Frankreich in Zeiten des Wandels

Von der Fußballeuropameisterschaft kann ein Impuls für Aufschwung in Wirtschaft und Gesellschaft ausgehen - Ein Blick aus Deutschland auf das Gastgeberland

Frankreich in Zeiten des Wandels

Frankreich geht keinen leichten Weg. Immer wieder werden die etwas besseren Nachrichten aus der Wirtschaft überschattet durch aktuelle belastende Ereignisse und heftig geführte Auseinandersetzungen. Dabei darf die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone nach schwierigen Jahren und konjunkturellen Flauten erste Erfolge verkünden. Erste ErfolgeDie Prognose für das Bruttoinlandsprodukt steigt leicht auf 1,2 %. Die größten Industrien sind Telekommunikation, die Luftfahrt, Rüstungsgüter, der Automobilbau, die Pharmazeutik sowie die Lebensmittelbranche. Das Vertrauen der Konsumenten steigt – geschätzt um 0,4 % in diesem Jahr und sogar um 1,7 % im nächsten, trotz derzeit durchaus verhaltener Gehaltssteigerungen.Dennoch: Der Export schwächelt weiter. Deutschland zeigt sich hier als guter Nachbar. Unser Land ist aktuell Frankreichs zweitwichtigster Investor. Um die inländische Wirtschaft weiter zu fördern, leisten sich die Franzosen eine der höchsten Staatsquoten aller Industrieländer weltweit. Die negative Folge: Mehr als 2 Bill. Euro Staatsverschuldung hat das Land derzeit aufzuweisen, ein Defizit von 70 Mrd. Euro 2015 und weitere, möglichst geringere Defizite in den nächsten Jahren. Der weiterhin auf viele Jahre prognostizierte negative Trend wird also zu einer weiteren Erhöhung der Schulden führen.Präsident François Hollande agiert derzeit sehr offensiv. Er fordert eine gemeinschaftliche Initiative, um das wirtschafts- und sozialpolitische Modell seines Landes zu erneuern. Reformen sollen das Wachstum steigern, Steuereinnahmen erhöhen und die Arbeitslosigkeit reduzieren. Hier sollen staatliche Zuschüsse an kleinere Unternehmen, die einstellen, durch Einsparungen an anderer Stelle einen Auftrieb geben. Die Arbeitslosigkeit, die Ende 2015 bei 10,5 % lag, ist weiterhin eines der größeren Probleme. Die Regierung hofft auf eine Verringerung der Erwerbslosenzahl um 180 000 Personen bis Mitte 2017, dem Zeitpunkt der Parlamentswahl. Gründe hierfür sind neben der leichten wirtschaftlichen Erholung Maßnahmen, Langzeitarbeitslose aus- und weiterzubilden, um sie für den Arbeitsmarkt wieder fit zu machen. Ende der 35-Stunden-Woche?Die Arbeitslosenzahl könnte aber noch deutlich stärker sinken. Denn: Die zuständige Ministerin Myriam El Khomri hat ambitionierte Pläne, die es durchzusetzen gilt. Nicht mehr oder weniger als eine wirkliche Arbeitsmarktreform steht den Franzosen bevor. Kern dieser Reform, die aktuell durch Demonstrationen und Verweigerungshaltung vieler sehr umstritten ist: Unternehmen zu erlauben, den Kündigungsschutz zumindest etwas zu lockern sowie die Dezentralisierung bezüglich Arbeitszeit und Gehaltsverhandlung hin zu den Unternehmen voranzutreiben. Dies würde auch bedeuten, dass die 35-Stunden-Woche wackeln könnte.Die Reform, die eine fundamentale Änderung der Politik bedeuten würde, würde die Performance auf dem Arbeitsmarkt deutlich steigern. Konservative Schätzungen gehen von einer Verminderung der Arbeitslosen um 1 % innerhalb von fünf Jahren aus. Allerdings: Die Hürden, bis die Reform in Kraft treten kann, sind sehr hoch. Erste Kompromisse diskutieren alle Beteiligten bereits. Dabei wäre dieser Schritt für die Wirtschaft und damit auch für breite Bevölkerungsschichten mittelfristig wahrscheinlich vorteilhaft. Die Regierung weitet auch ein Programm für junge Arbeitslose aus: So soll die sogenannte Jugendgarantie, die Franzosen zwischen 18 und 25 einen Job oder eine Fortbildung verspricht, von bisher 46 000 auf mehr als 100 000 Plätze im Wahljahr 2017 ausgeweitet werden. Bevölkerungszahl stabilIm Gegensatz zu Deutschland und vielen anderen Ländern in Europa ist die Bevölkerungszahl in Frankreich ziemlich stabil. Zwar altert die Gesellschaft durch bessere Gesundheitsvorsorge und -forschung wie in Deutschland, aber durchschnittlich bekommen Frauen weiterhin zwei Kinder, deutlich mehr als hierzulande. Zuwanderung wird ebenso wie hierzulande auch bei diesem Thema zukünftig eine größere Rolle spielen. Belastet wird das System – also Rentenzahlungen sowie Krankenversicherung – durch das weiterhin relativ niedrige Renteneintrittsalter von 60 Jahren, so dass im Jahr 2050 wohl 32 % aller Franzosen Rentnerinnen und Rentner sein dürften.Im Vergleich zu Deutschland verfügt Frankreich über mehrere Großbanken von internationaler Bedeutung: BNP Paribas, Crédit Agricole Group und die Société Générale finden sich alle im Ranking gemäß Marktkapitalisierung unter den 20 besten Plätzen Europas. Deutschland ist dagegen nur mit einem Institut, der Deutschen Bank, vertreten. Was beide Staaten aber eint, ist das oft gescholtene, aber weiterhin funktionierende Drei-Säulen-Modell: die Caisses d’Epargnes, ähnlich den deutschen Sparkassen, die Genossenschaftsbanken, zu denen die Crédit Agricole gehört, und die Privatbanken. Digitale HerausforderungWas die Bankenszene derzeit, egal ob hier oder dort, am meisten beschäftigt, ist das Thema Digitaltechnologie und die Herausforderungen durch Fintech-Start-ups. Für die meisten Banken ist die digitale Innovation der wichtigste Punkt auf der Agenda. Es geht schon lange nicht mehr nur darum, für den Retailkunden eine gute Online- oder Internetbank zu schaffen, die einfache, gut nachvollziehbare Angebote aufzeigt, das Handling per Smartphone oder auf der Website optimiert und eine eigenständige Budgetkontrolle der Bankkunden gewährleistet.Vielmehr sind die Hauptthemenfelder der Digitalisierung der Umgang mit Big Data, der Einsatz von künstlicher Intelligenz, Cyber-Sicherheit sowie Kostenreduktion durch effiziente Technologien. Die großen französischen Banken gehen hier fast alle einen ähnlichen Weg, nämlich Aufbau eigener Kompetenzen, Kooperationen mit Fintechs, Förderung des Austausches zwischen etablierten Playern und den Newcomern in der Finanzbranche. So hat die Société Générale neben vielen weiteren Initiativen einen Technologiekomplex (Les Dunes) gebaut, der sich komplett dem Bereich Digitalisierung und seiner Innovationskraft widmet. Darüber hinaus wurde ein Digital Office in London gegründet. Kaum UnterschiedeDenn über den reinen Wissenstransfer hinaus zeigt sich derzeit die größte Herausforderung darin, wie digitale Technologien in Businessstrategien und damit in die bestehenden Geschäftsmodelle eingepasst werden. Hier unterscheidet sich die Situation in Frankreich kaum von der in Deutschland. Das sehr wettbewerbsintensive Bankenumfeld erhöht den durchaus auch positiven Druck, sich neuen Geschäftsfeldern offen zu zeigen und damit weitere Wachstumsfelder zu erschließen.Im April nächsten Jahres steht in Frankreich die Präsidentschaftswahl, im Juni die Parlamentswahl an. Aktuell erlebt Frankreich neben dem moderaten Wachstum, das in Wirtschaft und Politik, aber ebenso in der Bevölkerung für eine etwas positivere Stimmung sorgt, ein großes sportliches Thema, die Fußballeuropameisterschaft. Die EM 2016, die leider auch mit der Diskussion um Sicherheit und Terrorabwehr verbunden sein wird, unterstützt aber erfreulicherweise sehr stark dabei, dass sich die Nation wieder selbstbewusster als in den letzten Jahren zeigt.Rein wirtschaftlich betrachtet fördert die Fußballveranstaltung zudem den Tourismus und das Image des Landes – kurzfristig, aber auch längerfristig betrachtet. Jeder Teamsport, egal ob Fußball oder Rugby, hat diese Fähigkeit, Menschen über den Alltag hinaus Stolz auf die Gemeinschaft und die Nation zu vermitteln. Für Frankreich kann und sollte solch ein Impuls hoffentlich für einen weiteren Aufschwung in Wirtschaft und Gesellschaft sorgen und ebenso auch Europa wieder etwas mehr zusammenrücken lassen.—Guido Zoeller, Group Country Head Deutschland & Österreich, Société Générale