EY verweigert Wirecard das Testat - Aktie stürzt um 60 Prozent ab
sck/ck/swa/sto/bn München – Die Vertrauenskrise bei Wirecard hat sich dramatisch zugespitzt. Faktisch in letzter Minute musste der in die Kritik geratene Zahlungsabwickler am Donnerstag die Vorlage seiner Bilanz 2019 abermals verschieben, ohne einen neuen Termin zu nennen. Der Grund dafür ist, dass der Abschlussprüfer Ernst & Young (EY) das Testat fürs Erste verweigert hat. Die Wirtschaftsprüfer sahen sich nach Unternehmensangaben dazu veranlasst, da aufgrund festgestellter Bilanzaufblähungen von rund 1,9 Mrd. Euro bei Treuhandkonten der Verdacht auf Betrug besteht.Mit seiner überraschenden Ad-hoc-Meldung löste das Dax-Mitglied einen Kurssturz aus. Die Anleger reagierten in Panik auf die Nachricht. Die Aktie von Wirecard brach zeitweise um 71 % auf 29,90 Euro ein. Das Papier beendete den Xetra-Handel bei 39,90 Euro (- 61,8 %). Rund 9 Mrd. Euro Marktkapitalisierung lösten sich damit binnen weniger Minuten in Luft auf. Das war der bislang zweithöchste Tagesabsturz einer Dax-Aktie nach dem Crash von Hypo Real Estate im September 2008 (- 74 %).Mit einem Wert von 4,9 Mrd. Euro ist der Verbleib des Fintechs mit Sitz in Aschheim bei München in der deutschen Börsenoberliga nun gefährdet. Der vor 21 Jahren von Vorstandschef Markus Braun gegründete Konzern war im September 2018 in den Dax aufgestiegen und hatte dort die Commerzbank abgelöst. Nach der von Bloomberg veröffentlichten HDax-Rangliste liegt der Wert, der am Vortag noch auf dem Rang 35 zu finden war, nur mehr auf dem 59. Platz. Nach der Fast-Exit-Regel der Deutschen Börse wird ein Titel aus dem Index entfernt, wenn er entweder nach Marktkapitalisierung oder nach Börsenumsatz nicht mehr zu den größten 45 Werten zählt.”Es bestehen Hinweise, dass dem Abschlussprüfer von einem Treuhänder bzw. aus dem Bereich der Banken, welche die Treuhandkonten führen, unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt wurden, damit dieser ein unrichtiges Vorstellungsbild über das Vorhandensein der Bankguthaben bzw. die Führung von Bankkonten zugunsten der Wirecard-Gesellschaften erhalte”, hat das Unternehmen mitgeteilt.Braun bezeichnete Wirecard als Opfer eines möglichen Betrugs und kündigte juristische Schritte an: “Ob betrügerische Vorgänge zum Nachteil von Wirecard vorliegen, ist derzeit unklar. Wirecard wird Anzeige gegen unbekannt erstatten.” Im Fokus stünden zwei Treuhandkonten führender asiatischer Banken. “Wir stehen im Austausch mit dem vor Ort anwesenden Treuhänder. Frühere erteilte Bestätigungen der Banken wurden vom Wirtschaftsprüfer nicht mehr anerkannt”, räumte der CEO ein. Ein Kreditproblem drohtDa Wirecard eine bis zum heutigen Freitag laufende Frist zur Vorlage der Bilanz nicht mehr einhalten kann, droht dem Konzern nach eigenen Angaben von Gläubigerbanken jetzt die Aufkündigung von Krediten von insgesamt 2 Mrd. Euro.”Unsere Abschlussprüfung ist noch nicht abgeschlossen”, erklärte der Wirecard-Prüfer EY, der nach Hinweisen auf mutmaßlich von Banken gefälschte Dokumente die Reißleine gezogen hat. Die für die Konzerntochter Wirecard Bank zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) äußerte sich am Donnerstag auf Anfrage ebenso wenig wie der Einlagensicherungsfonds deutscher Banken, in den die Wirecard Bank einzahlt.Unterdessen ziehen sich Fondsgesellschaften aus dem Wert zurück. Wie auf Anfrage zu erfahren ist, haben sowohl der genossenschaftliche Anbieter Union Investment als auch die Deutsche-Bank-Tochter DWS ihre Engagements drastisch reduziert. Schon vor der Zuspitzung des Wirecard-Dramas am Donnerstag habe der Anteil “bei unter 0,1 % der ausstehenden Wirecard-Aktien” gelegen, erklärt Andreas Mark, Fondsmanager bei Union Investment. “Per Marktschluss 17. Juni 2020 hatte die DWS ihre Position bereits um circa 60 % reduziert. Aktuell halten wir keine materiellen Positionen in aktiv gemanagten Fonds mehr”, erklärte die DWS. Zuvor hatte für Schlagzeilen gesorgt, dass Fondsmanager Tim Albrecht in seinem “DWS Aktien Deutschland” fast 10 % an Wirecard hält. Der zuletzt offiziellen Meldung nach § 39 WpHG zufolge hatte der Anteil von DWS Investment bei 3,34 % gelegen. Union Investment wie auch die DWS kündigten an, die Einleitung rechtlicher Schritte zu prüfen.Die Fondsgesellschaft der Sparkassen, die DekaBank, wollte auf Anfrage keine Angaben zur Höhe ihrer Positionen bei Wirecard machen. “Ein personeller Neuanfang ist dringender denn je”, sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance: “Wir hoffen, dass der erneute Vertrauensentzug am Kapitalmarkt nicht doch noch Auswirkungen auf das operative Geschäft hat.”Aus dem jüngsten Desaster zog der Aufsichtsrat erste personelle Konsequenzen. Nach Börsenschluss am Donnerstag kündigte Wirecard an, das langjährige Vorstandsmitglied Jan Marsalek widerruflich bis zum 30. Juni von seinen Aufgaben freizustellen.Bei Analysten löste die Mitteilung des Zahlungsabwicklers ein verheerendes Echo aus. Mehrere Häuser, darunter Commerzbank, J.P. Morgan, Landesbank Baden-Württemberg und M.M. Warburg, setzten die Kommentierung aus. – Kommentar auf dieser Seite Wertberichtigt Seite 8