Estnisches Proptech nimmt sich Resteuropa vor
fir Frankfurt
Der estnische Kreditmarktplatz Estate Guru nimmt sich nach seiner Deutschland-Expansion weitere europäische Märkte vor. Bis 2025 will das Start-up über seine Online-Plattform Kredite an mittelständische Unternehmen überall in Europa vergeben, sagt Nicola Picone, seit November Deutschlandchef, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Ziel sei, bis dahin das jährliche Finanzierungsvolumen auf 5 Mrd. Euro gebracht zu haben und damit größte Immobilienfinanzierungsplattform Europas zu sein. Wie realistisch das Ziel ist, sei dahingestellt. In jedem Fall bliebe sehr viel zu tun: In den sieben Jahren zwischen Januar 2014 und Januar 2021 summierten sich die insgesamt über die Plattform vergebebenen Kredite auf gut 300 Mill. Euro. Möglich sein soll die exorbitante Geschäftsausweitung nach dem Willen der Proptech-Macher dank weiterer Expansion und neuer institutioneller Investoren. Üblicherweise steuerten aktuell Institutionelle 15% und kleine Anleger 85% des Investitionsvolumens für die zu finanzierenden Projekte bei, sagt Picone. Dieses Verhältnis soll sich umkehren, um statt vieler Kleckerbeträge von Privatleuten, die mit Summen ab 50 Euro mit dabei sind, mehr Volumen durch weniger Geldgeber auf die Plattform zu bringen.
Seit Ende November ist Estate Guru im deutschen Markt unterwegs. Dass mit 22000 von rund 83000 Investoren mehr als jeder Vierte aus Deutschland komme, unterstreiche zusätzlich die Bedeutung des Immobilienmarkts, der laut JLL im vergangenen Jahr zum zweitgrößten weltweit avanciert ist. Die Erwartungen sind entsprechend hoch, trotz des von der EZB jüngst konstatierten Abschwungs des Markts für Gewerbeimmobilien. Das Potenzial für Preiskorrekturen macht die Aufseher nervös.
„Wir haben bislang in Deutschland eine durchschnittliche Kredithöhe von rund 680000 Euro, verglichen mit 90000 Euro in Estland. Die Möglichkeiten sind also ganz andere“, sagt Picone. Während der ersten vier Monate in der neuen Wirkungsstätte sind dem Deutschlandchef zufolge rund 20 Mill. Euro finanziert worden. Zu den hiesigen Investoren zählten Fonds und auch Banken wie Varengold, berichtet er. Das Hamburger Institut, das auf die Zusammenarbeit mit europäischen Fintechs, insbesondere Kreditplattformen, fokussiert ist, erfüllt für Estate Guru als Fronting Bank die regulatorischen Verpflichtungen der Kreditvermittlung. Die Berliner Niederlassung sei derweil noch im Aufbau begriffen, berichtet Picone, das Team stelle er derzeit zusammen. Der gebürtige Römer, den es nach Abschluss seines Masters in Rechtswissenschaften 2014 nach Berlin zog, sammelte dort im Family Office einer Boutique Berufserfahrung im Immobilienwesen. Nachdem er 2019 einen weiteren Master-Abschluss, an der Luiss Business School in Rom, erwarb, stieß er im Oktober 2020 zu Estate Guru.
Zwei Finanzierungsrunden
Der Großteil des rund 60-köpfigen Teams ist in der Zentrale in der estnischen Hauptstadt Tallinn tätig, hinzu kommen Büros in Riga, Vilnius, Helsinki und eben Berlin. Jüngst strebten die Esten auch nach Großbritannien und in die Niederlande. Neben diesen Ländern finden Finanzierungen von Projekten auch in Schweden und Finnland statt. Um 2025 europaweit aktiv sein zu können, hat sich das Proptech in zwei Finanzierungsrunden über die Crowdinvesting-Plattform Seedrs insgesamt rund 2,2 Mill. Euro beschafft. Zuletzt Mitte Mai 1,3 Mill. Euro und im Juni vergangenen Jahres über 900000 Euro. Das Geld aus den Fundraisings will Estate Guru zudem dazu nutzen, sich bei Institutionellen bekannter zu machen und die technologischen Lösungen, etwa zur datengestützten Risikoanalyse, voranzutreiben.
Die durchschnittliche Kreditlaufzeit betrage elf Monate, die Durchschnittsrendite 11,4%, so Picone. Seit der Gründung 2013 hätten Investoren keine Verluste erlitten, heißt es vom Unternehmen. Alle finanzierten Projekte seien erstrangig mit Immobilien besichert. Dass Kreditnehmer bereit seien, bei Estate Guru weitaus höhere Zinssätze als bei Banken zu berappen, führt Picone auf deren besondere Lage zurück.
Das Hauptgeschäft seien schließlich Überbrückungs- und Geschäftskredite mit kurzer Laufzeit, die schnell und kurzfristig zur Auszahlung kommen. „Wenn alles gutgeht, erfolgt die Kreditauszahlung binnen einer Woche, maximal dauert es zwei Wochen“, sagt Picone. Viele Kreditnehmer seien unter diesen Umständen willens, einen höheren Zinssatz zu zahlen.