Finanzbildung der Bevölkerung fördern

Gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Herausforderung für genossenschaftliche Banken

Finanzbildung der Bevölkerung fördern

Finanzbildung soll ein grundlegendes Verständnis für wirtschaftlich-finanzielle Zusammenhänge gewährleisten und Menschen befähigen, die eigenen Finanzen auf kompetente und vorausschauende Weise zu handhaben. Zwar ist der Begriff Finanzbildung nicht einheitlich definiert, doch lassen sich nach der Fachliteratur zumindest die folgenden Finanzbildungskernbereiche hervorheben:- Schaffung von Vermögen- Umgang mit Verschuldung- Verstehen von Versicherungsprinzipien- Umgang mit Geld im Alltag und Verständnis von Komponenten des ZahlungsverkehrsDas Leitziel von Finanzbildung als integraler Bestandteil ökonomischer Bildung besteht in der Erlangung wirtschaftlicher Mündigkeit, Verantwortung und Selbstbestimmung. Solch eine Zielstellung deckt sich erkennbar mit dem genossenschaftlichen Wertekanon. Allerdings klafft zwischen dem “Ideal” der Finanzbildungsmündigkeit und der tatsächlichen Situation vieler Menschen eine beträchtliche Lücke. So weisen Fachleute auf offenbar bereits seit Jahrzehnten bestehende Defizite entsprechender Bildungsinhalte und Kenntnisse insbesondere unter Heranwachsenden hin und machen darauf aufmerksam, dass auch von Bankenverbänden und weiteren Interessengruppen seit längerer Zeit eine Vertiefung dieser Inhalte in der schulischen Ausbildung gefordert wird. Studien verdeutlichen esMithin lassen auch jüngere Studien erkennen, dass in weiten Teilen der Bevölkerung erhebliche Einschränkungen bei der Finanzbildung gegeben sind. So lag laut einer umfassenden Erhebung der Direktbank ING-DiBa (2017) für rund 51 % der in Deutschland Befragten keine wesentliche Ausprägung an Finanzbildung vor. Im empirisch basierten Anlegerbarometer der genossenschaftlichen Fondsgesellschaft Union Investment hatte sich in der Vergangenheit eine ähnliche Konstellation gezeigt. Zudem vertraten demnach, ähnlich wie in der aktuellen INGDiBa-Studie, Befragungsteilnehmer weit mehrheitlich die Auffassung, dass das Thema Finanzbildung ein Must-have sei beziehungsweise in die Schulen gehöre. Einen bedenklichen Status quo hinsichtlich der Finanzbildung hatte überdies die CFA Society Germany, ein als Non-Profit-Organisation organisierter Verband von Chartered Financial Analysts konstatiert; über die entsprechenden Studienergebnisse wurde Anfang 2018 berichtet.Auch eine breit angelegte Erhebung des Allianz-Versicherungskonzerns, deren Daten 2017 in den International Pension Papers publiziert wurden, belegte für die Bevölkerung verschiedener europäischer Länder mit Einschluss unter anderem von Deutschland und Österreich erhebliche Defizite im Hinblick auf das Finanzwissen. Vor allem jüngere Menschen hatten relativ schlecht abgeschnitten. Das Verständnis einer notwendigen Risikostreuung bei Anlagen erwies sich insgesamt als gering. Interessant an dieser Studie war der Nachweis, dass jene Menschen, die höhere Kenntnisse finanzieller und risikobezogener Konzepte hatten, auch faktisch bessere finanzielle Entscheidungen fällten. Schlechtere VermögenslageFinanzbildung und finanzielles Wohlergehen korrelierten also tatsächlich klar miteinander – die Implikationen für das Individuum, seine Familie und sein soziales Umfeld sind evident. Die unzureichende Finanzbildung trägt sehr wahrscheinlich zu einer Vermögenssituation in Deutschland bei, die deutlich schlechter ist als in anderen Industrienationen; so erreicht Deutschland nach dem Allianz Global Wealth Report 2017 im Medianvermögen keine Platzierung unter den Top 20.Ein möglicher Grund für den Mangel an finanziellem Grundwissen in breiten Teilen der Bevölkerung liegt offensichtlich darin, dass über lange Jahre in den Schulen entsprechende Inhalte kaum oder mit didaktisch unzureichenden Mitteln behandelt wurden. Eine Intensivierung der schulischen Finanzbildung erscheint daher sinnvoll. Es ist nachvollziehbar, dass in einem solchen Zusammenhang der Generalsekretär der OECD, José A. Gurría, 2017 auf die Notwendigkeit einer Modifizierung der deutschen Pisa-Tests hinwies, denn die Frage der Finanzbildung hiesiger Schüler wurde bis dato hierin nicht aufgeworfen. Psychologische PrägungenAndere Gründe einer defizitären Finanzbildung dürften aber auch in bestimmten psychologischen Prägungen liegen: Finanzthemen erscheinen vielen Menschen als “dröge” und ihre Einstellung zu Kernbereichen der Finanzbildung mag verkrampft, ausweichend oder sogar ablehnend sein. Empirische Untersuchungen der genossenschaftlichen Union Investment konnten in den zurückliegenden Jahren jedenfalls nachweisen, dass es offenbar regelrechte familiäre “Codes” gibt, die im Hinblick auf Finanzfragen und beim Umgang mit Geld eine Simplifizierung durch Heuristiken und übernommene Glaubenssätze beinhalten. Solche Codes können die individuelle Entwicklung der Finanzbildung prägen und – als verfestigtes Einstellungsmuster – insbesondere bei der Wahl von Anlage- oder Vorsorgestrategien zu nachteiligen Resultaten führen (zu denken wäre hier etwa an “Glaubenssätze” wie: “Aktienfonds sind dubios”, “Geld gehört aufs Sparbuch” oder Ähnliches). Reformen im SchulsystemVor einem solchen Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, was getan werden kann, um die Finanzbildung in der Bevölkerung zu fördern und damit auch die Konsequenzen einer mangelhaften Finanzbildung (insbesondere das Zurückschrecken vor den Möglichkeiten des Sparens und der Altersvorsorge mit einem langfristig überzeugenden Renditefaktor) vermeiden zu helfen. Gefordert ist hier, was die junge Generation anbelangt, auf jeden Fall das Schulsystem als entscheidender Part des gesamtgesellschaftlichen Bildungsziels: Das hiesige allgemeinbildende Schulsystem sollte dem gesellschaftlichen Feld der Finanzbildung die erforderliche Aufmerksamkeit zukommen lassen und entsprechende Lerninhalte konsequent realisieren.Freilich kann es dauern, bis solche Reformbestrebungen im Schulsystem tatsächlich greifen. Umgekehrt kann jedoch hervorgehoben werden, dass – und zwar schon seit Längerem – auf der genossenschaftlichen Banken-/Finanzebene bereits zahlreiche Initiativen zur Förderung der Finanzbildung umgesetzt werden. Exemplarisch können etwa gezielte Kooperationen zwischen genossenschaftlichen Banken und Schulen in deren Geschäftsgebiet mit folgenden Gestaltungsparametern genannt werden:- Förderung des finanziellen Verständnisses durch schulische Unterrichts- und Projektaufgaben in enger Abstimmung mit genossenschaftlichen Banken- Anregung und Steigerung dieses Verständnisses durch Exkursionen (zum Beispiel Deutsche Börse, DZ Bank, Deutsche Bundesbank) von Schülern, die hierbei von Auszubildenden genossenschaftlicher Banken begleitet werdenDarüber hinaus sind beispielsweise Initiativen zu nennen wie die 2016 initiierte, mobile “Erlebnisausstellung Finanzanlage” von Union Investment, die sich prinzipiell an Interessierte aller Altersstufen richtet und bei der sich auf spielerische und interaktive Weise Finanzbildungsinhalte erschließen lassen. Für die Entwicklung des mobil-interaktiven Ausstellungskonzepts spielte insbesondere der anzustrebende Abbau der Distanz beziehungsweise Skepsis vieler Menschen gegenüber Begriffen wie etwa “Zinseszinseffekt” eine Rolle. Die Erlebnisausstellung Finanzanlage der Union Investment erhielt im Rahmen der 19. Euro Finance Week Mitte November 2016 im Übrigen einen Innovationspreis für hervorragenden Wissenstransfer, da sie wichtige Facetten rund um Geldanlageentscheidungen wie Diversifizierung, Werterhalt und den Faktor Zeit unmittelbar erlebbar mache.Das Erlebbarmachen von konkreten Aspekten der Finanzbildung wird bei Aktivitäten genossenschaftlicher Banken sicherlich auch zukünftig eine wichtige Rolle einnehmen. Um solch ein praktisches und lebensnahes Bestreben, das ureigenen genossenschaftlichen Werten des Bildens und Förderns entspricht, tatsächlich erfolgreich realisieren zu können, bedarf es des Vertrauens zwischen Bank und Kunde/Mitglied. Und eben hier sind genossenschaftliche Banken, deren Geschäftsmodell sich namentlich in der Finanzkrise 2008 ff. überzeugend bewährte und die im Unterschied zu manch anderen Kreditinstituten keine Staatshilfe beantragen mussten, gut aufgestellt. Diese Aufstellung respektive die solide Vertrauensbasis kann seitens genossenschaftlicher Banken auch in Zukunft im Bereich der Finanzbildung zielstrebig und erfolgreich genutzt werden.Auf den Punkt gebracht, lässt sich damit auch eine von Dr. Christiane Decker bereits im Dezember 2012 in einem Fachbeitrag in der Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen gezogene Folgerung bestätigen: Die Förderung der Finanzbildung ist “Aufgabe und Chance für Genossenschaftsbanken” zugleich. Selbstverständlich ist es wünschenswert, dass sich auch andere Banken und Kreditinstitute für eine solche Förderung engagieren. Aus Sicht der wissenschaftlichen Finanzbildungsforschung ist mithin eine übergeordnete, gesamtgesellschaftlich eingebettete und bundesweite Strategie zur Hebung der Finanzbildung hierzulande unentbehrlich. Bei einer ländervergleichenden Betrachtung weist diesbezüglich Deutschland auf jeden Fall Nachholbedarf auf.—-Yvonne ZimmermannVorstandsvorsitzende der Akademie Deutscher Genossenschaften ADG