Fintechs müssen sich nachhaltig bessern

Nur wenige Finanz-Start-ups sind voll auf ESG-Kriterien fixiert - Tomorrow will sich breiter aufstellen und Kredite vergeben

Fintechs müssen sich nachhaltig bessern

Banking betreiben und für Mensch wie Umwelt Gutes tun. Diesem Ziel haben sich bislang wenige Fintechs wie Tomorrow verschworen. Dabei kommt es zu handfesten Zielkonflikten. Die im mobilen Banking naturgemäß erforderlichen Smartphones enthalten alles andere als nachhaltig gewonnene Rohstoffe.Von Tobias Fischer, Frankfurt Auch wenn das Topthema Nachhaltigkeit in der Coronakrise ein wenig aus dem Fokus der Aufmerksamkeit geraten ist, so spielen Umwelt- und Sozialaspekte sowie die Unternehmensführung (ESG) nach wie vor eine entscheidende Rolle. Beim Blick auf Fintechs, die sich ja auf die Fahnen schreiben, die altherkömmliche Finanzindustrie umzukrempeln, zeigt sich, dass erstaunlich wenige über tatsächlich auf Nachhaltigkeit abzielende Geschäftsmodelle und Produkte verfügen.Nach Ansicht von Friederike Stradtmann, Fintech-Expertin bei Accenture, ist das Thema Nachhaltigkeit bei Finanz-Start-ups ausbaufähig: “Bei den Fintechs, die doch als Avantgarde gelten, spielt das Thema Nachhaltigkeit kaum eine Rolle.” Ausnahmen sind ihr zufolge vor allem Tomorrow, die als eine Art N 26 für nachhaltig interessierte Kunden von sich reden gemacht hat. Bekanntere Adressen seien darüber hinaus Crowddesk, Crowdinvesting-Plattform für nachhaltige Projektfinanzierungen, oder die Frankfurter Awamo, die Mikrofinanzierungen in Afrika anbietet. Frage nach der ProfitabilitätDie Herausforderung für Fintechs wie Tomorrow besteht Stradtmann zufolge vor allem darin, die eigenen, nachhaltigen Ansprüche in Einklang zu bringen mit einem einträglichen Geschäftsmodell. “Man kann natürlich Teile der Interchange-Gebühr für Aufforstung spenden, wenn aber darüber hinaus keine nennenswerten anderen Einnahmequellen existieren, stellt sich die Frage, wie profitabel das Geschäftsmodell ist. Nachhaltigkeit wird falsch verstanden, wenn sie von Profitabilität befreien soll”, sagt Stradtmann. CO2-Fußabdruck ausgleichen Tomorrow hat nach eigenen Angaben gut 25 000 Kunden und nimmt Geld bislang vor allem mit der Interchange Fee in Höhe von 0,20 % ein. Bezahlt ein Tomorrow-Kunde im Geschäft oder Café mit seiner Debitkarte, führt der Dienstleister die Gebühr an Tomorrow ab, von der das Fintech 0,07 % einbehält und 0,13 % in Klimaschutzprojekte steckt. An Einnahmen kommen seit Februar Gebühren für das Premium-Konto Tomorrow Zero in Höhe von 15 Euro pro Monat hinzu, wobei die Basisversion gratis bleibt. Premium-Kunden soll es durch ihre Beiträge, die in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern fließen, möglich sein, ihren CO2-Fußabdruck auszugleichen, wirbt Tomorrow: “Durch jedes Konto wird genau so viel CO2 vermieden, wie ein Deutscher im Durchschnitt emittiert: 11,3 Tonnen pro Jahr.” Von Investoren abhängigZum dauerhaften Überleben reicht das für die Hamburger nicht. “Wir verdienen aktuell noch nicht in nennenswertem Umfang Geld. Das Projekt Tomorrow wird von ausgewählten Impact-Investoren unterstützt, die an unsere Vision von nachhaltigem und mobilen Konto glauben”, berichtet eine Sprecherin auf Anfrage. “Aktuell erzielen wir lediglich über vereinzelte Gebühren Geld”. Dazu zählt neben der Interchange und dem Premium-Konto auch eine Gebühr, die erhoben wird, wenn ein Kunde mehr als dreimal monatlich Geld abzuheben.Um operativ schwarze Zahlen zu schreiben, will sich Tomorrow breiter aufstellen. Langfristig würden noch zwei weitere Umsatzsäulen aufgestellt, kündigt die Sprecherin an. “Zum einen arbeiten wir an weiteren Finanzprodukten – Investitionen, Versicherungen etc. -, und zum anderen werden wir zukünftig Kredite an nachhaltige Unternehmen vergeben und auch damit Geld verdienen können.”Der Bundesverband Deutsche Startups verweist, wenn es um Fintechs geht, die sich in Sachen Nachhaltigkeit hervortun, unter anderen auf Green Rocket aus Gräfelfing bei München, eine Crowdfunding-Plattform, die sich auf Unternehmen in den Sektoren Energie, Umwelt, Mobilität und Gesundheit spezialisiert hat und auf Cleanvest, eine digitale Plattform, die es Privatpersonen ermöglicht, nachhaltige Fonds auszumachen. Sie beschreibt sich als “Suchmaschine für nachhaltige Investments”. Die bisher genannten Fintechs entsprechen mit Sicherheit keiner erschöpfenden Aufzählung, doch zeigt sich, das wirklich nachhaltig aufgestellte Fintechs eher rar gesät sind.Das Beispiel Tomorrow zeigt auch, in welchen Zwiespalt junge Unternehmen geraten können, die den Anspruch hegen, die Welt zu verbessern. Durch und durch ökologisch sein zu wollen, verträgt sich derzeit noch schlecht mit mobilem Banking. Für so ziemlich jedes Smartphone sind seltene Erden und Metalle nötig, die wiederum zum überwiegenden Teil – unter anderem im Kongo — gewonnen werden, die überhaupt nicht mit sozialen, ökologischen und Governance-Kriterien in Einklang zu bringen sind. Problem KonfliktrohstoffeDer sogenannte Konfliktrohstoff Kobalt beispielsweise wird auch von Kindern in Minen unter elenden Bedingungen gefördert, nicht selten mit Todesfolge. Die Gewinnung von Rohstoffen, die im Handy benötigt werden, erfolgt unter Beimischung giftiger Stoffe wie Quecksilber, die Gewinne aus der Förderung stützen Warlords und verlängern Kriege. Intransparente Lieferketten Das Amsterdamer Unternehmen Fairphone hat sich auf die Fahnen geschrieben, nachhaltige Handys herzustellen, die frei von solchen Konfliktrohstoffen sind. So sollen beispielsweise ausschließlich Zinn und Tantal aus konfliktfreien Minen verwendet werden. Fairphone versucht, so gut es geht, die komplette Lieferkette seines Produkts offenzulegen – von den Minen bis zum fertigen Smartphone. Ein nahezu unmögliches Unterfangen. So bekannte Fairphone-Mitgründer Miquel Ballester, dass es niemals ein zu 100 % faires Handy geben werde.In der Eigenwerbung spricht Tomorrow von einer “Mission”, die es umzusetzen hat und versucht sich von anderen Anbietern durch moralische Überhöhung abzusetzen. “Seit Anfang 2019 bieten wir ein zeitgemäßes Konto für alle, die in der Hand ein Smartphone und im Inneren einen gesunden moralischen Kompass tragen”, heißt es auf der Homepage. Zwar vertreten die Hamburger ein sympathisches Geschäftsmodell und hehre Ziele, aber wollten sie den eigenen Ansprüchen voll genügen, müssten sie genau genommen den Geschäftsbetrieb einstellen. Des Dilemmas bewusstDie Macher sind sich indes des Zwiespalts bewusst. “Die Bedingungen, unter denen Bestandteile für Smartphones hergestellt sind desaströs”, erklärt die Tomorrow-Sprecherin. “Das ist fraglos und stellt uns vor ein Dilemma, denn Smartphones sind de facto fester Bestandteil unseres Alltags geworden, und sie haben unsere Realität ein Stück weit verändert.” – Wertberichtigt Seite 6