Wirecard-Strafprozess

„Es gab die Angst der Entdeckung“

Im Wirecard-Strafprozess machte der Kronzeuge Angaben zur mutmaßlichen Tatbeteiligung des Hauptangeklagten, Ex-Vorstandschef Markus Braun.

„Es gab die Angst der Entdeckung“

sck München – Am achten Verhandlungstag im Strafprozess um den Bilanzbetrug bei Wirecard hat der Kronzeuge über die Rolle der damaligen Führungsspitze berichtet. In seiner Vernehmung durch den Vorsitzenden Richter Markus Födisch gab der mitangeklagte Oliver Bellenhaus an, dass Manipulationen direkt von der Konzernspitze entschieden worden seien. Dem Geständigen zufolge sind im Jahr 2019 „Anpassungen“ in den Dokumenten und Buchungsunterlagen mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun abgesprochen worden. „Ich muss das mit Markus besprechen“, zitierte Bellenhaus vor dem Landgericht München I Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek, als seinerzeit zwischen den Beteiligten abgeklärt worden sei, wie diese „Änderungen“ vorgenommen werden sollten. In diesem Kontext habe sich Marsalek gegenüber ihm, Bellenhaus, so geäußert. Der Kronzeuge war früher Statthalter des Zahlungsabwicklers am Standort Dubai. In dieser Funktion war er für das Drittpartnergeschäft (TPA) in Asien, welche sich als große Luftbuchung herausstellte, zuständig. Seit dem aufgeflogenen Machenschaften beim einstigen Dax-Aufsteiger Wirecard im Frühsommer 2020 befindet sich der mit Haftbefehl gesuchte Marsalek auf der Flucht. Medienberichten zufolge soll er sich in Russland versteckt halten.

„Jan sah immer alles positiv“

„Es gab immer wieder Äußerungen von Jan dahingehend, dass er Entscheidungen mit Markus absprechen müsse“, sagte Bellenhaus in seinen Erinnerungen zu den Vorgängen im Jahr 2019. In den Antworten zu seiner Befragung fällt auf, dass der Kronzeuge sich zu dem Hauptangeklagten Braun und zu Marsalek durchgehend mit Nennung ihrer Vornamen äußert. In den Jahren davor habe er, Bellenhaus, nach seinen Angaben auch direkte Gespräche mit Braun geführt. Als Beispiel erwähnte er gegenüber dem Vorsitzenden Richter ein Gespräch „unter vier Augen“ mit dem CEO im Februar 2016. Seinerzeit hatte der sogenannte Zatarra-Report für Aufsehen gesorgt. Hinter der Studie über Wirecard stand damals der britische Shortseller Fraser Perring. Dieser erhob schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen, darunter Geldwäsche, Bilanzmanipulationen und überteuerte Firmenübernahmen. Die Aktie von Wirecard geriet in schwere Turbulenzen. Ziel dieser Gespräche mit Braun sei es seinerzeit gewesen, die im Zatarra-Bericht erhobenen Beschuldigungen zu widerlegen. Es seien „Brainstorming-Prozesse“ ge­wesen. Für den Kronzeugen war das damals seine eigene konzerninterne Aufwertung: „Der Report war meine Eintrittskarte in den Inner Circle“, sagte er vor der zuständigen 4. Wirtschaftsstrafkammer des Gerichts aus. Damit meinte er den Kern der an den Fälschungen beteiligten Personen. Neben Braun, Marsalek und seiner eigenen Person waren das Ex-Finanzvorstand Burkhard Ley und der frühere Konzernchefbuchhalter Stephan von Erffa, wie Bellenhaus zuvor angab (vgl. BZ vom 13. Januar). Letzterer sitzt mit auf der Anklagebank. „Es war immer schon unsere Taktik, diese Angriffe von außen gegen Wirecard als Shortseller-Attacken darzustellen. Der Shortseller war immer der Schuldige“, sagte Bellenhaus.

Im Jahr 2019, als die „Financial Times“ mit substanziellen Vorwürfen Wirecard unter Druck brachte, zog dieser Taktik nicht mehr. „Es war ein Rückzugsgefecht. Wir waren damit beschäftigt, nach außen zu erklären, warum diese und jene Händler im TPA-Geschäft nicht mehr existierten“, so Bellenhaus. „Es gab die Angst der Entdeckung.“ Zu jener Zeit habe es einen „ständigen Austausch“ mit von Erffa und Marsalek gegeben.

„Die Angaben, die die FT machte, waren völlig korrekt.“ Er bezeichnete Brauns damalige Prognose zum TPA-Bereich als „völligen Bullshit“. Umsätze mit Drittpartnern hätten nie existiert, gab er abermals zu Protokoll. „Die TPA-Geschäfte haben uns das Genick gebrochen.“ Aber selbst das (ernüchternde) Resultat der Sonderprüfung von KPMG im Frühjahr 2020 erschütterte die Konzernführung wohl nicht. „Jan sah immer alles positiv. Das war seine Art.“

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.