Ex-Chefaufseher berichtet über chaotische Wirecard-Verhältnisse
"Wir wollten Herrn Braun besser kontrollieren"
Vor Gericht berichtet der frühere Wirecard-Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann über sein Ziel, Jan Marsalek zu feuern und den Vorstand zu erweitern
sck München
Thomas Eichelmann zählt zu den wichtigen Zeugen im seit Dezember 2022 laufenden Wirecard-Betrugsprozess. Der 58-Jährige gehörte bis zum Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers Ende Juni 2020 ein Jahr lang dem Aufsichtsrat an, davon sechs Monate als Chefaufseher. In seiner Befragung vor der zuständigen Strafkammer des Landgerichts München berichtete er über seine – schlussendlich gescheiterten – Versuche, den früheren Dax-Konzern mit Aufklärungsarbeit und einer Neuordnung des Vorstands ins Lot zu bringen.
Thomas Eichelmann, Ex-Aufsichtsratschef von WirecardWer ist schon davon ausgegangen, sich in einem Spionagethriller wiederzufinden, wenn er im Aufsichtsrat eines Dax-Unternehmens sitzt.
Dem Vorsitzenden Richter Markus Födisch schilderte Eichelmann die chaotischen Zustände in der Zentrale des Unternehmens. "Wer ist schon davon ausgegangen, sich in einem Spionagethriller wiederzufinden, wenn er im Aufsichtsrat eines Dax-Unternehmens sitzt", sagte er. Unter Hinweis auf die von ihm selbst im Herbst 2019 in Auftrag gegebene Sonderprüfung durch KPMG ist seinen Worten zufolge seine Zeit bei Wirecard zu "99% KPMG-Zeit" gewesen.
Aufsichtsrat wollte Wirecard-Vorstand beschneiden
Wirecard kollabierte, nachdem sich herausgestellt hatte, dass 1,9 Mrd. Euro auf Treuhandkonten und das Drittpartnergeschäft (TPA) nicht existierten. Seitdem befindet sich der für diese Aktivitäten zuständige frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek auf der Flucht. Eichelmann zufolge wollte der Aufsichtsrat Marsalek Monate vor der Insolvenz feuern. "Zu Marsalek gab`s im Gremium eine klare Meinung: Sein Vertrag wird nicht verlängert." Den Ex-Manager habe er, Eichelmann, dann "persönlich freigestellt, nachdem bekannt wurde, dass es diese Treuhandkonten nicht gab".
Thomas EichelmannWir wollten Herrn Braun besser kontrollieren.
Seinerzeit herrschte im Aufsichtsrat laut Eichelmann noch die Meinung vor, Markus Braun in dessen Position als CEO stattdessen zu halten. Geplant war allerdings, Brauns Verantwortungsbereiche zu beschneiden. So sollte ihm der Bereich Investor Relations entzogen werden. "Wir wollten Herrn Braun besser kontrollieren." Zugleich sollte dem Zeugen zufolge der Vorstand von damals vier auf sechs Mitglieder erweitert werden.
Über Braun "geärgert"
Braun ist der Hauptangeklagte im Strafprozess. Dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden wirft die Staatsanwaltschaft gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Bilanzfälschungen und Marktmanipulation vor. Der 54-Jährige bestreitet die Vorwürfe und hält sich für unschuldig.
Im April 2020 stellte KPMG fest, dass es für die verbuchten Umsätze im Drittpartnergeschäft keine Belege gab. In einer Ad-hoc-Mitteilung vom 22. April 2022 war von diesen Mängeln allerdings keine Rede gewesen. Stattdessen formulierte Braun die Pflichtmitteilung so, dass Wirecard dabei gut wegkam. In der Meldung hieß es, dass die Prüfer keine belastbaren Belege für Bilanzmanipulationen gefunden hätten.
Thomas EichelmannWir waren nicht sehr glücklich darüber, wie im Rahmen der KPMG-Prüfung berichtet wurde.
Der Aufsichtsrat reagierte darauf zwar mit Unverständnis, zog allerdings keine unmittelbaren personellen Konsequenzen aus dem Fehlverhalten. "Wir waren nicht sehr glücklich darüber, wie im Rahmen der KPMG-Prüfung berichtet wurde", so Eichelmann. Man habe sich über Braun geärgert. "Es gab zu diesem Zeitpunkt keine Diskussion im Aufsichtsrat, Braun rauszuschmeißen."
Eichelmann misstraute dem Drittpartnergeschäft
Erst nach Veröffentlichung des KPMG-Berichts im Mai 2020 wurde Brauns Position unhaltbar. Wenige Tage bevor das Unternehmen Insolvenz anmeldete, entschied sich der CEO für einen "freiwilligen" Rücktritt.
Auf Braun folgte für wenige Tage der damals neue Compliance-Vorstand James Freis. Nach Durchsicht der Bücher stellte dieser fest, dass Wirecard nicht mehr zu retten war.
Zu Beginn des Prozesses erklärte sich der Kronzeuge Oliver Bellenhaus für schuldig. Der frühere Wirecard-Statthalter in Dubai gestand ein, das TPA-Geschäft gefälscht zu haben. Er belastete Braun schwer. Dieser sei Kopf der Bande gewesen.
In seiner Vernehmung räumte Eichelmann ein, dass auch er in seiner Rolle als Aufsichtsrat misstrauisch geworden sei. Erklärungen des damaligen Finanzvorstands Alexander von Knoop und von Braun über den TPA-Bereich hätten ihm nicht gereicht. "Ich habe Wert darauf gelegt, dass KPMG sich das anschaut."