Etablierte Zulieferer müssen frühzeitig reagieren
Die gesamte Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen. Insbesondere die etablierten Automobilzulieferunternehmen müssen reagieren, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben und den Unternehmensbestand zu sichern. Dabei stehen sie vor zwei zentralen Herausforderungen: zum einen vor dem permanenten Preisdruck seitens der Autohersteller, Erstausrüster und First Tiers, zum anderen vor einem hohen technischen und organisatorischen Veränderungsdruck, zum Beispiel durch Vernetzung oder Digitalisierung. Ohne eine frühzeitige und angemessene Reaktion wird es in naher Zukunft für viele Unternehmen zu potenziell existenzbedrohenden Krisensituationen kommen.Eine Krise stellt für Unternehmen sowohl hinsichtlich des Zeitdrucks als auch in Bezug auf die sich verschlechternde Liquiditätssituation einen Ausnahmezustand dar: Mit fortschreitendem Verlauf nimmt der Handlungsdruck zu, während die Handlungsoptionen abnehmen. Deshalb hat die möglichst frühzeitige Erarbeitung eines Restrukturierungskonzeptes eine besondere Bedeutung. Dabei sind neben spezifischen Sanierungsaspekten in der Automobilbranche auch vielfältige Sanierungsansätze zu berücksichtigen.Viele Zulieferer sehen sich derzeit mit sinkenden Order-/Stückzahlen konfrontiert. Die Erstausrüster ordern geringere Auftragsmengen als ursprünglich vereinbart beziehungsweise prognostiziert. Da Automobilhersteller ihre eigene Fertigungstiefe wieder erhöhen, werden die Orderzahlen in Zukunft weiter unter Druck geraten. Nachdem die Fertigungstiefe in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich an Zulieferer ausgelagert wurde, überlegt beispielsweise Mercedes den Antriebsstrang für Elektromotoren in Eigenregie zu fertigen. Die Folgen für die Zulieferer sind gravierend: Kapazitätsauslastung und Profitabilität sinken dramatisch und führen in der Folge zu einer angespannten Liquiditätsverfassung und im Extremfall zur Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens.Infolge des hohen Investitionsbedarfs im Bereich der Entwicklung und Implementierung neuer Technologien wegen der steigenden Aufwendungen im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) sowie dem Aufbau der künftigen Produktionslinien dürften sich auch betriebswirtschaftliche Kennzahlen im Bereich Rentabilität und Liquidität zunächst verschlechtern. Im Ergebnis steigen Investitions- und Finanzierungsbedarf erheblich an. Es stellt sich damit die Frage, wie eine (Fremd-)Finanzierung gelingen kann – auch vor dem Hintergrund, dass das Branchenrating unter Druck steht und Kreditanfragen unter ungünstigen Bedingungen erfolgen.Eine Finanzierung der anstehenden Investitionen aus dem laufenden Cash-flow stellt die kostengünstigste Finanzierungsform dar, dürfte jedoch nur eingeschränkt möglich sein. Somit ist zu prüfen, inwieweit andere Finanzierungsformen zum Einsatz kommen. Diese hängen im Wesentlichen vom Grad der Sanierungs- beziehungsweise Restrukturierungsbedürftigkeit der Zulieferer ab. In jedem Fall wird die finanzierende Hausbank ein wichtiger Akteur sein. Diese wird aber gerade bei fortgeschrittener Krise aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen (MaRisk) nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr an einer Aufrechterhaltung ihres Kreditengagements interessiert sein.So können je nach Eskalationsstufe Maßnahmen zur Verbesserung der Zahlungsfähigkeit des Zulieferers notwendig werden. Hier wären insbesondere Verhandlungen von Umschuldungsstrategien, Überbrückungs- und Sanierungskrediten, der Erweiterung von Zahlungszielen bei Lieferanten, der Verkürzung von Zahlungszielen bei Kunden und Factoring zu nennen. Bei fortschreitender Liquiditätskrise zur Vermeidung einer Insolvenzreife wären darüber hinaus Rangrücktrittvereinbarungen, Stundungsvereinbarungen mit Lieferanten bis hin zu Forderungsverzichten und Debt Equity Swaps (Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital) zu prüfen. Da sich für alle Beteiligten aus den genannten Finanzierungsinstrumenten nicht nur unternehmerische Chancen, sondern auch Risiken ergeben können, die mit zunehmender Krisenverschärfung steigen, empfiehlt sich die Einschaltung eines sanierungserfahrenen Beraters. Spezielle SanierungsaspekteNeben der Sicherstellung einer entsprechenden Finanzierung, sind die Unternehmen gefordert, auch ihre Ergebnissituation im Blick zu behalten und nach Möglichkeit zu optimieren. Aus unserer Sicht ist es erforderlich, dezidierte Sanierungsansätze zu entwickeln und frühzeitig umzusetzen. Zusätzlich zu den Sanierungsaspekten, die grundsätzlich auf alle Unternehmen zutreffen, wie zum Beispiel interne Prozesse, Planung und Controlling, gibt es für die Automobilbranche spezifische Aspekte, die bei einer Sanierung besonders zu beachten sind.Im Gegensatz zu weniger rohstoffintensiven Branchen sind Unternehmen in der Automotive-Branche je nach Produkt stark abhängig von Rohstoffen wie Stahl, Eisen, Leichtmetallen und seltenen Erden, die zum Teil starken Preisveränderungen unterworfen sind. Um diesen Rohstoffpreisänderungen zu begegnen, bieten sich als Sicherungsinstrument Preisgleitklauseln, wie zum Beispiel Materialteuerungszuschläge, an.Automotive-Unternehmen sind häufig Teil einer unternehmensübergreifenden Prozess- und Lieferkette. Bei Verzögerungen und Unterbrechungen drohen existenzgefährdende Nachforderungen und Ausgleichszahlungen der nachgelagerten Unternehmen. Die Erstausrüster verfügen diesbezüglich über eine ausgeprägte Verhandlungsmacht. Der Druck in der Automotive-Branche wird von den Automobilherstellern an die nachgelagerten Zulieferunternehmen weitergegeben. Je weiter ein Zulieferer vom eigentlichen Hersteller entfernt ist, desto höher wird der Druck. Zulieferunternehmen können dieser Problematik begegnen, indem sie ihre eigene Lieferantenstruktur diversifizieren, einen breiten Produktmix erstellen oder sich in Interessensverbänden organisieren.An den Aspekt der unternehmensübergreifenden Prozess- und Lieferkette schließt sich das im Vergleich zu anderen Branchen besonders wichtige Qualitätsmanagement an. Um Gefahren für die gesamte Lieferkette und Nachbelastungen durch Mängel zu vermeiden sowie zur Sicherung des eigenen Lieferantenstatus ist es für alle Automotive-Unternehmen wichtig, die relevanten Zertifizierungen zu besitzen und eine regelmäßige Auditierung der internen Prozesse durchzuführen.Trotz schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen und spezifischer Anforderungen in der Automobilbranche gibt es eine Reihe kurzfristig umzusetzender Maßnahmen: Die Erarbeitung eines Notfallplans ist essenziell, um für eine ungeplante, disruptive Krise, wie die Branche sie 2008 erlebt hat, gewappnet zu sein. Eine Reduktion des Umlaufvermögens sollte durch ein konsequentes Supply-Chain-Management und die Nutzung von alternativen Finanzierungsformen und Konsignationslagern angestrebt werden. Das Produktportfolio sollte von ertragsschwachen Artikeln bereinigt oder, alternativ, durch Preisanpassungen beziehungsweise Designanpassungen restrukturiert werden.Zur Sanierung kann darüber hinaus die konsequente Verlagerung der manuellen Fertigung in sogenannte “Low Cost Countries” beitragen. Außerdem kann sich eine Verlagerung der Fertigung in die Regionen der Abnehmer als zielführend erweisen, um die Bestände und Logistikkosten zu minimieren.Zur Beurteilung von Investitionen ist eine umfassende Analyse der wirtschaftlichen Notwendigkeit bedeutsam. Hierbei gilt es für Unternehmen beispielsweise, zwischen Investitionen am eigenen Standort, in “Low Cost Countries” oder in eine hohe Automatisierung in Hochlohnländern abzuwägen. Außerdem müssen grundsätzliche Entscheidungen zur Eigen- oder Fremdfertigung getroffen werden. Kriterien für solche “Make-or-Buy”-Entscheidungen sind zum einen die Abwägung der entstehenden Kosten und die Verfügbarkeit von Ressourcen. Zum anderen sind Aspekte der erforderlichen Produktqualität und möglicher spezieller Know-how-Anforderungen zu berücksichtigen.Durch die Einführung von Methoden des Lean Management, wie Wertstromanalysen und Kanban-Methoden, können Strukturkosten abgebaut sowie Entscheidungswege verkürzt und damit beschleunigt werden. Grundsätzliches Ziel ist es, Prozesse und Zusammenhänge im Unternehmen greifbar zu machen und dadurch Ressourcen effizienter zu nutzen. Durch die Zusammenlegung von Servicefunktionen im Sinne einer Zentralisierung und Spezialisierung können Spezialkenntnisse entwickelt und Mehrfachkosten vermieden werden.Um den gesellschaftlichen Veränderungen zu begegnen, sollten Automotive-Unternehmen sich verstärkt in Zukunftsmärkten engagieren, auf eine ausreichende Diversifikation achten und gegebenenfalls strategische Kooperationen eingehen. Ständiges Hinterfragen der Geschäftsfelder, die Vermeidung von Abhängigkeiten und die proaktive Antizipation von Veränderungen sind der Schlüssel, um den politischen und wirtschaftlichen Vorgaben zu begegnen. Kurzfristig wirksame Sanierungsansätze erhalten dafür den Handlungsspielraum. Alf Hillen, Partner bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft dhpg und Kai Peppmeier, Geschäftsführer der TMC Turnaround Management Consult GmbH