PARADIGMENWECHSEL

Es wird kein Zurück mehr geben

Der Mega-Trend Nachhaltigkeit stellt die gesamte Bank in Frage - Deutschlands Kreditwirtschaft ist darauf kaum vorbereitet

Es wird kein Zurück mehr geben

Von Bernd Neubacher, FrankfurtBanker können sich schon leidtun, derzeit noch eher als in den vergangenen Jahren: Erst lässt nach Eskalation der Finanzkrise die Europäische Zentralbank die Erträge aus der Fristentransformation zerbröseln, dann macht die Regulierung den Instituten das Leben mit härteren Kapitalanforderungen schwer, auch tauchen neue Wettbewerber auf, die sich aufs digitale Bankgeschäft viel besser verstehen als die Alteingesessenen – und jetzt sollen die Kredithäuser auch noch nachhaltig werden.Das Problem: Die Schocks nehmen an Vehemenz sukzessive zu. Geldpolitik und Regulierung belasten in erster Linie das Ergebnis. Die Digitalisierung stellt bereits das Geschäftsmodell in Frage – der Trend zur Nachhaltigkeit jedoch die gesamte Bank. Ein Wust an VorgabenWer sich darauf verlässt, dass der jüngste Trend wie so viele andere vor ihm kommen und gehen wird, ist verlassen: Spätestens seitdem sich die EU-Gesetzgeber auf eine Klassifizierung von Wirtschaftsaktivitäten für die nachhaltige Kapitalanlage geeinigt haben und die neue EU-Kommission wenige Tage nach Amtsantritt einen “Green Deal” präsentiert hat, wird es regulatorisch kein Zurück mehr geben. So will die europäische Bankenregulierungsbehörde EBA Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte (ESG) in der aufsichtlichen Überprüfung- und Bewertung (SREP) von Banken verankern und plant bereits Klima-Stresstests. Auch der von der Bundesregierung ins Leben gerufene Nachhaltigkeitsbeirat wird Ideen entwickeln. In die Aufsicht ist ebenso Bewegung gekommen: Auf globaler Ebene arbeiten Aufseher und Notenbanken in einem Network for Greening the Financial System zusammen, die europäische Bankenaufsicht macht Nachhaltigkeit in ihren Gesprächen mit Banken zum Thema und national hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein Merkblatt für Nachhaltigkeitsrisiken vorgelegt, das zwar noch rechtsunverbindlich ist, im Laufe der Zeit aber unweigerlich in knallharte Vorgaben münden wird. Keine Behörde will tatenlos zuschauen, wie Banken und Versicherer unverdrossen Forderungen in ihren Bilanzen fortschreiben, von denen absehbar ist, dass die damit finanzierten Aktiva vor einer radikalen Neubewertung stehen.Damit ist auch klar: Sollten sich die diversen Instanzen der Regelsetzung nicht bald konsequent koordinieren – wofür nach den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre eigentlich rein gar nichts spricht -, dürfte auf die Branche ein Wust an bestenfalls friedlich koexistierenden und schlimmstenfalls sich widersprechenden Vorgaben zukommen, gegenüber denen sich die Finanzrichtlinie Mifid II bald als lockere Aufwärmübung ausnehmen dürfte.Mindestens ebenso wichtig wie die Resonanz bei der Aufsicht und in der Öffentlichkeit aber ist: Die Kundschaft fordert von ihrer Bank zunehmend nachhaltiges Handeln sowie entsprechende Informationen. Allein mit dem Verweis auf grüne Fonds in der Angebotspalette werden Banken künftig nicht mehr renommieren können. Dies gilt erst recht im internationalen Wettbewerb: In Nachbarländern wie Frankreich und in den Niederlanden, die schon jetzt zu 26 % unter dem Meeresspiegel liegen, steht Nachhaltigkeit deutlich höher auf der Agenda.Grüner Wandel ist schnell propagiert, in der Praxis stehen ihm rasch handfeste Ertragsinteressen entgegen: Da nimmt HSBC, die für sich in Anspruch nimmt, Nachhaltigkeitsrisiken als eine der ersten Banken überhaupt im Risikomanagement verankert zu haben, eine führende Rolle beim Börsengang von Aramco ein, der größten Erdöl-Fördergesellschaft der Welt, die nicht nur unter ökologischen, sondern auch sozialen sowie Governance-Aspekten nicht eben preisverdächtig daherkommt. Ob die Deutsche Bank noch, wie in den Jahren 2016 bis 2018, Öl- und Gasaktivitäten in der Arktis mit insgesamt knapp 1 Mrd. Dollar finanzieren und Unternehmen mit Bezug zu fossilen Brennstoffen insgesamt knapp 54 Mrd. Dollar bereitstellen kann, wie Umweltschützer errechnet haben, nachdem sie Nachhaltigkeit im Sommer zu einer von vier Kategorien ihrer Strategie erklärt hat? Ein Hauen und Stechen drohtInterne Konflikte sind programmiert, in den Banken drohen ein Hauen und Stechen zwischen Front-Office und Risikomanagement – sowie Ertragseinbußen. Im Corporate Banking wird schon die Anekdote herumgereicht, wie sich auf Grund von Nachhaltigkeitsbedenken jüngst keine deutsche Bank ungeachtet einer staatlichen Exportkreditgarantie bereitfand, Siemens Teile eines Kraftwerks in Asien zu finanzieren. Den Zuschlag erhielt ein französisches Institut.Während auf das Management in Banken schwierige Entscheidungen zukommen, bietet der neue Megatrend zugleich wie kein anderer zuvor Banken Gelegenheit zuhauf, öffentlich (Rest-)Reputation zu verspielen, wenn sie künftigen Anforderungen der Aufsicht nicht nachkommen oder Anspruch und Realität auseinanderklaffen.Angesichts einer ohnehin seit Jahren anhaltenden Konsolidierung im Bankensektor sowie einem unweigerlich kommenden Wirtschaftsabschwung gehört nicht viel zu der Prognose, dass die Anforderungen der Nachhaltigkeit mit den Folgen von Zinstief, Reregulierung und Digitalisierung manches Institut in Deutschland überfordern dürften. Dabei verhält es sich mit der Nachhaltigkeit wie mit jedem anderen Umbruch auch: Zurück bleibt vor allem, wer sich dem Wandel verweigert – womöglich schon deshalb, weil er als Arbeitgeber vollends unattraktiv wird. Wer die Initiative ergreift und sich die Umwälzung zu Nutzen machen kann, dem bieten sich hingegen sehr wohl Perspektiven.Wenn etwa die Europäische Kommission festhält, dass Europa in den kommenden zehn Jahren zusätzliche Investitionen von jeweils rund 180 Mrd. Euro benötigt, um die Ziele des Klimaabkommens von Paris zu erreichen, dann sind dies nach Adam Riese schon einmal potenziell 1,8 Bill. Euro, die es zu finanzieren gilt. Allein bundesweit müssen im Zeichen der Energiewende in den kommenden Jahren über 7 500 Kilometer im deutschen Stromnetz verbessert, aus- oder schlicht neu gebaut werden. Banken dürfen sich ruhig darüber Gedanken machen, wie sie an diesen Finanzströmen teilhaben können.Mit dem Feld energetischen Wohnens liegt derweil ein riesiges Terrain noch weitgehend brach. Die Kreditwirtschaft kann dort nicht nur Finanzierungen anbieten, sondern dank ihres Datenbestands aus der Gebäudefinanzierung zum Beispiel Managern von Immobilienportfolios zudem erklären, wo sie wann energetisch noch nachbessern müssen -neben Zinserträgen winken dann noch Beratungsprovisionen. Im Transaction Banking könnten sie Unternehmen anbieten, deren Lieferketten nachhaltig auszurichten. Und im Assetmanagement lassen sich garantiert Pensionskassen finden, die ihre Kapitalanlagen in der betrieblichen Altersvorsorge entsprechend nachjustieren wollen.In Anbetracht dieser Perspektiven, vor allem aber Zwänge tut sich in Deutschlands Kreditwirtschaft entschieden zu wenig. Wo bleibt etwa die Nachhaltigkeitsstrategie der Sparkassen, deren Vertreter aufgrund Gemeinnützigkeit und Gemeinwohlorientierung geradezu prädestiniert scheinen, sich an die Spitze des grünen Wandels zu setzen, und noch am wenigsten Probleme haben dürften, etwaige Bremsspuren im Ergebnis zu rechtfertigen? Auf einschlägigen Konferenzen machen sich Exponenten des öffentlich-rechtlichen Bankensektors rarer noch als Genossen und Private, die ihren Enthusiasmus gleichwohl ebenfalls zu zügeln wissen. Da passt es ins Bild, wenn die jüngste Kreditumfrage der BaFin zutage fördert, dass zwei von drei deutschen Banken Klimarisiken noch gar nicht in ihrem Risikomanagement berücksichtigen. Das wird sich ändern. So oder so.