"Es geht nicht mehr weg"
Nachhaltigkeit, der Gebührendruck, die Digitalisierung der Prozesse und aktuell Corona – diese Themen dominieren die Diskussionen in der Assetmanagement-Branche. Noch nicht so stark im Fokus dagegen ist ein voraussichtlich noch viel tiefgreifender Wandel: Die Möglichkeit, reale Vermögensgegenstände und Wertpapiere in der Blockchain-Technologie abzubilden, also digitale Zwillinge dieser Assets in Form von sogenannten Token zu schaffen, wird die Branche Experten zufolge umkrempeln. Sven Hildebrandt, geschäftsführender Gesellschafter bei DLC Distributed Ledger Consulting GmbH, erläutert im Interview unter anderem, wie sich die Marktteilnehmer neu aufstellen müssen, ob es künftig noch Sondervermögen gibt, wo Portfoliomanager noch eine Zukunft haben und welche Rolle Amazon, Google & Co. einnehmen werden. Herr Hildebrandt, die Blockchain-Technologie und die Digitalisierung von Assets, also deren Abbildung in Form von Token, kommen langsam aus der Nische und rücken immer stärker in den Fokus. Die Bundesregierung hat im vergangenen Herbst eine Blockchain-Strategie präsentiert, zu Jahresbeginn trat das Kryptoverwahrgesetz in Kraft, und demnächst ist die Tokenisierung von Schuldverschreibungen möglich. Das alles wird die Vermögensverwaltungsbranche umkrempeln. Wie geht sie damit um?Tatsächlich befinden wir uns in der Post-Initial-Coin-Offering-Phase, die sich in der Tat durch das ein oder andere nicht sonderlich seriöse Projekt auszeichnete. Mittlerweile verstehen jedoch immer mehr Marktteilnehmer, dass die Tokenisierung von Vermögensgegenständen auf der Blockchain viele Vorteile an den unterschiedlichsten Stellen bietet. Dies führt dazu, dass sich auch immer mehr Menschen mit diesem Thema intensiver auseinandersetzen. Zwar fehlen derzeit noch die gesetzlichen Grundlagen für die wirklich gut funktionierende Digitalisierung von Assets, aber das wird kommen und sehr viele neue Möglichkeiten eröffnen. Diese Entwicklung wird für einige aber auch negative Folgen haben.Das stimmt, vor allem für die Finanzintermediäre, von denen dann viele in der derzeitigen Form nicht mehr benötigt werden. Allerdings wird auch immer wieder propagiert, dass Verwahrstellen überflüssig würden. Das aber glaube ich nicht. Denn niemand, besonders die institutionellen Investoren, möchte selbst auf seinen Private Key, also den Zugang zu seinen digitalen Assets, aufpassen. Diese Funktion werden – sofern sich die etablierten Player nicht bewegen – jedoch andere Marktteilnehmer, wie zum Beispiel Fintechs, übernehmen. Also Technologieunternehmen?Ja, letztlich werden sogar die Big Techs, also Google, Amazon und Co., das Ruder übernehmen. Ich kann Ihnen dazu ein Beispiel nennen, und zwar Samsung mit seinem neuesten Handy-Modell, dem S20. Dieses Handy verfügt über einen eingebauten Secure Chip, der den Zugang zur Ethereum-Blockchain ermöglicht, über die derzeit rund 95 % aller Security Token ausgegeben werden. Samsung stellt auch eine Backup-Funktion bereit, so dass die Kunden auch dann noch an ihre Token kommen, wenn sie ihr Handy verlieren oder es gestohlen wird. Hier haben wir also die komplette Verschiebung der Tätigkeit einer Depotbank auf ein Big-Tech-Unternehmen. Das klassische Argument lautet aber doch stets, die Technologieunternehmen seien keine regulierten Finanzinstitute und damit nicht in der Lage, solche Funktionen zu übernehmen.Mein Gegenargument lautet: Diese Unternehmen haben so viel Geld, sie können sich eine komplette Bank, Börse oder was auch immer sie haben wollen, um lizensiertes Geschäft betreiben zu können, schlicht kaufen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die Regulierungsbehörden in Zukunft mit dem Thema umgehen, und wie sich die Voraussetzungen ändern werden, um solche Geschäfte betreiben zu dürfen. Im neuen Kryptoverwahrgesetz legt der Gesetzgeber bereits großen Wert auf Technologie-Expertise, was absolut sinnvoll und gerechtfertigt ist. Wenn Google oder Amazon also den hiesigen Fondsmarkt erschließen wollen, kaufen sie sich eine Mannschaft an Risikomanagern und Mifid-II-Experten ein. Wie sollte die BaFin da die Lizenz verwehren? Und warum machen die Big Techs das noch nicht?Momentan verdienen diese Gesellschaften unglaublich viel Geld, gerade auch durch Corona. Denn die Krise bewirkt einen riesigen Digitalisierungsschub in allen Branchen, Organisationen und bis hinein in die Ministerien. Aber es wird kommen. Die Blockchain-Entwicklung ist heute in etwa so weit wie das Internet im Jahr 1992: Es ist noch langsam, die User Experience ist noch nicht wirklich gut, und es ruckelt noch an einigen Stellen. Aber immer mehr Leute merken: Es geht nicht mehr weg. Und Libra ist ja nun in der Tat ein wirklich eindrucksvolles Beispiel dafür, wie groß hier gedacht wird. Die Digitalisierung von Prozessen wird durch Corona rasant vorangetrieben. Die Entwicklung der Blockchain-Praxis aber geht nicht richtig vorwärts, solange die gesetzlichen Grundlagen fehlen. Was sind die nächsten Schritte?Der erste Schritt ist das geplante neue Gesetz zur digitalen Schuldverschreibung. Gleichzeitig werden wir das Entstehen von regulierten Handelsplätzen sehen. Dann kommt die bereits angekündigte Gesetzesänderung auch für Aktien und Fonds, die auch vom BVI Bundesverband Investment und Asset Management zu Recht und sehr weitsichtig vehement gefordert wird. Die Kombination aus funktionierendem, sinnvoll reguliertem Zweitmarkt und gesetzlicher Grundlagen wird dann in der Tat zu einem exponentiellen Anstieg der Security Token führen. In welchem Zeitrahmen wird sich das entwickeln?Das Gesetz zur digitalen Schuldverschreibung sollte schon im vergangenen Jahr kommen. Ich rechne nun in den nächsten vier Monaten damit. Wann die Gesetze für die Digitalisierung weiterer Assetklassen folgen werden, ist aber noch offen. Aktuell ist hierzu allerdings schon die Ausschreibung an unterschiedliche Lehrstühle für die diesbezüglichen Rechtsanpassungen unterwegs. Was den Sekundärmarkt angeht: Die Börse Stuttgart arbeitet mit Hochdruck daran und plant den Start zum Jahresende. Das heißt, der Handel mit Security Token ist in absehbarer Zukunft möglich. Sind die Fondsgesellschaften und Depotbanken denn in der Lage, das zu managen?Es beschäftigen sich heute zwar weitaus mehr Gesellschaften mit dem Thema als noch vor einem Jahr, aber immer noch viel zu wenige. Essenziell wäre es, dass die Gesellschaften die Prozesse für das Managen und die Verwahrung der Token aufsetzen. Die meisten sind derzeit in der Konzeptionsphase. Einige wenige sind aber schon in die Praxisphase eingetreten. So haben Peakside und Wertgrund Immobilien-Token aufgelegt. Da die gesetzlichen Grundlagen noch fehlen und eine Immobilie noch nicht digitalisiert werden kann – handelt es sich denn hier überhaupt um Immobilien-Token?Nein, das ist, wie Sie sagen, noch nicht möglich. Die derzeit bestehenden Token sind keine Anlagen in Immobilien, sondern zumeist nachrangige Schuldverschreibungen. Denn noch lässt sich die Immobilie nicht papierlos auf die Blockchain bringen, hier ist immer noch der notarielle Eigentumsnachweis notwendig. Die Fondsanbieter nutzen dieses Modell letztlich als Krücke, um auf der Blockchain aktiv werden zu können. In meinen Augen ist es sehr wichtig, diese Technologie auch auf diesem Weg jetzt schon auszuprobieren, auch wenn es noch kein geschäftlicher Erfolg ist. Denn die Gesellschaften, die sich bereits heute mit der Technologie befassen, werden die Gewinner in der Zukunft sein. Das ist also eine Art Probephase. Wenn die Tokenisierung aber einmal gesetzlich geregelt ist, werden sicherlich nicht gleich alle Assets auf einmal digitalisiert werden. Wie kann man sich so eine Übergangsphase vorstellen?Es wird eine “Parallelwelt” mit sowohl papierhaften Aktien als auch Security Token geben, die in meinen Augen sehr spannend sein wird. Stellen Sie sich einmal das Szenario vor, in dem ein und dasselbe Wert”papier” in unterschiedlichen Formen vorliegt: einmal klassisch, einmal als Token. Der Token ist durch Nutzung der Technologie insgesamt aber günstiger in der Abwicklung. Das hat beispielsweise bei Fonds – Stichwort Best Execution – zur Folge, dass der Fonds im Zweifel den Token kaufen muss. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie haben beispielsweise als Depotbank die Entwicklung verschlafen und können Token nicht verwahren. Nun wird die Entwicklung aber nicht damit enden, dass Fondsgesellschaften lernen, Security Token in ihren Fonds zu managen. Fonds selbst werden eines Tages digitalisiert werden können. Sind dann Sondervermögen nicht überflüssig?Ja, das wird die Endstufe sein. Sondervermögen werden selbst zu Smart Contracts, also Einträgen auf der Blockchain. In einen Smart Contract kann fast jede Fondseigenschaft und Funktion, wie zum Beispiel Anlagegrenzprüfungen, integriert werden. Wird es künftig überhaupt noch Kapitalverwaltungsgesellschaften und Verwahrstellen geben?Hier ein Jein: Es wird eine Art Zwitter geben. Dieser muss jedoch sehr viel mehr Tech-Expertise aufweisen, als dies heute der Fall ist. Und wir brauchen in meinen Augen auch dringend eine politische Antwort, wie wir dann mit den Beschäftigten in Back- und Middle-Office-Funktionen umgehen. Denn die machen sie nicht über Nacht zu Solidity-Codern. Und wie sieht es mit dem Fondsvertrieb aus? Sie sagten ja, mit der Blockchain-Technologie verschwinden manche der Intermediäre.Einen Vertrieb wird es weiterhin geben, nur nicht in der bisherigen Form. Ein Beispiel: Würde ein Projektentwickler sein Vorhaben nicht über einen Fonds, sondern über Token finanzieren, kann ich mir kaum vorstellen, dass er direkt an potenzielle Anleger herantritt. Dazu fehlt ihm in der Regel die Marketing- und Vertriebsexpertise. Das werden künftig aber weniger die Banken als vielmehr die Big Techs übernehmen, die viel näher an den Menschen dran sind als Banken und Fondsgesellschaften und die eigentliche Kundenschnittstelle bilden. Denn jeder hat ein Handy, das persönliche Daten sammelt und einen passenden Fonds anbieten kann, aber niemand hat in dieser Intensität Kontakt zu seiner Bank. Das heißt, Google und Amazon suchen künftig die Fonds für die Menschen aus. Aber diese werden noch von Portfoliomanagern gemanagt, oder?Nicht unbedingt. Hier wird man zwischen dem institutionellen und dem Retailgeschäft unterscheiden müssen. Im institutionellen Bereich gibt es noch einige Vorbehalte gegenüber Computeralgorithmen. Zudem sind die verwalteten Vermögen sehr groß – hier hat der klassische Portfoliomanager daher weiterhin seine Daseinsberechtigung. Im Retailbereich sehe ich das aber nicht. Google, Amazon, Facebook und Co. werden einen auf jeden einzelnen Anleger individuell zugeschnittenen Fonds bauen, der auf den jeweiligen persönlichen Vorlieben beruht, ganz ohne Portfoliomanager. Wie soll das funktionieren?Das ist nicht schwer. Der Anleger lädt sich eine App auf sein Handy oder bekommt sie vielleicht sogar von Apple gleich mitgeliefert. Er klickt sich durch die Zustimmung zu den AGB – wie bei den meisten Menschen üblich, ohne sie zu lesen – und gibt der App damit Zugriff auf alle andere Apps. Das Programm kann dann einige Wochen alles analysieren, was der Nutzer tut, nach welchen Bildern oder Autos er googelt, welche Musik er hört oder wohin er reist, und bekommt anschließend eben nicht einen bestimmten Themen-Fonds einer Fondsgesellschaft oder einen Dax-ETF angeboten, sondern einen absolut personalisierten, nur für ihn gebauten Fonds – und das zu Kosten von weit unter 0,2 %. Ach so, KYC, also die Know-Your-Customer-Prüfung, machen Sie dann gleich, wenn Sie das Handy kaufen. Und sollte das online der Fall sein, eben über einen Videocall. Werden solch extrem niedrigen Gebühren die äußerst kostensensiblen Institutionellen nicht überzeugen, auch wenn sie jetzt noch Vorbehalte gegen Computeralgorithmen haben?Ja, Profiinvestoren schauen sehr genau auf die Kosten. Tatsächlich ist aber die Furcht groß, als erster der Peers mit solch einer Innovation Schiffbruch zu erleiden. Leider beschäftigen sich bisher nur wenige Investoren in der Tiefe damit, was überhaupt schiefgehen könnte und welche Sicherheitsmaßnahmen es gibt. Was könnte denn schiefgehen?Es kommt immer darauf an. Bei einem Security Token sind das andere Dinge als bei den sogenannten nativen Blockchain-Technologien wie Bitcoin oder Ethereum. Typisch aber wäre zum Beispiel der Verlust des Private Key. Wenn der Zugriff auf die Bitcoins verloren geht oder gestohlen wird, sind diese im schlimmsten Fall weg. Ich sage ganz bewusst “im schlimmsten Fall”, denn dieser Bereich hat sich in den vergangene drei bis vier Jahren sehr stark weiterentwickelt. Inwiefern?Heute gibt es professionelle Custodians, die die Assets nahezu unbegrenzt versichern. Die Befürchtungen und Vorbehalte lassen sich also ausräumen. Die Investoren müssen sich nur mit dem Thema intensiv beschäftigen, weil es in der Tat noch recht komplex und undurchsichtig ist. Das werden sie zwangsläufig, je mehr die Tokenisierung an Fahrt aufnimmt.Ja. Ich bin im Übrigen davon überzeugt, dass sich die Institutionellen zunächst mit den Security-Token anfreunden und im nächsten Schritt erkennen werden – und das dauert nicht mehr zehn Jahre -, dass die nativen Blockchains, also Bitcoin und Co., extrem attraktive Anlageobjekte sind. Der Blockchain-Assetmarkt hat zwar derzeit alle Kinderkrankheiten eines neu entstehenden Marktes wie hohe Volatilitäten oder Marktmissbrauch. Aber er entwickelt sich weiter und Gesetzgebung und Regulierung greifen Schritt für Schritt nach. Deutschland ist hier mit dem ersten Kryptoverwahrgesetz anderen voraus und kann mit Übernahme des Vorsitzes des EU-Rates im Juli das Thema für Europa vorantreiben. Das ist sehr wichtig. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir hier den Anschluss verlieren. Das Interview führte Christiane Lang.