ESMA ruft nach Starthilfe für DLT-Plattformen
ESMA ruft nach Starthilfe für DLT-Plattformen
Finanzbranche zögert mit dem Aufbau neuartiger Handelssysteme – EU-Aufsicht empfiehlt Weiterentwicklung des Pilotregelwerks
Der Handel über dezentrale DLT-Systeme wird bereits in vielfältiger Form in der Finanzbranche erprobt. Doch ein einheitliches Regelwerk für die zugehörige Marktinfrastruktur steht in Europa noch am Anfang. Die EU-Wertpapieraufsicht ESMA sieht noch immer viele Hürden – und empfiehlt mehr Klarheit aus Brüssel.
jsc Frankfurt
Ein Jahr nach Einführung eines europäischen Regelwerks für eine neuartige Marktinfrastruktur empfiehlt die European Securities and Markets Authority (ESMA) eine Erleichterung. Bisher sei in Europa keine einzige Handelsplattform auf Grundlage einer Distributed-Ledger-Technologie (DLT) nach den Regeln des zeitlich befristeten Pilot-Regimes genehmigt worden, schreibt ESMA-Chefin Verena Ross in einem offenen Brief an die EU-Kommission. Zwar könne die Neuheit des Regelwerks den schwachen Start erklären, doch sei nun Brüssel gefragt. „Es wäre wünschenswert, wenn die Kommission einige Aspekte klären könnte, um die Akzeptanz der Regelung zu fördern“, heißt es in dem Schreiben.
Mit der Verordnung 2022/858 hat die EU einen Rahmen für die Erprobung einer DLT-Infrastruktur geschaffen – eine Art regulatorischer Sandkasten („Regulatory Sandbox“), wie es im Jargon der Fachleute heißt. Eine DLT ist ein dezentraler Informationsspeicher, der Transaktionen für alle Beteiligte nachvollziehbar festhält. Bekanntes Beispiel ist die Blockchain. Das Pilot-Regelwerk ermöglicht eine Infrastruktur für Handel (Multilateral Trading Facilities, MTF), Abwicklung (Settlement Systems, SS) oder eine Kombination aus beiden Systemen (Trading and Settlement Systems, TSS). Die ESMA soll das Experiment beobachten, darüber berichten und Empfehlungen erarbeiten.
Bisher nur vier Anträge auf Lizenz
Zwar wenden etliche Finanzadressen eine DLT-Lösung in unterschiedlichen Varianten bereits in der Praxis an. Eine umfassende Regulierung einer zugehörigen Marktinfrastruktur steht jedoch aus. Das DLT-Pilotregelwerk soll diese Lücke schließen, findet in der Praxis aber noch keine Anwendung.
Bisher haben lediglich vier Unternehmen in Europa eine Lizenz beantragt, darunter zwei aus Deutschland, wie die EMSA schreibt. Acht weitere Unternehmen könnten demnach noch in diesem Jahr mit einem Antrag folgen. Um welche Unternehmen es sich handelt, schreibt die Behörde nicht. In Deutschland hat das Hamburger Fintech Finexity, das Anlegern den Zugang zu Sachanlagen wie Immobilien, Kunst, Autos und Diamanten ebnet, im Oktober einen Antrag auf eine DLT-Lizenz angekündigt
Die ESMA ruft Brüssel dazu auf, möglichst rasch die bisherige zeitliche Frist ausweiten. Denn das Projekt, das am 23. März 2023 startete, sieht eine Frist von drei Jahren vor, also bis 2026. Dabei besteht die Option, die Regeln um weitere drei Jahre zu verlängern. Der Zeitraum von bis zu sechs Jahren sei aber ein „wesentlicher Grund des Zögerns“ im Markt, kritisiert die ESMA. Sie empfiehlt eine Ausweitung und drängt zur Eile: „Ein wichtiger Faktor für den Erfolg des DLT-Pilotregelwerks ist seine Attraktivität im Vergleich zu ähnlichen Regelwerken in Rechtsräumen außerhalb der EU.“
Warten auf digitales Zentralbankgeld
Für den Handel auf den DLT-Plattformen seien außerdem digitales Zentralbankgeld oder aber vergleichbare Instrumente wie elektronische Geldtoken hilfreich. Die EZB organisiert derzeit eine Probephase für einen digitalen Euro, doch eine Einführung in der Breite gilt in Fachkreisen erst ab 2028 oder 2029 als realistisch.
Andere tokenisierte Geldeinheiten als vorläufiger Ersatz lassen sich bisher nur schwer finden, wie die ESMA ausführt. Zum einen dürfen diese Geldeinheiten nach Lesart der EU-Behörde nur von einer Bank, nicht aber von anderen Anbietern ausgereicht werden, solange die EU-Kommission hier nicht für mehr Klarheit sorgt. Zum anderen steht die Einführung des Regelwerks Mica (Markets in Crypto-Assets) noch aus. Daher sei es schwierig, Anbieter für tokenisierte Geldeinheiten zu finden, analysiert die ESMA.
Anbindung an Zentralverwahrer „beschwerlich“
Auch sei die Anbindung der DLT-Plattformen an andere Systeme schwierig: Solange noch kein Anbieter zugelassen ist, können DLT-Handelsplattformen und Abwicklungssysteme folglich auch nicht kooperieren. Auch die Anbindung an einen gewöhnlichen Zentralverwahrer sei wegen technischer und organisatorischer Komplexität „beschwerlich“. Darüber hinaus regt die ESMA eine Klarstellung für den Umgang mit sogenannten Wallets an, die nicht der gewöhnlichen Wertpapierverwahrung unterliegen.
Schließlich erschwert der Anlegerschutz den Plattformpionieren den Start: Zwar können nationale Aufseher einen Zugang für gewöhnliche Privatleute erlauben, allerdings nur flankiert mit „ausgleichenden Maßnahmen“ („Compensatory Measures“). Hier sei es für Aufseher schwierig, derartige Maßnahmen zu erkennen, räumt die ESMA ein. Sie verweist auf ein „komplexes Zusammenspiel“ zwischen dem EU-Regelwerk Mifid II und dem DLT-Pilotvorhaben. Die ESMA werde weiterhin mit nationalen Aufsehern an einer Lösung arbeiten. Auch fordert die EU-Aufsicht mehr „Flexibilität“ für die Vorgaben an Finanzprodukte, die auf den DLT-Plattformen gehandelt werden.
Deloitte sieht Vorteil für Fintechs
Obwohl bislang kein Unternehmen das DLT-Pilotregelwerk bereits aktiv nutzt, sieht die Unternehmensberatung Deloitte etablierte Akteure gefordert, „da unter anderem auch Fintechs die Chance ergreifen werden, entsprechende Marktanteile zu gewinnen“, wie die Gesellschaft schreibt. „Durch ihr entsprechendes technisches Know-how – insbesondere im Bereich Tokenisierung – werden die Markteintrittsbarrieren niedriger sein.“ Noch aber sind die Hürden hoch.