Europäische Wertpapierregulierung überprüfen

EU-Gesetzgeber müssen Lehren aus Mifid II und Priips ziehen - Subsidiarität und Proportionalität sollten wieder größere Rolle spielen

Europäische Wertpapierregulierung überprüfen

Die Europäische Union hat bei der Regulierung der Finanzmärkte in den letzten Jahren eine immer wichtigere Rolle eingenommen und viele Verordnungen und Richtlinien auf den Weg gebracht. Dies führt in der Praxis aber dazu, dass die vielfältigen regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Vorgaben aus der EU auch eine höhere Dichte aufweisen. Die mit den Detailregelungen häufig einhergehende Bürokratisierung hat bereits zur Folge, dass die Kunden, für deren verbesserten Schutz viele Neuerungen gemacht wurden, überfordert sind und zunehmend von einer Anlage in Wertpapieren Abstand nehmen.Zu Beginn des Jahres 2018 sind zwei große Regelwerke in der EU in Kraft getreten: die überarbeite europäische Finanzmarktrichtlinie Mifid II und die Verordnung für Basisinformationsblätter Priips. Für Kreditinstitute bedeutet die Anwendung der Mifid II die Bewältigung von über 20 000 Seiten Text, nachgelagerte Bekanntgaben der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA nicht mitgezählt. Die Priips-Vorgaben haben zwar nur einen Umfang von 164 Seiten, jedoch umfassten die deutschen Regelungen für die durch die Basisinformationsblätter abgelösten Produktinformationsblätter gerade einmal 15 Seiten – die Auslegungshinweise der Finanzmarktaufsicht BaFin bereits eingeschlossen.Das Ausmaß und die Detailtiefe der neuen regulatorischen Vorgaben sind beispiellos und eine große Herausforderung für den Finanzsektor. Zusätzlich haben auch die darauf aufsetzenden Verlautbarungen der europäischen Aufsicht heute ein höheres Maß an Verbindlichkeit als in der Vergangenheit. Auch daran müssen sich die nationalen Strukturen anpassen. Während vor einigen Jahren viele regulatorische Entscheidungen im Finanzbereich noch auf nationaler Ebene getroffen wurden, verlagert sich dieser Prozess immer mehr auf die europäische Ebene. Die vielen Details und die teils gesteigerte Verbindlichkeit neuer europäischer Vorgaben lässt für marktgerechte Anpassungen im Rahmen der Auslegung aber immer weniger Spielraum. Dabei steht mitunter viel auf dem Spiel. Die mit der Detailregulierung einhergehende zunehmende Bürokratisierung insbesondere des Wertpapiergeschäfts zeigt bereits jetzt negative Auswirkungen auf die Wertpapierkultur.Immer mehr Kunden sind aufgrund der Fülle an vorgesetzten Informationen überfordert und schrecken vor einer Anlage in Wertpapieren zurück. Die Abläufe beim Wertpapierkauf sind umständlicher und zeitraubender geworden und werden unter anderem bei den telefonischen Aufträgen von Kunden deutlich, bei denen sich die Kunden auch um den Datenschutz und ihre Privatsphäre sorgen. Die Informationspflichten zu den anfallenden Kosten, die dem Kunden vor Orderausführung übermittelt werden müssen, führen bei den Kunden bei telefonischen Aufträgen zu großem Unmut. Auch für die Kreditinstitute bewirken diese Neuerungen teilweise große praktische Schwierigkeiten und sind mit erheblichen Kostensteigerungen verbunden. Einzelne Institute berichten sogar, dass sie deshalb das telefonische Wertpapiergeschäft komplett eingestellt haben. Hier muss dringend nachgebessert werden.Im Sinne eines kosteneffizienten Ansatzes sollte auch eine weitreichende Kompetenzverlagerung in Richtung europäische Aufsichtsbehörden sorgsam erwogen werden. Ziel muss eine angemessene und effiziente Aufsichtsstruktur sein. Grundsätzlich gibt es Märkte und Themen, die europäisch geprägt sind oder sich neu entwickeln. Hier ist es sinnvoll, eine europäische Aufsicht vorzusehen. Dies gilt zum Beispiel für Datenprovider, die mit der Mifid II einem neuen Aufsichtsregime unterworfen wurden. Andererseits müssen aber die weitgehend gut funktionierenden Märkte und unterschiedlichen Strukturen der einzelnen Mitgliedsländer ausreichend berücksichtigt werden. Sie haben sich aus den länderspezifischen Anforderungen heraus entwickelt. So bestehen beispielsweise immense Unterschiede im Retailgeschäft mit Wertpapieren in den einzelnen EU-Ländern. In Zukunft sollte noch sorgfältiger abgewogen werden, in welchen Bereichen Bedarf für eine europäische Vereinheitlichung besteht und welche Strukturen sich durch ihre nationalen Charakteristika bewährt haben.Gerade die BaFin spielt auf nationaler Ebene eine wichtige Rolle. Aber nicht nur sie, sondern auch andere nationale Strukturen in Deutschland und anderen EU-Staaten verfügen über länderspezifisches Wissen und Kompetenz. Dies sollte nicht leichtfertig für theoretische Verbesserungen der europäischen Aufsichtsarchitektur aufgegeben werden. Dies gilt umso mehr, wenn auf nationaler Ebene die Aufsichtsprozesse zur Zufriedenheit der Marktteilnehmer geregelt sind und es für eine Verlagerung auf die europäische Ebene keine Veranlassung gibt. Kompetenzen sollten nur verlagert und bestehende Strukturen verändert werden, wenn dies zu einer Qualitätsverbesserung führt. Es ist keine Lösung, etwaige Aufsichtsdefizite in anderen Ländern durch eine Verlagerung auf die EU-Ebene zu beheben. Insofern ist es richtig und wichtig, dass in Brüssel nunmehr eine politische Einigung bei den Verhandlungen zum sogenannten ESA-Review erfolgt ist, die das bestehende und sehr gut funktionierende System zur Prüfung und Billigung von Wertpapierprospekten bei den nationalen Aufsichtsbehörden erhält. Aufwand muss vertretbar seinEuropaweit vergleichbare Standards sind mit Blick auf die Vollendung der Kapitalmarktunion für Anleger und Unternehmen natürlich wichtig. Hierfür ist die einheitliche Umsetzung der europäischen Regelwerke und die Harmonisierung des nationalen Rechts notwendig. Die EU-Behörden müssen darauf achten, dass EU-Recht fristgerecht und ordnungsgemäß in allen EU-Ländern umgesetzt wird. Bei Mifid II und Mifir ist dies leider nicht gelungen. In Deutschland wurden die Vorgaben mit immensem Aufwand zum Januar 2018 pünktlich umgesetzt. Dies gilt auch für andere Länder, aber EU-weit war dies nicht der Fall. Das Beispiel verdeutlicht den Handlungsbedarf: Europäische Regulierung ist so zu gestalten, dass sie mit vertretbarem Aufwand in allen Ländern fristgerecht umgesetzt werden kann.Grundsätzlich sollte bei regulatorischen Maßnahmen – insbesondere dann, wenn sie besonders detailliert ausfallen und auf eine weitreichende Harmonisierung des Marktes abzielen – konkret benannt werden, welches (Detail-)Problem eigentlich gelöst werden soll. Zusätzlich sollte vorab geklärt werden, ob das Problem in allen Mitgliedstaaten in gleichem Maße auftritt. Für eine praxistaugliche und effektive Regulierung sollten daher im Vorfeld eingehende Markt- und Wirkungsstudien durchgeführt werden. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass viele regulatorische Unklarheiten und “Kollateralschäden” hätten vermieden werden können, wenn man die möglichen beabsichtigten und unbeabsichtigten Effekte der Regulierung vorab intensiver geprüft hätte. Hier seien nur die nicht nachvollziehbaren Darstellungen von Kosten und Performance-Szenarien in den Basisinformationsblättern erwähnt, die bei den Privatanlegern zu großer Verunsicherung geführt haben. Hier müssen nun die Detailvorgaben im Nachhinein aufwändig überprüft und angepasst werden.Auch die bereits bestehenden Wertpapierregulierungen müssen auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden: Führt der Aufwand der Kreditinstitute zu einem entsprechenden Nutzen des Anlegers? In vielen Fällen ist dies derzeit mit einem klaren Nein zu beantworten. Nächste HerausforderungDas Prinzip der Subsidiarität und der Proportionalität sollte bei der Finanzmarktregulierung insgesamt wieder eine größere Rolle spielen. Das gilt besonders für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen unter Mitwirkung des im Mai 2019 neu gewählten EU-Parlaments. Unter dem Stichwort “Sustainable Finance” haben bereits umfangreiche und voraussichtlich langwierige Debatten begonnen. Doch trotz aller Erfahrungen – auch aus dem Mifid-II- und Priips-Prozess – wirken die Anfänge der politischen und fachlichen Diskussionen rund um das Thema nachhaltige Geldanlagen erneut überhastet und wenig sinnvoll strukturiert. Hier sollte nicht in politischen Aktionismus verfallen werden, sondern ein systematischer Prozess aufgesetzt werden, der allen betroffenen Akteuren ausreichend Rechnung trägt. Nur so kann schließlich eine breite Akzeptanz dieser wichtigen Agenda herbeigeführt werden.—-Henning Bergmann, Geschäftsführender Vorstand, Deutscher Derivate Verband