Ernüchterung nach dem Kaufrausch
Nach einem Jahr mit starken Übernahmeaktivitäten stellen sich Investmentbanker für 2019 auf Dämpfer ein. Handelsstreits, zunehmende Regulierung und eine Abschwächung in China drücken ebenso auf die Stimmung wie die zahlreichen Gewinnwarnungen und der langsame Abschied vom ultrabilligen Geld.Von Walther Becker, Frankfurt Selbst von Berufs wegen stets optimistische Investmentbanker tappen derzeit im Dunklen darüber, wie sie im nächsten Jahr den Provisionstopf füllen. Denn die Perspektiven in der Königsdisziplin Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M&A) und auch am Aktienprimärmarkt sind opak. Nach einer ersten Jahreshälfte mit Rekorden sind die Zuwachsraten 2018 immer stärker zurückgegangen – statt eines Zuwachses um 61 % zur Jahresmitte auf gut 2,5 Bill. Dollar steht für das globale Volumen im Schlussquartal ein Minus von 22 % auf 735 Mrd. Dollar zu Buche, wie sich aus Angaben von Refinitiv (Thomson Reuters) ergibt. Deutliche MenetekelDie Aussicht, dass 2019 der Kater auf den Kaufrausch folgt, ist groß. Denn Menetekel für M&A treten deutlicher hervor: Der Handelsstreit mit China, der sich langsam zu einem “kalten Krieg” der beiden größten Volkswirtschaften der Welt entwickelt, samt der Folgen für die makroökonomische Stabilität. Hinzu kommt die wachsende Regulatorik in nahezu allen Ländern, einschließlich der Bundesrepublik, das sich langsam eintrübende Finanzierungsumfeld auf Kredit- und Eigenkapitalseite sowie negative Erfahrungen mit großen Deals. Diese Faktoren lassen das Vertrauen von Managern in externes Wachstum schwinden. “Vorstände und Aufsichtsräte denken heute noch gewissenhafter über M&A nach und spielen noch mehr Szenarien durch als es vor zwölf bis 36 Monaten der Fall war”, beobachtet Ken Oliver Fritz, Co-Leiter von Lazard in Deutschland. Die Investmentbanker sprechen von “M&A 2.0″ in einer sich kräftig ändernden Umgebung. Dazu zählen der langsame Abschied vom ultrabilligen Geld und die wachsende Bedeutung von Aktionärsaktivisten, die nichts anderes als Shareholder Value durchsetzen wollen und damit in Konflikt zu den Stakeholder-Usancen treten. Hinzu kommt ein neues Verständnis von Lieferketten, was sich auch in M&A-Zielen niederschlägt, ein sich änderndes Konsumentenverhalten mit disruptiven Marken und vor allem die Vorgaben und Auflagen der Gesetzgeber und Regulierer. Dabei gewinnen Antitrust und politische Einflussnahme dramatisch an Bedeutung. Und die Bewertungen, vor kurzem noch auf dem Höchststand, bröckeln ab.”Insgesamt rechne ich mit einem Rückgang des M&A-Marktes 2019 um 20 bis 25 %, aber nicht mit einem Kollaps”, schätzt Rainer Langel, Deutschland-Chef von Macquarie. Der Rückgang resultiere insbesondere aus zyklischen Industrien. Christian Kames, Leiter des Investment Banking von J.P. Morgan in Deutschland, geht davon aus, dass das nächste Jahr etwas schwächer wird. “Insbesondere für die ganz großen Transaktionen ist das Umfeld deutlich schwieriger geworden. Die gestiegene regulatorische und marktseitige Unsicherheit hilft da sicher nicht.” Er rechnet aus heutiger Sicht mit einem Volumenrückgang um 10 bis 15 %. Die Länge der Genehmigungsverfahren für komplexe Transaktionen und “die häufig fehlende Transparenz hinsichtlich der wahrscheinlichen Veräußerungsauflagen bzw. der grundsätzlichen Genehmigung wirken auf die Käuferseite oft abschreckend und erfordern großen Umsetzungswillen”, beobachtet Kai Tschöke von Rothschild & Co Deutschland. Wie Martin Ulbrich, Partner von Hengeler Mueller, gezählt hat, benötigte Bayer für Monsanto 745 Tage, Linde mit Praxair brauchte 671, und AT&T war für Time Warner 600 Tage im Ungewissen. Der Protektionismus hat Folgen für die Nutzung von Synergien.Überall auf dem Globus nimmt aktive Industriepolitik weiter zu. Die USA verquicken Sanktions- und Wettbewerbspolitik und laden sie innenpolitisch auf. CFIUS und das verschärfte deutsche Außenwirtschaftsgesetz schränken die Handlungsfreiheit auch in M&A ein. “Wo der Staat eingreifen kann, da tut er es”, beklagt Eric Fellhauer, Co-Head von Lazard in Frankfurt. Nach Jahrzehnten des Rückenwinds von der öffentlichen Hand gebe es immer mehr Gegenwind. In Deutschland wird die Senkung der Prüfschwelle im Außenwirtschaftsrechts von 25 auf 10 % als Schnitt gegen Chinesen verstanden. Juristen betonen aber, dass US-Bieter aller Voraussicht nach ebenso strikt darunterfielen.M&A mit deutscher Beteiligung lebt dieses Jahr vornehmlich von drei angekündigten Megadeals: T-Mobile US, wo die Deutsche Telekom Großaktionär ist, will sich den Rivalen Sprint, hinter dem Japans Softbank steht, mit einer Bewertung von 58,7 Mrd. Dollar einverleiben. RWE und Eon zerschlagen die erst 2016 an die Börse geführte Innogy in einer Transaktion von 38,6 Mrd. Dollar. Und schließlich geht Unitymedia für 21,8 Mrd. Dollar von Liberty an Vodafone. Die Banken, die bei diesen Deals an Bord sind, haben es 2018 nach oben geschafft – so Goldman Sachs.Damit ist die US-Investmentbank nach Platz 5 im Vorjahr wieder ganz oben auf dem Treppchen, wie aus dem Refinitiv-Ranking hervorgeht. Die Deutsche Bank folgt auf dem zweiten Platz vor J.P. Morgan, dem Spitzenreiter 2017, der bei Innogy nicht dabei ist, und Morgan Stanley. Auch global hat Goldman die Nase vorn. Neues Terrain mit TechnologieDeals mit deutscher Beteiligung sind laut Refinitiv 2018 auf ein Elfjahreshoch gestiegen, und das Volumen innerdeutscher Transaktionen war seit zehn Jahren nicht größer. Und es ist das Jahr mit dem größten M&A-Volumen deutscher Unternehmen durch ausländische Käufer seit 1999. Angekündigte Deals erreichen 254 Mrd. Dollar, was einem Plus von 93 % entspricht. Per Ende Juni lag die Wachstumsrate bei 229 %. Übernahmen im Ausland machen 94 Mrd. Dollar aus – ein Anstieg um 238 %. Trotz des Zuwachses im Volumen wurden im bisherigen Jahresverlauf lediglich 2 099 Deals angekündigt – der niedrigste Stand seit 2013.Hoffnungen setzen Berthold Fürst und Patrick Frowein, die Leiter Corporate Finance der Deutschen Bank im deutschsprachigen Raum, zum einen auf den Trend zu Joint Ventures statt kompletter Übernahmen oder Mehrheitsbeteiligungen. Beispiele sind Thyssenkrupp mit Tata, BASF in Bezug auf Wintershall oder Siemens mit Alstom und Gamesa. Als erster Autokonzern übernimmt BMW 2022 für 3,6 Mrd. Euro die Mehrheit an dem chinesischen Gemeinschaftsunternehmen mit Brilliance. Möglich ist dies, weil Peking dann Auslandsbeteiligungen von über 50 % erlaubt. Daimler könnte bei BAIC der Nächste sein.Zum anderen treibt die Digitalisierung Nicht-Tech-Unternehmen dazu, innovative und meist junge Anbieter zu kaufen, um ihr eigenes Unternehmen schneller technologisch voranzutreiben und simpler zu gestalten, statt langwierig selbst zu entwickeln. Hier betritt die Preisfindung ganz neues Terrain. Bei disruptiven Technologien, mit denen sich neue Plattformen schaffen lassen, gehe es um eine “ganz andere Bewertungslogik”, die sich nicht mit herkömmlicher Methodik erfassen lasse, sagt Macquarie-Manager Langel. Die Transformation durch Digitalisierung und neue Technologien stellt zunehmend die Marktstrukturen in Frage. Doch “Technologie-M&A steht in Deutschland noch recht am Anfang”, sagt Kames.Die meisten Unternehmen, die mit M&A wachsen wollen, dürften das erste Quartal abwarten. Im Augenblick rechne niemand mit einer tiefen Rezession. “Wenn wir im ersten Quartal keine Welle von Negativmeldungen wie im vierten Quartal 2018 erleben, dürfte auch die Zuversicht wieder wachsen und damit das M&A Volumen”, sagt Kames. Ein entscheidender Treiber ist dabei: “Was passiert zwischen den USA und China?”