EZB legt an Bankvorstände strengere Maßstäbe an
Von Tobias Fischer, Frankfurt
Künftige, aber auch bestehende Aufsichtsräte und Vorstände der bedeutenden Banken Europas müssen sich auf strengere Prüfungen ihrer fachlichen wie persönlichen Voraussetzungen durch die EZB-Bankenaufsicht einstellen. Ins Gewicht fallen in diesen sogenannten Fit-and-Proper-Verfahren nicht nur Qualifikation und charakterliche Eignung der einzelnen Führungskraft, sondern eine möglichst breit gefächerte Zusammensetzung der Leitungsgremien als Ganzes – nach Wissen, Erfahrung und neuerdings Geschlecht.
Frauen besetzten nur jeden vierten Vorstands- und weniger als ein Drittel der Aufsichtsratsposten der direkt von der EZB-Bankenaufsicht überwachten Institute, bemängelt deren Vorsitzender, Andrea Enria. Banken, so hatte er es einmal ausgedrückt, dürften jedoch „nicht dem vermeintlichen Genie dominanter CEOs ausgeliefert werden“. Enrias Ansatz lautet: Vielfalt in den Entscheidungs- und Kontrollgremien begünstigt gute Entscheidungen und damit Ergebnisse. Auch Klima- und Umweltrisiken sollen Berücksichtigung finden. Da sie in der Aufsichtstätigkeit an Bedeutung gewinnen, kündigt die EZB an, dass „entsprechende Fachkenntnisse und Erfahrungen der Leitungsorganmitglieder künftig als relevant erachtet werden“.
Damit schickt sich die Aufsicht an, die Anforderungen im aktuellen Leitfaden von 2018 für die derzeit 114 direkt beaufsichtigen Banken zu verschärfen. In einem bis zum 2. August laufenden Konsultationsverfahren stellt sie den überarbeiteten Leitfaden und den seit 2016 existierenden Fragebogen für Anwärter auf Führungspositionen zur Diskussion.
In der Vergangenheit ist den EZB-Bankenwächtern immer wieder sauer aufgestoßen, dass die Richtlinien zu Eignungsprüfungen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich umgesetzt werden. Mit dem Leitfaden solle ein europaweit einheitliches Verfahren festgelegt werden, wie Enria bereits im Interview der Börsen-Zeitung angekündigt hatte (vgl. BZ vom 31.12.2020).
Mafiosi unerwünscht
Dieser Gestaltungsspielraum in der Umsetzung von EU-Vorgaben treibt mitunter seltsame Blüten. So hat es Rom zum Jahreswechsel mit siebenjähriger Verspätung geschafft, strengere Fit-and-Proper-Regeln einzuführen, wie sie bereits 2013 in der Richtlinie CRD IV niedergeschrieben worden waren. Damit dürfen Personen, die wegen Geldwäsche, der Mitgliedschaft in der Mafia oder wegen Terrorismus verurteilt wurden, keine höheren Positionen in einer Bank bekleiden, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Zuvor seien nach italienischer Rechtslage lediglich Bank- und Finanzverbrechen als Ausschlusskriterium genannt worden.
Ganz im Sinne von Enrias Ansatz seit seinem Amtsantritt Anfang 2019, die Governance von Banken unter die Lupe zu nehmen und Verfehlungen stärker zu ahnden, stellt der neue Leitfadenentwurf darauf ab, die persönliche Verantwortung des Einzelnen hervorzukehren. Kein Vorstandsmitglied soll sich hinter seinesgleichen verstecken können. Nötig sei, so formulierte es die EZB, Entscheidungen zu hinterfragen und Gruppendenken zu vermeiden.
Stößt die Aufsicht etwa in einer Bank auf schwerwiegende Defizite, die Zweifel an der Eignung einer Führungskraft aufkommen lassen, selbst wenn sie nicht direkt dafür verantwortlich ist, so wird dies stärker in der Eignungsprüfung zu berücksichtigen sein als bisher. Kommen mögliche Verfehlungen aktiver Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats nachträglich ans Licht, so werden sie noch einmal unter die Lupe genommen, wie auch Enria hervorhebt. „Wird eine Bank beispielsweise strafrechtlich belangt, weil wesentliche Regelungen zur Geldwäschebekämpfung nicht eingehalten wurden, so muss das aktuelle Leitungsorgan erneut geprüft werden, um zu erfahren, ob Mitglieder dafür verantwortlich waren und ob sie in Anbetracht der neuen Erkenntnisse noch als geeignet zu beurteilen sind“, hatte der Chefaufseher verdeutlicht.
Ein weiterer Änderungsvorschlag betrifft die in einigen Staaten gängige Praxis, die Fit-and-Proper-Prüfung erst nach der Bestellung eines Vorstandsmitglieds vorzunehmen. Die Institute sind aufgefordert, die Aufsicht vorher über eine beabsichtigte Personalie ins Bild zu setzen. Sollten Bedenken bestehen, kann so eine Ernennung rechtzeitig abgebogen und eine Abberufung vermieden werden, die für Bank wie Aufsicht peinlich sowie für Reputation und weitere Karriereaussichten des Kandidaten verheerend sein könnte.
In ihrem Jahresbericht weist die EZB-Bankenaufsicht für das vergangene Jahr 2828 Eignungsprüfungen aus (siehe Grafik) und damit 139 weniger als 2019. Das führt sie auf Verzögerungen bei Nominierungen wegen der Pandemie zurück. Fast drei Viertel der Fit-and-Proper-Verfahren betrafen Aufsichts- und 23% Vorstandsposten. Auf Personen in sogenannten Schlüsselfunktionen unterhalb der obersten Führungsebene, wie in Compliance und interner Revision, entfielen knapp 3%.
Mehr Beanstandungen
In jeder zweiten Prüfung, die angehende Vorstände betraf, hatte die EZB im vergangenen Jahr etwas zu beanstanden – zuvorderst mangelnde Erfahrung, Interessenskonflikte und Zeitkollisionen mit anderen Ämtern. Diese Verlängerung der Mängelliste um ein Fünftel gegenüber dem Vorjahr begründet die Aufsicht mit bereits zu jenem Zeitpunkt strikteren Vorgaben, die nun abermals nachjustiert werden. Meist wird den Betroffenen aufgetragen, die Defizite abzustellen, um den Posten antreten zu können. Manchmal werden Anträge im Zuge des Fit-and-Proper-Prozesses abschlägig beschieden, manchmal ziehen Kandidat oder Bank vorher die Reißleine, wenn sie merken, dass die Chancen schlecht stehen.
Mit dem neuen Leitfaden werden die Harmonisierungsbemühungen der EZB keineswegs enden. Man arbeite daran, noch höhere Anforderungen zu erreichen, sagte im Oktober der damalige Vizechef der Bankenaufsicht, Yves Mersch. Er brachte eine EU-Verordnung ins Spiel, die unmittelbare Wirkung entfaltet.