Europäische Ersparnisse müssen europäisches Wachstum finanzieren!
Europäische Ersparnisse müssen europäisches Wachstum finanzieren!
Von Stéphane Boujnah
In den letzten Wochen sind mehrere Initiativen gestartet, die der Stärkung der Integration der europäischen Kapitalmärkte dienen werden. Die niederländischen Banken- und Marktaufseher, der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta und der frühere Gouverneur der Bank von Frankreich, Christian Noyer, haben konkrete Vorschläge vorgelegt, um Wachstum in Europa stärker voranzutreiben. Auf seiner letzten Tagung im April hat der Europäische Rat dieses Ziel übernommen
Die Kapitalmarktunion, inzwischen umbenannt in die „Spar- und Anlageunion“, ist keine politische Waise mehr. Vielmehr wird sie eine der Säulen des nächsten europäischen politischen Zyklus sein, der mit den Europawahlen am 9. Juni und der Ernennung einer neuen Europäischen Kommission, beginnt.
Endlich zeichnet sich ein Konsens darüber ab, dass ein europäisches Paradoxon gelöst werden muss: Die Ersparnisse europäischer Haushalte belaufen sich auf 35,5 Bill. Euro, was auf eine der weltweit höchsten Sparquoten von 13,3% zurückzuführen ist. Allerdings „exportiert“ Europa einen Großteil dieser Ersparnisse, indem es ausländische Schuldtitel kauft und sich auf der anderen Seite auf ausländische Ressourcen verlässt, um das Eigenkapital seiner Wirtschaft zu finanzieren. Wir müssen daher die Art und Weise, wie Sparen und Investieren in Europa miteinander verknüpft sind und miteinander arbeiten, völlig neu überdenken.
Ich sehe sieben Säulen, die helfen können, eine europäische Spar- und Anlageunion zu entwickeln und umzusetzen:
- Erleichterung des Zugangs zu den Kapitalmärkten für mittelständische und Technologie-Unternehmen;
- Integration von Clearing- und Abwicklungsinfrastrukturen;
- Wiederbelebung von Verbriefungen (eine Methode zur Kapitalbeschaffung, bei der homogene ertragbringende Vermögenswerte zusammengefasst werden), indem eine europäische Plattform geschaffen wird;
- Einführung einer Reihe identischer Regeln für alle Kapitalmärkte in Europa;
- Schaffung eines wirksamen einheitlichen Aufsichtsrahmens für Kapitalmarktteilnehmer, die in mehreren EU-Mitgliedstaaten tätig sind;
- Umgestaltung des Marktliquiditätsrahmens, um einen viel größeren Teil der europäischen Ersparnisse in Aktien börsennotierter europäischer Unternehmen zu investieren;
- Schaffung eines globalen Wettbewerbsfähigkeitstests, um die Konsolidierung der europäischen Märkte zu ermöglichen, um damit verstärkt europäische Marktführer im globalen Kapitalmarktsektor zu schaffen.
Um diese Transformationen zu erreichen, brauchen wir leistungsstarke und skalierbare Marktinfrastrukturen. In weniger als 25 Jahren hat sich Euronext zu einem zentralen Element der Kapitalmarktunion in Europa entwickelt. Heute ist Euronext bereit, aktiv zur neuen Phase der Kapitalmarktvereinigung beizutragen, indem es seine Expertise in zwei Bereichen einbringt.
Erstens durch die Schaffung eines einzigen europäischen Marktzugangspunkts für mittelständische und Technologie-Unternehmen und in Zusammenarbeit mit jenen anderen Börsen, die sich an diesem Projekt beteiligen möchten. Damit schaffen wir einen integrierten und effizienten Unternehmensfinanzierungsmechanismus auf dem gesamten Kontinent.
Zweitens durch die Reduzierung der Fragmentierung der nachbörslichen Handelsaktivitäten, indem wir die Initiativen, die wir bereits bei Euronext umgesetzt haben, weiter vertiefen. Dies würde den einzigartigen europäischen Liquiditätspool durch eine vereinfachte, rationalisierte und vollständig integrierte nachbörsliche Handelsstruktur signifikant stärken.
Wenn wir alle zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen, bin ich sicher, dass wir in der Innovationsfinanzierung mit den Vereinigten Staaten gleichziehen können. Es gilt allerdings zu beachten, dass zwei wesentliche Änderungen jedoch nicht von europäischen Entscheidungen abhängen, sondern von den Mitgliedstaaten sofort getroffen werden müssen.
Erstens müssen wir alle Mechanismen beseitigen, die langfristige Ersparnisse künstlich von Aktienanlagen in Schuldtitel umlenken. Dies bedeutet, dass fiskalische Verzerrungen für private Haushalte beseitigt und die für institutionelle Anleger geltenden Aufsichtsquoten überprüft werden müssen. Eine Erhöhung des Anteils europäischer Ersparnisse, die in Aktien investiert werden, wird nicht nur langfristig höhere Renditen bringen, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit, die wirtschaftliche Entwicklung und die Beschäftigung in Europa fördern.
Zweitens müssen wir schnell die Entstehung kapitalgedeckter Rentensysteme ermöglichen. Wir können die Kluft zwischen den Vereinigten Staaten und Europa hinsichtlich des Anteils der Einzelanleger an den Aktienmärkten – 30% gegenüber 3% – nicht bejammern, ohne zu berücksichtigen, dass die meisten Haushalte in den Vereinigten Staaten in Aktien investieren müssen, um ihren Ruhestand abzusichern, während die meisten europäischen Haushalte darauf vertrauen müssen, dass ihre Mitbürger weiterhin Steuern und Sozialbeiträge zahlen, um ihren Ruhestand zu finanzieren.
Eine starke politische Führung ist unerlässlich, um eine Spar- und Anlageunion in Europa zu schaffen. Um Ersparnisse statt an Schuldtitel an börsennotierte Unternehmen weiterzuleiten, wird die Gestaltung und Stärke dieser Union stark von den nationalen Entscheidungen der Mitgliedstaaten abhängen, um die bestmöglichen Bedingungen für Haushalte und institutionelle Anleger zu schaffen.