EZB duscht Banken heiß-kalt ab
Von Bernd Neubacher, FrankfurtWechselbäder sollen bekanntlich durch eine Abfolge tiefer und hoher Temperaturen Spannungszustände des vegetativen Nervensystems aufheben und Herz- sowie Kreislaufsystem trainieren. Freilich schaden alle Extreme. Als paradoxe Kälteempfindung etwa wird das Phänomen bezeichnet, dass bei einer starken Erwärmung der Haut über 40 Grad Celsius eine vorübergehende Kälteempfindung eintritt. Schon eine Temperatur von mehr als 38 Grad Celsius gilt als außerordentliche Wärmebelastung.Wie Menschen im Hitzestress müssen sich dieser Tage Treasurer von Banken mit Blick auf die Europäische Zentralbank (EZB) fragen, ob sie ihrer Empfindung noch trauen können. Heizt ihnen die EZB da mit ihrer Geldpolitik gerade kräftig ein, um ihre Risikofreude zu steigern? Oder machen ihnen die Aufseher derselben Notenbank die Hölle heiß, auf dass sie bloß keine übermäßigen Risiken eingehen? Schizophrenie der AnreizeMit der Entscheidung der Notenbank, ihren Zinssatz für die Einlagenfazilität um 10 Basispunkte auf minus 0,40 % zu senken, hat die Schizophrenie der Anreize eine neue Dimension erreicht. Besonders bei den einlagenstarken Instituten des Genossenschafts- und Sparkassensektors greift Nervosität um sich. Jeder frage sich, wann die erste Bank die negativen Zinsen auch an private Einleger weitergebe, heißt es in einem der kreditwirtschaftlichen Verbände. Dabei schwingt auch die Furcht mit, die dann noch auf Negativzinsen verzichtenden Institute würden sodann umso stärker mit Einlagen geflutet, für deren Anlage bei der EZB sie zahlen müssen, selbst wenn sie den Sparern dafür keinerlei Verzinsung mehr bieten (siehe Grafik). Eine Frage der ZeitDass der Einstieg in die Welt der negativen Einlagenzinsen für Private nur mehr eine Frage der Zeit sein kann, sofern die Bereitschaft, einen Einlagenzins von null mit Hilfe von Erträgen andernorts zu subventionieren, endlich ist, liegt auf der Hand. “Die Negativzinsen sind unzweifelhaft politisch gewollt”, erklärte vor wenigen Tagen etwa Herbert Hans Grüntker, Vorstandsvorsitzender der Helaba, auf der jüngsten Bilanzpressekonferenz des Instituts. “Eine Bank ist weder in der Lage noch ist es ihre Aufgabe, ihre Kunden auf Dauer vor den Folgen dieser gewollten Zentralbankpolitik abzuschirmen.”Die Folgen dieser Politik kommen gerade in diesen Tagen verstärkt im Sparkassensektor an. So wurden jüngst Überlegungen der bayerischen Sparkassen publik, hohe Bargeldbestände lieber in Tresoren zu verwahren als der EZB zuzuleiten. “Wir können Negativzinsen in Zukunft auch für Privatkunden nicht mehr ausschließen”, erklärte Bernhard Uppenkamp, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Oberhausen. Von anderen größeren Sparkassen kursieren anekdotische Berichte, denenzufolge Kunden schon ab 100 000 Euro Einlagevolumen ein negativer Einlagezins avisiert werde. Auf Anfrage der Börsen-Zeitung wird dies verneint. Andere Sparkassen erwägen dem Vernehmen nach für den Fall des Falles eine Differenzierung zwischen Neu- und Altkunden. Nachdem noch vor wenigen Jahren, als im Kielwasser der Regulierung Einlagen begehrt waren, neuen Kunden mancherorts höhere Einlagenzinsen geboten wurden als bestehenden Kunden, könnten bald dem Kundenstamm Negativzinsen länger erspart bleiben als Neukunden.Noch freilich traut sich kein Institut, das Tabu negativer Einlagenzinsen für Sparer zu brechen. Dies hat zum einen mit der Aufsicht zu tun: Anders als im Falle institutioneller Einlagen, deren potenziellen Abfluss die Institute tagtäglich unterstellen müssen, dürfen sie im Falle auch täglich fälliger Depositen von Privatkunden einen Anteil Sockelvolumen modellieren, den sie längerfristig als Kredit auslegen dürfen. Somit bleiben Einlagen auch dann noch profitabel, wenn eine Bank sie der EZB gibt und dafür 40 Basispunkte Zins berappen muss – sofern sie für solche Depositen zugleich Verwendung als langfristiger Hypothekenkredit findet. So kommt es, dass etwa die Sparkassen in Hessen und Thüringen die Wachstumsrate in ihrem Kreditgeschäft 2015 verdoppeln konnten, während sich das Volumen der täglich fälligen Gelder um ein Zehntel auf inzwischen zwei Drittel aller Einlagen erhöhte.Der zweite Grund, warum die Institute vor negativen Einlagenzinsen für Sparer zurückscheuen: nackte Angst. Im gleichen Maße, in dem die EZB unter ihrem Präsidenten Mario Draghi die Geldpolitik in bislang unerforschte Gefilde steuert, weiß in deutschen Banken niemand, was passieren wird, sobald ihre privaten Kunden dafür bezahlen sollen, dass sie den Instituten ihr Erspartes überlassen.Dass ihre Einlagen kein Geld abwerfen, mögen die Leute noch verstehen, solange Inflation nicht stattfindet – Geld aber draufzulegen: da hört für die Deutschen der Spaß auf, lautet die Überlegung. Die in Chefetagen herumgereichten Szenarien reichen von einem deutlichen Einlagenschwund bis hin zum Bank Run mit langen Schlangen vor Baumärkten, die Tresore verkaufen. Dass die Banken nicht die Einzigen sein dürften, die sich solche Gedanken machen, davon zeugen Erzählungen, denen zufolge sich auch die Notenbank regelmäßig bei den Instituten über das Verhalten der Einleger erkundigt.Unterdessen steht auch die Banksteuerung vor ganz neuen Aufgaben. Ein Verantwortlicher vergleicht die Situation mit einem Elektrowarenhändler, der seine Produkte den Kunden schenkt, dafür aber seine Zulieferer zur Kasse bittet. Denn wenn Aktiva Geld kosten und Passiva Geld bringen, kehren sich sämtliche Anreize in der Banksteuerung in ihr Gegenteil um.Dann leitet die EZB als geldpolitische Instanz die Banken letztlich dazu an, Aktiva möglichst in Passiva zu verwandeln oder ihren Umfang zu verringern. Ob die Notenbank die Folgen durchdacht hat? Es gibt Banker, die dies bezweifeln.