Fingerpointing statt Gestaltungswillen

Von Anna Sleegers, Frankfurt Börsen-Zeitung, 2.7.2020 Wer spricht was mit wem wann ab? Die neue Commerzbank-Strategie, die voraussichtlich Tausende Stellen bei der teilverstaatlichten Großbank kosten wird, hat eine verschlungene Genese. Konzernchef...

Fingerpointing statt Gestaltungswillen

Von Anna Sleegers, FrankfurtWer spricht was mit wem wann ab? Die neue Commerzbank-Strategie, die voraussichtlich Tausende Stellen bei der teilverstaatlichten Großbank kosten wird, hat eine verschlungene Genese. Konzernchef Martin Zielke und Bundesfinanzminister Olaf Scholz scheuen es gleichermaßen, die Konsequenzen aus der anhaltenden Ertragsmisere zu ziehen.Aber der Reihe nach: Bereits vor Wochen hatte Zielke für den gestrigen Mittwoch eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung einberufen, in der es um die anstehende Überarbeitung der Strategie gehen sollte. Zwar ist das Plazet des Aufsichtsrats nicht erforderlich, dennoch ist es nach übereinstimmenden Angaben von Aufsichtsratsmitgliedern in derartigen Fällen Usus, dass sie die entsprechenden Unterlagen mit ein paar Tagen Vorlauf erhalten.Die Hoffnung, das Wochenende zur Vorbereitung der Sitzung nutzen zu können, zerschlug sich jedoch am Freitagabend. Per Mail teilte Aufsichtsratschef Stefan Schmittmann im Auftrag des Vorstandsvorsitzenden mit, dass ihnen die Unterlagen noch nicht zur Verfügung gestellt werden könnten, weil die Gespräche des Vorstands mit dem Bund über die Strategiepläne noch nicht abgeschlossen seien. Auf den ersten Blick leuchtet es ein, dass sich der Vorstand mit wichtigen Investoren über weitreichende strategische Entscheidungen austauscht. Andererseits bewegt sich der sozialdemokratische Finanzminister in der Frage nach der Dimension des anstehenden Stellenabbaus auf derart dünnem Eis, dass Zielkes Erklärung für das Ausbleiben der Unterlagen in Berlin als Indiskretion, wenn nicht gar Provokation gewertet worden sein dürfte.Denn wie immer seine Reaktion auf die Zahlenreihen des Commerzbank-Vorstands ausfiele, würde sich Olaf Scholz unvermeidlich in die Nesseln setzen. Entweder, weil er mitten in der größten Wirtschaftskrise der deutschen Nachkriegsgeschichte der Jobvernichtung das Wort redet, oder aber, indem er weiterhin tatenlos zuschaut, wie Zielkes Mannschaft Steuergeld verschleudert.Scholz und seinem ebenfalls mit SPD-Parteibuch ausgestatteten Staatssekretär Jörg Kukies bleibt daher gar nichts anderes übrig, als verschwiegen im Hintergrund zu wirken. Entsprechend harsch fiel ihre Reaktion aus, als die düpierten Arbeitnehmervertreter nicht nur die Aufsichtsratssitzung kippten, sondern auch die Gespräche mit dem Bund öffentlich machten. Auf Anfrage der Börsen-Zeitung teilte die mit der Verwaltung der Commerzbank-Beteiligung betraute Finanzagentur am Mittwoch mit, dass die vom Vorstand angekündigte neue Strategie dem Bund nicht vorliege. “Der Bund achtet die Zuständigkeiten der Organe und nimmt auf geschäftspolitische Entscheidungen – auch indirekt – keinen Einfluss”, hieß es in der Stellungnahme der Finanzagentur weiter, wobei der Einschub “auch indirekt” die von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufgestellte Behauptung adressierte, dass auch der verhasste Finanzinvestor Cerberus in die Gespräche mit dem Finanzministerium einbezogen sei.Letzteres streitet auch Cerberus ab. Der Finanzinvestor will zwar mit Hilfe seines Beratungsarms einen eigenen Restrukturierungsplan für die angeschlagene Commerzbank aufgestellt haben, diesen kenne aber weder das Management noch das Finanzministerium. Eigentlich hätte er nach der Aufsichtsratssitzung nonchalant als die Alternative aus dem Hut gezaubert werden sollen. Damit muss sich Cerberus jedoch bis auf Weiteres gedulden, denn bis zum Redaktionsschluss war noch kein neuer Sitzungstermin festgezurrt.——Die Commerzbank leidet unter dem fehlenden Mut, Verantwortung zu übernehmen.——