GASTBEITRAG

Finanzstrukturen für die Zukunft - Zeit zu handeln

Börsen-Zeitung, 30.3.2019 Weltweit wächst jede Woche die beeindruckende Zahl an Schülern, die für den Klimaschutz protestieren. Das Bild, das sie als ihre Zukunft sehen, ist alles andere als rosig. Sie halten denen, die hier entscheidende Weichen...

Finanzstrukturen für die Zukunft - Zeit zu handeln

Weltweit wächst jede Woche die beeindruckende Zahl an Schülern, die für den Klimaschutz protestieren. Das Bild, das sie als ihre Zukunft sehen, ist alles andere als rosig. Sie halten denen, die hier entscheidende Weichen stellen können und müssen, den Spiegel vor. Es muss sich, so ihre Forderung, endlich etwas bewegen und das schnell! Das befeuert auch die Debatte in Deutschland. Stimmen kommen dabei aus allen gesellschaftlichen Bereichen. In Politik und Wirtschaft geht es jetzt vor allem darum, verbindliche Rahmenbedingungen für nachhaltiges Handeln fest zu verankern. Denn der Markt allein kann den nötigen Wandel nicht bewältigen. Kürzlich hat sich der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung dafür ausgesprochen, Deutschland zum führenden Standort für Sustainable Finance aufzubauen. Gehen diese Pläne weit genug? Werden dadurch die richtigen Anreize gesetzt? Wichtiges ThemaHinter dem Schlagwort Sustain-able Finance verbirgt sich ein wichtiges Thema, das den Wirtschaftsstandort Deutschland – national wie europäisch – maßgeblich betrifft. Es geht um nicht weniger als um die Zukunftsfähigkeit ganzer Industriebereiche und begleitender Finanzstrukturen und damit nicht zuletzt darum, wie diese der Gesellschaft langfristig dienen. Klimaschutz ist dabei sicherlich eine der drängendsten, aber nicht die einzige Herausforderung, der wir uns stellen müssen.Die Gruppe Deutsche Börse als Mitbegründerin des “Green and Sustainable Finance Cluster Germany” unterstützt das Thema und die Diskussion darüber. Wir verstehen es als unsere Verantwortung, uns zu engagieren und den wirtschaftlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit voranzutreiben Der Finanzwirtschaft kommt hier gerade in puncto Risikobemessung und Kapitalallokation eine Schlüsselrolle zu.Aus diesem Grund hat das Cluster gemeinsam mit der Natur- und Umweltschutzorganisation WWF anlässlich der Sitzung des Staatssekretärsausschusses eine Politik-Roadmap veröffentlicht. Diese stellt Impulse zur strategischen Positionierung der Bundesregierung vor, um die Transformation des Standorts Deutschland positiv zu begleiten und damit auch unserer Verantwortung in einem starken Europa gerecht zu werden. Die Roadmap identifiziert wichtige Themenfelder für die kommenden Jahre. So soll mit Blick auf Transparenz und Offenlegung mit Hilfe einer Klassifizierung zuerst ein gemeinsames Verständnis dafür entwickelt werden, was als nachhaltig gilt. In einem zweiten Schritt gilt es Nachhaltigkeitsaspekte transparent zu machen. So sollten etwa Verbraucher bei Finanzprodukten aller Art vor Vertragsabschluss systematisch dazu informiert werden.Dass die Politik gegenwärtig dem Zeitgeist an manchen Stellen zu sehr hinterherläuft, mag kritisiert werden. Bedauerlich wäre es aber, wenn ein wichtiges Thema einer allzu pauschalen Kritik anheimfällt. Denn es sind wichtige Schritte in einem Feld, das wesentlich zur dauerhaften Stabilität des Finanzsektors und der künftigen Entwicklung und Sicherung des Standortes beitragen wird.Eingriffe in den Markt werden in Deutschland völlig zu Recht skeptisch betrachtet. Deswegen konzentriert sich die genannte Roadmap auf die Rahmenbedingungen, die im Sinne marktkonformer, aber zukunftsfähiger und -fördernder Entscheidungen anzupassen sind. Hier stehen wir am Anfang und es ist im Moment nicht zu sehen, dass Selbstverpflichtungen und andere Instrumente aus dem Werkzeugkasten der klassischen Finanzlehre schnell genug wirken werden. Wir brauchen eine Kapitalallokation, die neben den bislang üblichen Finanzkennzahlen auch unternehmerische Strategien im Umgang mit Herausforderungen, wie eben beispielsweise dem Klimawandel, monetarisiert und betrachtet.Und wir brauchen ein Risikomanagement, das basierend auf mittel- bis langfristigen Szenarien notwendige Transformationsprozesse in den Geschäftsmodellen identifiziert. An dieser Stelle müssen entsprechende systemische Anreize der Finanzindustrie greifen. Beispielsweise sollten grundsätzlich Vergabekriterien im Rahmen von Kreditwesen und Investmentprozessen an die nachhaltige Ausrichtung der Unternehmung geknüpft werden. So können wir die Rückwirkungen von Finanzdienstleistungen auf gesellschaftlich definierte Ziele transparent machen. Ein weiterer wichtiger Punkt: Wenn wir die Nachhaltigkeitsrisiken korrekt berücksichtigen, sollten Nachhaltigkeit und Rendite nicht länger gegeneinander auszuspielen sein.Wir sehen hier auch große Chancen, die uns der Kapitalmarkt als Grundlagensystem mit einem großen Hebel und der Finanzsektor als Querschnittsindustrie eröffnen, eine tatsächlich nachhaltige Wirtschaft mit zu gestalten. Hier geht es um weit mehr als “grüne Finanzprodukte”. Der notwendige Transformationsprozess umfasst den gesamten Standort, er umfasst gerade auch die Realwirtschaft. Und er findet längst statt. Aber der Wandel ist nach allem, was wir wissen können, zu langsam. Genau da setzt die Politik-Roadmap, die von den Staatssekretären beschlossen wurde, jetzt an. Die Realwirtschaft wartet auf konkrete Leitplanken, sie fordert Transparenz und Planungssicherheit. Deutschland sollte als starker Wirtschaftsstandort hier ganz bewusst eine Vorreiterrolle spielen.Sicher ist es so, dass die jeweils beste konkrete Lösung im freien Wettbewerb gefunden werden muss. Und da kann manches am Ende ganz anders aussehen, als das im Moment vorstellbar ist. Klarer RahmenFreie Märkte benötigen klare Rahmenbedingungen. Und die resultieren aus ganzheitlichen Einschätzungen der Chancen und Risiken. Dies findet bislang nicht ausreichend Berücksichtigung. Nachhaltigkeit im Sinne der langfristigen Folgen wirtschaftlichen Handelns und daraus erfolgende Kosten nicht einzubeziehen, ist eine Marktverzerrung, die es aufzulösen gilt.Hier allein auf die Selbstregulierungskräfte der Märkte zu setzen, wird nicht ausreichen. Politische Rahmenbedingungen sind notwendig, um den Prozess voranzutreiben. Dazu zählt ein aktiver Dialog mit Brüssel und eine ambitionierte Umsetzung der dort beschlossenen Inhalte. Nur so können wir sicherstellen, dass Deutschland hier eine gestaltende Rolle einnimmt. Auch wenn es wünschenswert wäre, diese Pläne noch zügiger oder entschlossener umzusetzen, wie es die Jugendlichen jeden Freitag fordern, so stellt die Bundesregierung jetzt durchaus die richtigen Weichen.—-Kristina Jeromin, Managing Director Green and Sustainable Finance Cluster Germany e.V.; Head of Group Sustainability der Deutsche Börse AG