LEITARTIKEL

Familienzoff mit Folgen

Wer keine Probleme hat, der macht sich welche. In dieser Disziplin ist die Sparkassen-Finanzgruppe immer wieder zu Höchstleistungen fähig. Die Dezentralität, die grundsätzlich durchaus nicht nur Charme hat, sondern auch als Markenzeichen und...

Familienzoff mit Folgen

Wer keine Probleme hat, der macht sich welche. In dieser Disziplin ist die Sparkassen-Finanzgruppe immer wieder zu Höchstleistungen fähig. Die Dezentralität, die grundsätzlich durchaus nicht nur Charme hat, sondern auch als Markenzeichen und handfester Wettbewerbsvorteil genutzt werden kann, wird dann unversehens zum Handicap. Aktuell hat es die öffentlich-rechtliche Säule der deutschen Kreditwirtschaft mit dem monatelangen Streit über das Sicherungssystem geschafft, ihren sowieso nicht geringen Wahrnehmungswert weiter zu steigern – freilich an den aus ihrer Sicht falschen Stellen: bei Ratingagenturen ebenso wie bei der deutschen und nicht zuletzt bei der europäischen Bankenaufsicht.Auf EU-Ebene hat man die Verbünde von Sparkassen, Landesbanken und Landesbausparkassen einerseits sowie Volks- und Raiffeisenbanken mit ihren Zentralinstituten andererseits wegen der ständigen Extrawünsche ja ohnehin besonders ins Herz geschlossen. Da kommt ein Familienzoff, der den Zusammenhalt der Gruppe mit dem HKS-13-roten “S” in Frage stellt, vielleicht gar nicht ungelegen. Die EZB hat ohnedies bereits angekündigt, ein – mutmaßlich sehr kritisches – Auge auf die dezentralen deutschen Institutsgruppen werfen zu wollen, wiewohl diese nicht der direkten europäischen Überwachung unterliegen. Aber Hundertschaften neuer Aufseher suchen sich halt auch neue Arbeit.Auf die drohenden Folgen des Hickhacks “Westfalen-Lippe gegen den Rest der Welt” für Sparkassen und Landesbanken, von denen logischerweise auch die Kreditgenossen betroffen wären, hat Felix Hufeld, der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), hingewiesen. Die nationale Aufsichtsinstanz billigt zwar den “Westfälischen Frieden” vom 17. Juni 2015, mit dem der Münsteraner Verband seinen Verbleib in dem nach den Vorgaben der neuen europäischen Einlagensicherungsrichtlinie umgemodelten gemeinsamen Haftungsverbund unter Bedingungen beschlossen hat. Doch dürfte nun die EZB im Lauf der Zeit, so Hufeld, “zweifellos” die Verbundprivilegien unter die Lupe nehmen.Zuvor hatte schon die Ratingagentur Fitch mit dem Zaunpfahl gewinkt und für den Fall, dass die öffentlich-rechtliche Solidargemeinschaft zerbröseln sollte, Konsequenzen für die Bonitätsbewertung und damit für die Refinanzierungskosten der Gruppenmitglieder in Aussicht gestellt. Sollte obendrein der Regulator die Eigenkapitalvorteile für verbundinterne Kredite und Beteiligungen – das vor allem ist mit “Privilegien” gemeint – zur Disposition stellen oder zumindest reduzieren wollen, würde es richtig teuer: Es entstünde ein Bedarf an zusätzlichen Eigenmitteln, der sich locker in Milliardenhöhe bewegen dürfte. Jedenfalls würden sich hiesige Politiker und Lobbyisten wieder einmal dafür ins Zeug legen müssen, den deutschen Sonderweg in Europa zu verteidigen. Das macht es dann erfahrungsgemäß nicht gerade leichter, Sonderwünsche von EU-Partnern auf anderen Gebieten standhaft abzulehnen.Bei allem Ärger, den sich die Verbünde mit ihren Fehden oder regionalen Alleingängen gelegentlich einhandeln – bei den Genossen soll das auch schon mal vorgekommen sein -, haben die Reibereien meist auch einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert; zumindest für das geneigte Publikum, aber durchaus auch für Familienmitglieder selbst. Im aktuellen Fall liegt der Spaßfaktor unter anderem in der Voraussetzung, an die der WestLB-geschädigte westfälische Verband seine weitere Mitwirkung im einheitlichen Sicherungssystem der Gruppe geknüpft hatte: das Zustandekommen einer geheimen Nebenabrede über das Abstimmungsverhalten von vier Regionalverbänden, die bei der allfälligen Stützung einer Landesbank via 25-prozentige Sperrminorität zu einer effektiven Haftungsbegrenzung führen würde. Diese Hintertür fand auch die BaFin ausgesprochen originell und formulierte daher eine eigene “Interpretation” der Viererabrede, welche die Beteiligten zu bestätigen hatten.Verbandsjuristen bezweifeln mittlerweile, ob mit dieser Auslegung überhaupt die Bedingung eingetreten ist, unter der die Westfalen nur zustimmen wollten. Aber geschenkt! Jenseits der rechtlichen Wertung wird im Verbund vor allem die Frage gestellt, in welcher Parallelwelt diejenigen leben, die eine solche Vereinbarung schließen und unterschreiben. Außer Westfalen-Lippe sind die Sparkassenregionen Ostdeutschland, Rheinland und Schleswig-Holstein dabei. Welcher dieser Verbände, so lautet die Preisfrage, könnte wohl im Falle der Schieflage einer Großsparkasse oder einer Landesbank am ehesten auf Solidarität ohne Haftungsbegrenzung angewiesen sein?——–Von Bernd WittkowskiDer Streit in der Sparkassen- Finanzgruppe über den neuen Haftungsverbund ist beigelegt, hat aber Ratingagenturen und Aufseher hellhörig werden lassen.——-