EZB-Staffelzins bewegt die Treasurer
Mit Einführung ihres Freibetrags bei der negativen Verzinsung von Überschussliquidität hat die Notenbank rege Tauschgeschäfte in Europas Bankensektor initiiert. Vor allem deutschen und französischen Instituten kommt die Staffelung zugute, denn sie haben europaweit die höchsten Liquiditätsüberschüsse. Von Bernd Neubacher, Frankfurt Die Einführung eines Staffelzinses durch die Europäische Zentralbank (EZB) zu Monatsbeginn hat die Treasury-Abteilungen von Banken in Bewegung gebracht. Wie verschiedene Marktteilnehmer berichten, haben sich Institute auf breiter Front neu positioniert, um die Vorteile des sogenannten ECB Tiering, also der Abstufung des Einlagenzinssatzes, für sich zu nutzen.Die Notenbank hatte im September ein zweistufiges System für die Verzinsung der Reserveguthaben eingeführt, bei dem seit Ende Oktober ein Teil der Überschussliquidität der Banken, konkret das Sechsfache der Mindestreservevolumens, vom auf 0,50 % erhöhten Negativzinssatz für Einlagen befreit wird. Am Markt hat dies rege Aktivitäten ausgelöst: Banken, deren Überschussliquidität über der sechsfachen Mindestreserve liegen, geben Liquidität ab; Institute, die auf weniger als das Sechsfache kommen, nehmen Liquidität bis zur von der EZB festgesetzten Oberfreigrenze auf. “Die Funktion des Geldmarkts wird wieder stärker genutzt”, freut sich der Treasury-Chef einer Großbank, den der grundsätzliche Rückgang der Liquidität am Geldmarkt gerade in längeren Laufzeiten zuletzt umgetrieben hatte. Vom Norden in den SüdenDie Optimierung des Liquiditätsbestandes lindert in den Banken die Folgen der geldpolitischen Beschlüsse vom September – auch wenn die negativen Effekte neuer Wertpapierkäufe, weiterer Langfrist-Tender sowie des erhöhten Negativzinses in der Einlagefazilität nach wie vor überwiegen, wie Banker erklären. Im Markt wird die Entlastung der Banken der Eurozone angesichts einer Mindestreserve von rund 130 Mrd. und einem damit verbundenen Freibetrag von annähernd 800 Mrd. und einem Zinsvorteil von einem halben Prozentpunkt immerhin auf 4 Mrd. jährlich beziffert.”Vom Norden Europas in den Süden, aber auch national etwa innerhalb der Verbünde hat es erhebliche Bewegungen gegeben”, berichtet Silvio Lenk, Leiter Treasury der DekaBank: “In Deutschland und Frankreich lag der größte Teil der Überschussliquidität.” Die Geldhäuser in Deutschland und Frankreich profitieren vom EZB-Staffelzins schon deshalb, da ihre Überschussreserven bis zum Freibetrag nun nicht mehr negativ verzinst werden. Darüber hinaus können sie Mittel abgeben und so einen Zinsvorteil generieren.Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) hatte im September geschätzt, dass der Freibetrag die Belastung der Institute bundesweit um 1,1 Mrd. Euro auf 1,9 Mrd. vermindern werde. Damit entfiele gut ein Viertel der europaweiten Entlastung auf deutsche Banken. Große Häuser kommen in der Regel schon infolge ihrer Clearing-Funktion über die Freigrenze der sechsfachen Mindestreserve. Wie viele Retail-Institute, die im Zeitalter negativer Zinsen generell unter ihren hohen Einlagenbeständen leiden, haben sie nun Mittel abgeben können, welche sie 50 Basispunkte Negativzinsen kosten, falls sie diese bei der EZB parken.Banken in Südeuropa wiederum, namentlich in Italien, halten generell weniger Liquidität, wie im Markt berichtet wird. Diesen Banken ermöglicht Überschussliquidität aus dem Norden, den von der EZB gewährten Staffelzins-Vorteil maximal auszunutzen. “Perspektivisch werden alle Banken an das Limit gehen”, vermutet ein Banker. Ein anderer konstatiert, dass der Markt einen Großteil der Bilanzstrukturmaßnahmen bereits gesehen habe. Italienische Anleihen gefragtVeränderungen zeigen sich aber weniger im unbesicherten Geldmarkt, an dessen neuem Benchmarksatz Estr die Bewegung denn auch vorbeiläuft, sondern im besicherten Markt für Wertpapierpensionsgeschäfte (Repo-Markt). Dort war bereits zu beobachten, dass die Preise südeuropäischer Wertpapiere, mit denen Repo-Geschäfte besichert werden können, um 5 bis 10 Basispunkte angezogen haben, wie zu erfahren ist. Dahinter stünden Transaktionen von Banken, die sich mit Hilfe dieser Sicherheiten Liquidität besorgten, um ihren Liquiditätsbestand bis an die Obergrenze des Freibetrags aufzustocken, heißt es.Italienische Staatsanleihen sind schon seit längerem auf dem Repo-Markt wieder stärker als Sicherheit gefragt, wie der Kapitalmarktverband ICMA erhoben hat (siehe Tabelle). Der Verband begründet die höhere Nachfrage mit der Gier von Investoren nach Rendite ungeachtet von Sorgen um die ökonomische und finanzielle Stabilität Italiens.Seit Ausscheiden der rechtsextremen Lega Nord aus der Regierung in Rom haben sich die Renditeaufschläge für italienische Staatsanleihen reduziert. Derweil haben deutsche Bundesanleihen als Sicherheit im selben Maße an Bedeutung verloren, was der Verband ICMA auf “um sich greifende Negativverzinsung” zurückführt. Wie im Markt angemerkt wird, hat dieser Effekt zugleich das Ungleichgewicht in den Target-2-Salden der Staaten, welche im Zuge der Staatsschuldenkrise in den Fokus der Debatte in Deutschland geraten waren, vermindert.Was in politischen Debatten derweil nicht herbeigeredet werden konnte, hat nun also die Aussicht auf einen Anteil an 50 Basispunkten Zinsvorteil geschafft: einen europäischen Binnenmarkt, wenn auch nur im Repo-Geschäft. Wie stark die Liquidität nachfragende Bank beim grenzüberschreitenden Liquiditätstransfer den Zinsvorteil realisieren kann und inwieweit sie diesen mit ihrer Gegenpartei teilen muss, hängt dabei von ihrer Bonität ab, den Sicherheiten, die sie bieten kann, und auch davon, ob die Gegenseite Druck verspürt, Mittel abzugeben.Als Alternative haben diese Institute auch die Option, zusätzliche Liquidität nicht auf dem Repo-Markt einzukaufen, sondern den eigenen Bestand an hochliquiden Aktiva, die zur Erfüllung der Liquiditätsquote LCR erforderlich sind, zu optimieren und entbehrliche Wertpapiere hoher Qualität zu versilbern und den Erlös zur EZB zu bringen. LCR-kompatible Aktiva liegen in ihrer Verzinsung nahe am Euribor und kosten eine Bank bei einmonatiger Laufzeit also 45 Basispunkte. Da ist es günstiger, die Papiere zu 0 % bei der EZB zu parken. Auf der anderen Seite akzeptieren in Liquidität schwimmende Banken auch Geldmarktgeschäfte zu Sätzen von minus 20 Basispunkten, um flüssige Mittel abzugeben, da dies ihnen einen Vorteil von 25 Basispunkten gegenüber dem aktuellen Eonia-Satz sowie von 30 Basispunkten gegenüber dem nicht privilegierten EZB-Einlagesatz bietet. Dies weiß manch Institutioneller zu nutzen.”Die Staffelung des Negativzinses vermindert letztlich die im Markt effektiv verfügbare Überschussliquidität”, meint DebaBank-Treasurer Silvio Lenk. Auf diese Weise gehe rund ein Drittel der Überschussliquidität im Markt zur EZB, schätzt er.Im Mark rechnet man damit, dass sich die Bilanzmaßnahmen bei Europas Banken noch bis Dezember strecken könnten. Damit dürften die Aktivitäten fast nahtlos ins sogenannte “Window Dressing” zum Jahresende übergehen. Dann sind Banken traditionell bestrebt, Sicherheiten möglichst im Haus zu halten, zugleich aber ihre Bilanzsumme zu begrenzen, berechnet sich anhand der Aktiva doch die Höhe der Bankenabgabe: Europas Repo-Markt bleibt fürs Erste in Bewegung. – Wertberichtigt Seite 6