IM GESPRÄCH: BJÖRN GOß, STOCARD

"Finanzdienste und Shopping gehören zusammen"

Fintech Stocard startet Payment- und Kreditprodukte - Als Aggregator der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus - Kapital für US-Expansion eine Option

"Finanzdienste und Shopping gehören zusammen"

Von Björn Godenrath, FrankfurtDas Mannheimer Fintech Stocard entwickelt sich von einer reinen Shopping-App zur Bündelung von Bonuskarten und Rabattkupons hin zu einer umfassenden Finanz-App, die Multibanking-Funktionalitäten integriert. “Wir wollen der Player in der Wertschöpfungskette sein, der den Shopping-Kunden hat und dem dann Mehrwertangebote unterbreitet – und das passiert ohne Medienbruch in der App. Denn kein Kunde greift beim Online-Kauf zum Telefon, um bei seiner Hausbank noch ein Kreditangebot zu erfragen”, so Björn Goß, einer der drei Stocard-Gründer im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Gute AusgangslageFür diese Ambitionen befindet sich Stocard in guter Ausgangslage, haben die Mannheimer doch in europäischen Kernländern, Großbritannien, Kanada und Australien bereits “weit mehr” als 50 Millionen Kunden und können sich mit Fug und Recht als “führende Mobile Wallet” bezeichnen. Goß verweist auf die “aktive Nutzerbasis, die 2019 über 1,7 Milliarden Transaktionen am Pont of Sale anstieß und dabei Käufe im Wert von rund 40 Mrd. Euro tätigte.” Dabei hat Stocard ihren Umsatz laut Goß jedes Jahr mehr als verdoppelt.Einnahmen generiert das Fintech vor allem aus der Zusammenarbeit mit den Händlern, was Vermittlungsprovisionen einbringt – und sich mit Corona beschleunigt habe. Hinzu kommen Premiumdienste sowie Interchange-Gebühren mit Aufnahme von Payment-Funktionalitäten. In der Mobile App kommt dabei eine virtuelle Mastercard zum Einsatz – was außerdem integriert wird, ist die Funktionalität, direkt vom Girokonto in der App bezahlen zu können. Und auch wenn Goß es nicht nennt, so dürfte auch die Integration eines Spar- und Investmentproduktes auf der Agenda stehen. Moorwand statt WirecardFür die umfassende Mobile- und Online-Payment-Funktion wollte Stocard eigentlich über die E-Money-Lizenz von Wirecard gehen, hat sich nun aber notgedrungen umorientiert. Man sei derzeit dabei, auf den britischen Anbieter Moorwand zu migrieren. Der neue Partner habe alle erforderlichen Lizenzen für die europaweite Expansion von Stocard, bei Wirecard sei man nicht technologisch auf deren Plattform integriert gewesen, was den schnellen Wechsel ermöglicht habe.Konkret will Stocard deutschen Kunden spätestens ab dem ersten Quartal 2021 ein Pay-Later-Produkt offerieren, das in den Check-out-Prozess des Händlers integriert sei, kündigt Goß an. Dann folgen weitere Banking-Funktionen: Dabei ist der Kredit zunächst an das Pay-Later-Produkt gekoppelt, das im Prinzip ein voll digitalisierter Kauf auf Rechnung mit Option zur Ratenzahlung ist. In Zusammenarbeit mit Partnerhändlern könne das Fintech dann auch Null-Prozent-Finanzierungen anbieten – und dank der Cashback-Komponente signifikant bessere Angebote machen als jede Bank.Leitgedanke bei der aktuellen Unternehmensentwicklung sei, dass Einkaufen immer eine Form von Bezahlen ist und man von der Richtung aus dann auch eine Multibanking-App mit Mobile Wallet als Kernfunktion sei, erklärt Goß die Herangehensweise. “Der Gründungsgedanke 2011 war, dass Plastikkarten und Papierschnipsel für Bonusprogramme zu umständlich sind. Also wollten wir uns darum kümmern, Einkaufen ganzheitlich digital in einer App zu gestalten.” Zur Bündelung von Funktionalitäten in einer App gehöre dann auch die Integration der Händler, so dass im Hintergrund Kupons eingelöst werden – diese automatisierte Integration mache “das Einkaufserlebnis in der App” aus. “Und da Finanzdienstleistungen und Shopping zusammengehören, bündeln wir das jetzt noch stärker in der App.”Bei Apple Pay ist Stocard über die Mastercard integriert, auf Android-Geräten hat man über die NFC-Schnittstelle selbst volle Kontrolle über den Bezahlvorgang – je weniger Mittelsmänner bei Transaktionen mitverdienen, desto besser. Mehr als 600 Händler sind tiefer in die Stocard-App integriert und kommen mit speziellen Rabattaktionen zum Zuge – Tendenz steigend. Entscheidende PhaseDer Kampf um die mobile Kundenschnittstelle geht nun in die entscheidende Phase, und Stocard ist mit ihrem Shopping-Fokus, der sich im nicht trivialen Onboarding von mehr als 5 000 Händlern manifestiert, gut positioniert, um die Konkurrenz auszustechen. Klarna hat gerade erst begonnen, selektive Shopping-Angebote in ihre Payment-App zu integrieren – und die Fintech-Experten rätseln, ob das wirklich gut werden kann. Native Multibanking-Apps wie Numbrs haben den Durchbruch nicht geschafft und sortieren sich neu. Die Finanzguru-App bleibt mit gut 0,5 Millionen deutschen Kunden deutlich hinter den gut 3 Millionen von Stocard zurück, die Allianz-Retail-App Heymoney kommt erst jetzt in die Puschen.Bereits auf der Strecke geblieben ist die Deutsche-Bank-App Yunar, die als Stocard-Klon weiterer Investitionsmittel bedürft hätte – und kürzlich vom (selbst auf dem Absprung zur Commerzbank stehenden) Privatkundenchef Manfred Knof beerdigt wurde. Sich bei Yunar zu bedienen, da hegt Goß keinerlei Ambitionen. Die Machtverhältnisse seien so weit zementiert, dass man schlicht und einfach den Kurs des organischen Wachstums beibehalte. Hochprofitables Geschäft”Das Geschäftsmodell selbst ist grundsätzlich hochprofitabel und auch heute schon profitabel. Allerdings wollen wir weitere strategische Investitionen vornehmen und planen perspektivisch auch den Markteintritt in den USA.” In Kanada und Australien habe Stocard schon gezeigt, dass das Geschäftsmodell auch in solchen Märkten funktioniere. Und sollte das US-Geschäft tatsächlich aufgenommen werden, würde man auch weiteres Eigenkapital aufnehmen, kündigt Goß an.Auch wenn einige namhafte Venture-Fonds (mit Macquarie Capital im Lead) in der letzten Runde von Mitte 2018 über 20 Mill. Euro hinzukamen, befinde sich das Unternehmen “fest in Gründerhand”. Ein IPO sei “das ultimative Ziel” in ein paar Jahren. Bis dahin will sich Stocard als die europäische Mobile Wallet positionieren und damit auch als Antithese zu expansiven asiatischen Angeboten wie Alipay bestehen.