungen würden damit nicht entstehen.Vergessen sollte man auch nicht, welches Signal Enteignungen für die gesamte Immobilienbranche und darüber hinaus für den Investitionsstandort Deutschland geben würden. Jetzt wird eingewandt, Enteignungen seien ja schon im Grundgesetz vorgesehen und würden auch seit Jahrzehnten praktiziert, zum Beispiel im Straßenbau. Das sind aber Einzelfälle. Hier wäre eine Branche, der private Wohnungsbau, flächendeckend (vorerst in einem Bundesland) betroffen. Der ist ein durchaus bedeutender Player im Neubau und könnte durch solche drastischen Markteingriffe verschreckt werden – nach dem Motto: Wie sicher sind meine Investitionen noch?Auf kommunale oder landeseigene Wohnungsbaugesellschaften oder neu zu gründende Genossenschaften zu hoffen, hieße diese zu überfordern. Sie müssten ja nicht nur die private Bautätigkeit zu einem guten Teil ersetzen, sondern auch für ein kräftiges Wachstum im Neubausegment sorgen. Schon heute fehlen hierzulande aufgrund nicht ausreichender Neubautätigkeit etwa eine Million Wohnungen. Um diesen Fehlbestand abzubauen, werden private Wohnungsgesellschaften gebraucht. Sie sind schon heute für den Großteil der neuen Geschosswohnungen verantwortlich – allerdings nur zu einem geringen Teil in den Hotspots der Großstädte.Warum wird dort trotz der großen Nachfrage so wenig gebaut? Es fehlt an Bauflächen und das Bauland, aber auch das Bauen selbst sind sehr teuer geworden. Dabei spielen Widerstände der Anwohner eine wichtige Rolle (Erhalt von Grünflächen, mehr Verkehr bei Nachverdichtungen), aber auch die zu geringen Kapazitäten der Bauwirtschaft und die sich stetig verschärfenden Bauvorschriften (zum Beispiel Energiesparverordnungen). Nicht zuletzt hemmen die Genehmigungsverfahren, die wegen einer überlasteten Verwaltung oft Jahre dauern, den Wohnungsneubau.Klar ist: Wir brauchen in Deutschland mehr Wohnungen. Die Bevölkerung schrumpft vorläufig nicht. Die Zahl der Single-Haushalte und der Flächenbedarf pro Person nehmen zu. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch: Mehr Neubauflächen ausweisen (auch gegen Widerstände von Anwohnern), Bauvorschriften entrümpeln (zum Beispiel bundeseinheitliche Baugesetzgebung, Überprüfung der Energiesparverordnungen) und staatliche Förderung ausweiten (Förderprogramme, Abschreibungen).Gefördert werden sollte aber auch der Erwerb von Wohneigentum. Die Eigentumsquote ist im internationalen Vergleich seit Jahren niedrig. Helfen könnten hier die Reduktion oder der Verzicht auf die Grunderwerbsteuer beim Erstkauf, aber auch Erleichterungen bei den Nebenkosten wie Grundsteuer, Strom- und Heizkosten. Viel gewonnen wäre ja schon, wenn diese in Zukunft nicht mehr in gleichem Maße zunähmen wie bisher. Das würde nicht nur Eigentümern helfen, sondern auch Mietern, die unter den Nebenkosten als zweite Miete seit Jahren leiden.—-Von Thomas ListWohnraum ist in Deutschland knapp. Dagegen helfen mehr ausgewiesene Bauflächen, entrümpelte Bauvorschriften und staatliche Förderungen. —-