Finanzskandale als Folge mieser Firmenkultur

ING-Compliance-Leiter mahnt zu nachhaltigen Kontrollen - Tendenz zu wiederkehrendem Schlendrian

Finanzskandale als Folge mieser Firmenkultur

fir Frankfurt – Ob Geldwäsche, Phantomkonten, Scheingeschäfte oder andere Betrügereien – dass sich derlei kriminelle Energie verbreiten könne, sei immer eine Frage schlechter Unternehmenskultur, sagt Markus E. Schulz. Als Lackmustest empfiehlt der Global Head Change Management, Financial Crime, Compliance von ING, dem nachzugehen, was passiert, wenn der Chef nicht da ist. “Wie verhalten sich Mitarbeiter, wenn niemand zuschaut?”, fragte Schulz am Donnerstag bei einer Veranstaltung des Zahlungsverkehrsverbandes Euro Banking Association (EBA). In der Danske Bank, bei Wells Fargo und Wirecard, um einige Beispiele zu nennen, ist der Test bekanntlich nicht zufriedenstellend ausgegangen. Aus seiner langjährigen Erfahrung in Compliance und Finanzkriminalitätsbekämpfung bei ING, Standard Chartered, GE Capital, Zurich Financial Services und ABN Amro wisse er, dass sich in Unternehmen und Banken trotz aller Bemühungen und Barrieren immer wieder Fehlverhalten einschleiche. Unternehmens-AlzheimerZu beobachten sei, dass nach Betrügereien Kontrollen und Compliancevorschriften zunächst verschärft, dann aber wieder in einem Prozess, den er als “Unternehmens-Alzheimer” bezeichnet, sukzessive zurückgenommen würden und der Schlendrian abermals Einzug halte. “Es kommt sehr oft vor, dass sich alle einig sind, ein Problem zu beheben, dann wird es behoben, und schließlich tritt Unternehmens-Alzheimer auf. Die Rede ist von teuren Kontrollen, die reduziert werden sollten, und ehe man sich’s versieht, ist man wieder da, wo man fünf Jahre zuvor war. Alles geht auf die Kultur zurück: Ist sie reaktiv oder nachhaltig?”Wells Fargo wurde im Februar mit einer Strafe von 3 Mrd. Dollar belegt, weil Mitarbeiter der US-Retailbank für Kunden mehr als 2 Millionen Konten ohne deren Wissen angelegt hatten. Schulz führt das auf ein falsches Anreizsystem zurück, das Mitarbeiter dazu veranlasste, Phantomkonten anzulegen, um Boni zu erhalten. Wells Fargo habe mit dem Anreizsystem grundsätzlich nichts Schlechtes bewirken wollen, damit allerdings mangels wirksamer Kontrollen eine Betrugsmaschinerie in Gang gesetzt.Schulz zufolge folgt auf jede Buße ein zusätzlicher Betrag in Höhe des 1,5- bis 2,5-Fachen der Strafe, um das Problem zu beheben: Opportunitätskosten, Transformationskosten, Compliancekosten und Kosten durch Geschäftsbeschränkungen. So wurde etwa Wells Fargo verboten, neue Konten zu eröffnen, bis die Bank die Probleme in den Griff bekommen hat. Schulz mahnt, unsichtbare Kontrollen im Betriebsablauf zu integrieren, so dass Fehlverhalten sofort erkannt und unterbunden werden kann. ING, zu der Schulz im Januar stieß, hat ihren eigenen Geldwäschefall: 2018 zahlte sie wegen mangelnder Aufsicht in einem Vergleich 775 Mill. Euro Strafe.