Wirecard

Erst die Mafia, und dann so was!

So zerknirscht ist noch kein Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren Bilanzskandal beim mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler Wirecard aufgetreten: Er habe in Bayern über Jahrzehnte erfolgreich gegen das...

Erst die Mafia, und dann so was!

Von Stefan Paravicini, Berlin

So zerknirscht ist noch kein Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren Bilanzskandal beim mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler Wirecard aufgetreten: Er habe in Bayern über Jahrzehnte erfolgreich gegen das organisierte Verbrechen gekämpft, „auch gegen die Mafia“, erklärte der ehemalige bayerische Polizeipräsident Waldemar Kindler bei der öffentlichen Zeugenvernahme in Berlin. „Und dann so was“, sagte Kindler mit einem Anflug leichter Verzweiflung in Erinnerung an seine Lobbytätigkeit für den ehemaligen Dax-Konzern, zu der es nie gekommen wäre, hätte er geahnt, was bei Wirecard vor sich ging. „Ich bin ja nicht verrückt!“

Doch weil Kindler es nicht wusste, ließ er sich auf eine Geschäftsverbindung ein – „strategische Beratung oder irgendwas“ habe man als Leistung vereinbart – und nutzte seine Kontakte unter anderem dafür, dem Chauffeur von Wirecard-Chef Markus Braun nach wiederholter Absage der zuständigen Stellen doch noch zu einem Waffenschein zu verhelfen. Auch ein Termin im bayerischen Landeskriminalamt (LKA), bei dem der Geldwäschebeauftragte der Wirecard Bank sich von LKA-Beamten über Fragen der Geldwäscheprävention unterrichten ließ, kam auf Vermittlung Kindlers zustande. Heute sehe er sich in seinem Ansehen beschädigt, wie der ehemalige Polizeichef vor dem Ausschuss angab.

Grund zur Zerknirschung hätte vor dem Untersuchungsausschuss ei­gentlich auch Martin Mulzer, Leiter des für Geldwäschebekämpfung zuständigen Sachgebiets der Bezirksregierung von Niederbayern, gehabt. Doch der Verwaltungsbeamte blieb über weite Strecken aufgeräumt, als er schilderte, wie sich das Rätselraten über die Zuständigkeit für den Vollzug des Geldwäschegesetzes bei Wirecard in seiner Behörde über Monate hinzog. Es begann, als ein Berater der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY im Februar des vergangenen Jahres bei der Bezirksregierung mit der Einschätzung vorstellig wurde, dass Niederbayern für die Wirecard AG zuständig sei. Daraufhin fragte man zur Sicherheit bei der BaFin nach, und zwar per E-Mail an poststelle@bafin.de. Danach dauerte es vier Monate, bis die Finanzaufsicht mehrere Erinnerungsmails an die Poststelle später die Zuständigkeit für die Wirecard AG in Sachen Geldwäsche ebenfalls in Niederbayern verortete – allerdings „ohne Gewähr“, sagt Mulzer. Seine Abteilung war in der Zwischenzeit fast vollzählig für den Katastropheneinsatz etwa zur Bestellung von Atemschutzmasken abgezogen worden, so dass sich Mulzer und Kollegen erst jetzt wieder mit Wirecard befassen konnten. Sie kamen zu dem Schluss, dass eine Zuständigkeit ihrer Behörde nicht gegeben war, und zwar einen Tag bevor Wirecard Insolvenzantrag stellte.

Zur Begründung verwies Mulzer darauf, dass die Wirecard AG laut Geschäftsbericht vor allem Managementleistungen für Tochterunternehmen erbringe. Im Geschäftsbericht stehe aber auch, wie viel Umsatz die Wirecard AG mit diesen Leistungen gemacht habe, antwortete Jens Zimmermann, Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss. „Ich will Sie hier ja nicht quälen, aber wissen Sie, wie viel?“, fragte er den Zeugen. „Sie quälen mich hier doch schon drei Stunden“, antwortete Mulzer nun doch erkennbar zerknirscht. 2018 waren es laut Zimmermann 18 Mill. Euro von 2,4 Mrd. Euro Umsatz.

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