Europa braucht eine öffentlich-rechtliche Kreditbörse
Die mehrere 100 Mrd. Euro betragenden Non-Performing Loans (NPL) in den Bilanzen der europäischen Banken erscheinen Europas Institutionen zu Recht als Gefahr für die Stabilität des Finanzsektors. Der Handlungsbedarf ist erkannt, der Druck auf die Finanzinstitute wird erhöht. So verständigten sich die Finanzminister in den Sitzungen von Eurogruppe und Ecofin schon vor zwei Jahren auf weitere Schritte zur Entwicklung eines Rahmens, um den NPL-Abbau zu beschleunigen. Die Bankenregulierungsbehörde EBA, die EZB und die EU-Kommission sollen Initiativen zur Stärkung der Dateninfrastruktur mit einheitlichen und standardisierten Daten für NPL und die Einrichtung von NPL-Transaktionsplattformen vorschlagen. Angedacht war, dies bis Ende 2017 zu erreichen. Diese Vorgabe wurde aber weit verfehlt. Übergreifendes InteresseMan kann der Initiative nur zustimmen. Ertönte der Ruf nach einer die Ursachen der Krise an der Wurzel packenden globalen Finanzmarktordnung 2008 noch laut, muss heute die Frage gestellt werden, ob außer akuten Maßnahmen zur Vermeidung eines Systemzusammenbruchs wirklich entscheidende Fortschritte beim Abbau volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte erreicht wurden. Die unzähligen aufsichtsrechtlichen Verkomplizierungen müssen als das Kurieren an Symptomen betrachtet werden. Die weltweiten Ungleichgewichte in Zahlungsbilanzen, Staatshaushalten und Geldversorgung sind nicht geringer geworden, sondern haben durch die Krisenbewältigung noch zugenommen. Die dadurch weiter schwelende Gefahr einer neuen Krise rechtfertigt die Bedenken der EU-Institutionen.Die Notwendigkeit, Marktversagen bei der Übertragung von Kreditrisiken im Allgemeinen und NPL im Besonderen zu überwinden und somit einen effizienten Kreditrisikotransfer zu ermöglichen, hat die EU-Kommission Ende November 2018 beschrieben.Nach den Überreaktionen zur Schädlichkeit des Adressrisikohandels im Zuge der Finanzkrise wird nun mit mehr Sachlichkeit begrüßt, dass Instrumente und Märkte zum Transfer von Adressausfallrisiken nicht nur im Interesse der einzelnen Bank sind. Sie liegen vielmehr auch im Interesse derjenigen Institutionen, die etwa als Gesetzgeber oder Aufseher für die Entwicklung und Stabilität der Finanzmärkte zu sorgen haben, und nicht zuletzt im volkswirtschaftlichen Interesse.Der Transfer von Risiken auf Basis kaum standardisierter Over-the-Counter-Instrumente beinhaltet ein hohes Maß an Intransparenz und kann die Anforderungen aus Brüssel nicht erfüllen. Offensichtlich hat sich nun die EU-Kommission auf den Weg gemacht, Marktschwächen zu beseitigen und Rahmenbedingungen für einen effizienten und sicheren Kreditrisikotransfer zu schaffen.Die Lösung zur Überwindung der Defizite liegt in der Einrichtung eines regulierten Marktplatzes, einer Kreditbörse. Damit würde die EU einer wichtigen ordnungspolitischen Aufgabe nachkommen, nämlich stabile Rahmenbedingungen für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf Wettbewerbsmärkten zu gestalten. Ein solcher Ansatz reduziert auch die sonst drohende aufsichtsrechtliche Regelungsfülle und Regelungskomplexität für Produkte und Geschäftsarten sowie zur Schaffung von Transparenz. Die ernsthafte Umsetzung von Ordnungspolitik in diesem Sinne muss wieder stärkeres Gewicht bekommen. Komplexität wird reduziertEin Marktsegment – heute gerne “Plattform” genannt -, über das der tatsächliche Verkauf von Bankkrediten organisiert wird, bringt folgende Vorteile:1. Grundsätzlich ist der gänzliche oder teilweise Verkauf eines in den Büchern von Banken befindlichen, vom Risikogehalt her aber nicht erwünschten Kredits die einfachste und transparenteste Transaktion, um einen Risikotransfer herzustellen. Aus vielerlei Gründen – wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen in den nationalen Märkten – war dies aber bisher die am schwierigsten rechtssicher und kaum zu ökonomisch attraktiven Transaktions- und Informationskosten durchzuführende Transferaktion. Um die Entwicklung dieses Marktes zu fördern, hat der Gesetzgeber viele neue Regelungen eingeführt, die als Basis für die Harmonisierung und Weiterentwicklung einer Kreditbörse für Europa dienen können.2. Die Komplexität des Adressausfallrisikotransfers wird durch diese Art von Geschäften über die Börse drastisch reduziert, da tatsächlich nur der Austausch in Produkten erfolgt, die auch die bekannten originären Produkte sind.3. Die aufsichtsrechtliche Eigenkapitalentlastung bei der verkaufenden Bank stellt sich tatsächlich in Höhe des Anrechnungsbetrages des verkauften Kredits (True Sale) ein, so dass Eigenkapital wieder für neue Geschäfte zur Verfügung steht.4. Entsprechend dem erzielten Verkaufspreis fließt dem Verkäufer Liquidität zu, die er abhängig von seinem gewünschten Risiko-Return-Verhältnis wieder investieren kann.5. Gefahren, die mit dem Transfer von synthetischen Risiken verbunden sind, können vermieden oder deutlich reduziert werden: Kontrahentenrisiko des Sicherungsgebers, Rechtsrisiko mit Blick auf das einzelvertraglich definierte Kreditereignis und schließlich das operationelle Risiko der technischen Abwicklung.Beim Kredithandel über eine öffentlich-rechtliche Börse geht es um mehr als einen elektronischen Datenraum, denn:1. Der Risikotransfer erfolgt nach klaren, in Gesetz und Börsenordnung hinterlegten Regeln, zu deren Einhaltung sich jeder Börsenteilnehmer verpflichtet und die im Interesse des Funktionierens dieses Marktplatzes möglichst einfach und transparent gehalten sind.2. Die Zuverlässigkeit der Börsenteilnehmer – keineswegs zwangsweise nur Banken – wird bei ihrer Zulassung zur Börse sichergestellt, so dass ein Geschäftspartnerrisiko weitestgehend minimiert wird.3. Die Börse sorgt für eine Standardisierung der an ihr gehandelten Produkte, so dass insoweit eine weitgehende Homogenität sichergestellt wird und die Informationskosten für Anbieter und Nachfrager sinken.4. Ein transparenter Preisstellungsmechanismus, gekoppelt an Verlustwahrscheinlichkeiten, verbessert die risikoadäquate Bepreisung und fördert dadurch die effiziente Allokation von Kapital.5. Die Abwicklung der Geschäfte über eine elektronische Börsenplattform mit entsprechenden Volumina wird die Transaktionskosten des Risikotransfers senken und ist in definierten Abläufen sichergestellt. Kreditbearbeitung und Berichterstattung erfolgen gleichfalls in festgelegten transparenten Prozessen, was asymmetrische Informationen weitestgehend vermeidet. Ferner kann die Börse jederzeit für alle über ihre Plattform laufenden Transaktionen Transparenz herstellen. Diverse VorteileEine öffentlich-rechtliche Börse bietet unschlagbare Vorteile:1. Sie kann auf bereits erlassenen Gesetzen und anderen Regeln aufbauen. Es braucht keinen Konsens über Teilnahmebedingungen im Privatrecht. Und das gesamte Regelwerk der Plattform präsentiert sich als souveränes öffentlich-rechtliches, eindeutig identifizierbares Recht mit materieller Wirkung gegenüber allen Marktteilnehmern. Das gilt auch für die Verwertung von Sicherheiten.2. Ein solcher Rahmen ermöglicht es den Institutionen der EU, den europäischen Industriestandard nach den von ihnen definierten Notwendigkeiten festzulegen.3. Im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Börse hätte man damit die Autorität über den wesentlichen Rechtsbereich. Man wäre in der Lage, eigene Maßstäbe zu setzen, die für alle Handelspartner gleich und verbindlich sind. Die Gestaltungsmöglichkeit – niedergelegt im Regelwerk der Börse – würde die jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Einzelkreditverträge überlagern und somit eine Harmonisierung ermöglichen.4. Eine öffentlich-rechtliche Börse bietet alles aus einer Hand: Handel, Clearing, Berichterstattung, Verwaltung, Wartung.5. Eine öffentlich-rechtliche Börse ist in der Lage, effizient und transparent das beschriebene Marktversagen zu überwinden.Derweil führt der verlockend erscheinende Weg, als Nukleus für eine NPL-Plattform eine bestehende private Auktionsplattform zu nehmen und diese gemäß den Anforderungen der EU-Kommission und der Aufsicht auszubauen, in die Irre. Bei der Entscheidung für eine bestehende private Transaktionsplattform müsste ein zivilrechtlicher Rahmen gewählt werden. Dieser wäre notwendigerweise Teil des Rechtsrahmens des jeweiligen Landes, unter dessen Recht die Plattform arbeitet. Die absehbare Folge wäre eine Vielzahl von bilateralen Verträgen mit unterschiedlichen länderspezifischen Ausprägungen. Alle beschriebenen Vorteile einer öffentlich-rechtlichen Börse gingen so verloren.Dabei beruht eine Börse auf einer höchst effektiven Rechtskonstruktion, die zum einen den Teil der öffentlich-rechtlichen Aufgabenerfüllung beinhaltet und zum anderen sich zur Erfüllung dieser Aufgabe eines privatwirtschaftlichen Rechtsträgers (zum Beispiel eine AG) bedient.Dies stellt die Durchsetzung des öffentlichen Interesses – hier an einem geregelten Wettbewerbsmarkt – sicher, und die effiziente Durchführung wird einer privatwirtschaftlichen Unternehmung übertragen. Weitsichtig, zumindest aus dem Blickwinkel einer europäischen Harmonisierung “ordnungspolitischer Bestimmungen”, wäre sicherlich, wenn bereits zu Beginn jedes Teilnehmerland eine von der Nutzung abhängige Beteiligungsquote als Aktionär erwerben würde. Die Politik ist gefordertEin Ingangsetzen organisierter Marktplätze im Sinne eines “öffentlichen Gutes” kann erfahrungsgemäß sowohl national wie auch international nur durch die Politik erfolgen. Solche marktgerechten Lösungen hätten weiterhin den Vorteil, dass sie länderübergreifend wie heutige Börsen einsetzbar wären, denn sie sind einfach, transparent, schnell anpassungsfähig und auf der Grundlage einheitlicher Standards von hohem Nutzen für Marktteilnehmer und Aufseher. Es wäre eine Spezialbörse mit allen Optionen einer Risikosteuerung, an der nur die Ware “Forderungen” gehandelt werden könnte, und zwar von der Entstehung bis zur Tilgung. Johann Rudolf Flesch, Partner RiskBalance, Beratungsgesellschaft für Banken