LEITARTIKEL

Erst Solidität, dann Solidarität

Europa hat einen weiteren fatalen Zwischenschritt auf dem verqueren Weg zur Bankenunion gemacht. Die Zustimmung des Bundestags zur 100-Mrd.-Euro-Hilfe für Spaniens Banken bedeutet, dass diesmal deutsche (und andere) Steuerzahler für die Folgen der...

Erst Solidität, dann Solidarität

Europa hat einen weiteren fatalen Zwischenschritt auf dem verqueren Weg zur Bankenunion gemacht. Die Zustimmung des Bundestags zur 100-Mrd.-Euro-Hilfe für Spaniens Banken bedeutet, dass diesmal deutsche (und andere) Steuerzahler für die Folgen der Lotterwirtschaft des Kreditgewerbes zwischen Santander und Sevilla und des Versagens der dortigen Aufsicht haften. Geht es nach dem Willen der Regierungschefs in Euroland, ganzer Legionen von Wissenschaftlern und etlicher Zentralbanker, werden es in einer der nächsten Rettungsrunden die Sparer sein, die für den Schlendrian von Banken in Ländern mit zerrütteten öffentlichen Finanzen büßen müssen. Denn auf eine solche Vergemeinschaftung vorhandener Haftungsmasse, sprich Einlagensicherungsgelder, liefe eine ansonsten durch einheitliche Regeln, eine gemeinsame Aufsicht und eine länderübergreifende Abwicklungsinstanz gekennzeichnete Bankenunion hinaus.Die unselige Wechselwirkung zwischen der Krise der Staatshaushalte und jener der Finanzsysteme auf nationaler Ebene müsse via Bankenunion durchbrochen werden, sagen deren Befürworter. Mit diesem Argument wird auch begründet, dass der fürs Erste noch in seiner “alten” Fassung auf Karlsruher Eis liegende Euro-Rettungsfonds ESM künftig obendrein marode Banken direkt rekapitalisieren soll. Im ersten Moment klingt das überzeugend. Staaten retten mit Multimilliardenpaketen angeschlagene Banken und geraten so immer tiefer in den Schuldenschlamassel. Die taumelnden Banken wiederum kommen mehr und mehr in die Bredouille, weil sie massig in nationalen Staatsanleihen exponiert und mithin von Fall zu Fall hohem Abschreibungsbedarf ausgesetzt sind. Dann wird der Wirtschaft der Kredithahn zugedreht, die Rezession verschärft sich – ein Teufelskreis. Da erscheint eine Bankenunion fast wie der Königsweg aus diesem Dilemma.Der von den Apologeten des vollintegrierten Bankenmarktes allzu gerne übersehene Schönheitsfehler: Wenn verrottete oder schon untote Banken – solche Zombies sind übrigens kein Spezifikum der Euro-Peripherie – durch die Steuerzahler in noch halbwegs soliden Ländern und künftig zudem durch die Sparer in Staaten mit einigermaßen belastbaren Einlagensicherungssystemen aufgefangen werden, sind die Schulden der betroffenen Banken und Staaten ja nicht plötzlich weg. Die Schulden hat jetzt nur ein anderer – vorzugsweise Europas Zahlmeister Nummer 1: Deutschland. Da wird mitnichten eine Spirale zwischen Banken- und Staatsschuldenkrise durchbrochen. Es werden nur Haftung und Geld umverteilt. Das Ganze nennt sich dann “mehr Europa”.Darüber kann und muss man ja reden. Aber bitte in der richtigen Reihenfolge. Die “Bankenunionisten” bringen regelmäßig ein Totschlagargument: Man könne doch nicht mit dem Nachbarn, dessen Haus schon lichterloh in Flammen steht, lang und breit über Hilfe verhandeln. Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon hat dieser Tage mit einem schlagenden Bild geantwortet: Wenn bei ausländischen Instituten längst die Hütte brennt, kann man von deutschen Banken kaum erwarten, dass sie den Wettbewerbern noch eine Feuerversicherung verkaufen. Man darf hinzufügen: Brandstifter, die das eigene Haus abfackeln, haben gemeinhin gar keinen Versicherungsschutz, und mit ihnen gibt es auch nichts zu verhandeln.Dies soll keine Absage an Solidarität unter europäischen Partnern sein, und diesbezüglich kann wohl auch niemand ernsthaft auf die Idee kommen, Deutschland Defizite anzukreiden. Aber Solidarität – auch über eine Bankenunion – setzt erstens nachhaltige Solidität und zweitens einen deutlich über den Status quo hinausgehenden Verzicht auf nationale Souveränität voraus. Um Missverständnissen vorzubeugen: Eine Bankenunion ist zur dauerhaften Absicherung der Europäischen Währungsunion zwingend, sie ist sogar überfällig. Die Politik hat dieses Thema zwei Jahrzehnte lang ebenso verschludert wie überhaupt das Vorantreiben einer – so das Leitbild von Maastricht – “immer engeren Union der Völker Europas”. Aber als kurzfristige Remedur gegen Symptome und vor allem Ursachen einer säkularen Schuldenkrise ist die Bankenunion denkbar ungeeignet. Und führte man sie unter den vorherrschenden Umständen als vermeintliche Wunderwaffe gegen das wechselseitige Ausgeliefertsein hochverschuldeter Staaten und hochverschuldeter Banken holterdiepolter, also ohne Erfüllung der unabdingbaren Voraussetzungen und ohne Einhaltung der gebotenen Reihenfolge, ein, würde sie weitaus mehr schaden als nützen. Dann nämlich hieße Bankenunion, dass alle gemeinsam – die Unsoliden und die noch leidlich Soliden – ganz solidarisch ins Verderben stürzen. Mit solcher “Solidarität” wäre niemandem gedient. ——–Von Bernd Wittkowski ——-In einer Bankenunion sind die Schulden ja nicht plötzlich weg. Sie hat jetzt nur ein anderer – vorzugsweise Europas Zahlmeister Nummer 1.