8. INVESTMENTFONDSTAGE

Fratzscher bricht eine Lanze für die EZB

DIW-Chef wirbt für Verständnis gegenüber der Notenbank - Helikoptergeld als extremes Instrument der Geldpolitik möglich

Fratzscher bricht eine Lanze für die EZB

Die EZB hat angesichts der vielen Herausforderungen vieles richtig gemacht, erklärt Marcel Fratzscher. Der Top-Ökonom hält nichts von einer Reduzierung des Inflationsziels und sieht die EZB auch noch lange nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. So hält er Helikoptergeld als neues Instrument für denkbar.amb Frankfurt – Die harsche Kritik an EZB-Chef Mario Draghi vor allem in Deutschland hält der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, für überzogen und sogar gefährlich. Kritik sei wichtig, dürfe aber nicht über das Ziel hinausschießen. “Die Kritik beschädigt die Glaubwürdigkeit der EZB, und Vertrauen ist das wichtigste Asset einer Notenbank”, sagte Fratzscher im Eröffnungsvortrag der 8. Investmentfondstage der Börsen-Zeitung in Frankfurt. Seine größte Sorge sei mittlerweile, dass die Glaubwürdigkeit der Notenbanker gelitten hat. “Ich wünsche mir die Rückkehr zu einer sachlichen Diskussion.” Wer etwa argumentiere, die EZB agiere nur im Interesse Italiens, gehe zu weit. Er sieht durchaus Parallelen zu den USA, wo Präsident Donald Trump Fed-Präsidenten Jerome Powell zum Sündenbock mache.Fratzscher versuchte, Verständnis zu wecken für das Dilemma, vor dem die EZB stehe: Das Mandat der Preisstabilität zu erfüllen und auf dem Weg dahin alle Risiken zu berücksichtigen. Er verwies etwa darauf, dass die einzelnen Notenbanken heute nicht mehr so autonom, sondern vielmehr in internationale Zusammenhänge eingebunden seien. “Klar ist jedenfalls: Inflation und Inflationserwartungen sind zu niedrig. Die EZB verfehlt ihr Mandat seit Jahren.” Daher habe sie aktiv werden müssen, wobei er sich skeptisch bezüglich der EZB-Entscheidungen von September zeigte.Abgesehen davon sieht er die EZB noch lange nicht am Ende ihre Möglichkeiten: “Man darf nie unterschätzen, was die EZB noch tun kann. Helikoptergeld ist ein extremes Instrument, kann aber nicht komplett ausgeschlossen werden.”Nach seiner Ansicht sollte die EZB an ihrem aktuellen Inflationsziel von unter 2 % festhalten und dieses – wie derzeit vielfach gefordert – nicht reduzieren. “Würde die EZB das Ziel senken, wäre das katastrophal für ihre Glaubwürdigkeit”, erklärte er. “Ein Ziel anzupassen, das man nicht erreicht, ist nicht überzeugend.” Er verteidigte das Inflationsziel, das im Übrigen, wie er erläuterte, auf Otmar Issing zurückgehe: “1 % ist zu niedrig, denn je näher man bei 0 % liegt, desto mehr Produkte sind von Preisrückgängen betroffen – mit den entsprechenden Auswirkungen für das Wachstum.”Außerdem verwies der Leiter des DIW und Professor für Makroökonomie an der Berliner Humboldt-Universität auf Messprobleme: Aufgrund der steigenden Qualität vieler Produkte – etwa Fernseher – sei die offizielle Preissteigerungsrate wohl sogar noch um rund 0,6 Prozentpunkte zu hoch. Langfristig massiv steigende Inflationsraten durch die extrem expansive Geldpolitik befürchtet er nicht: “Die EZB hat mittlerweile genügend Instrumente, überschüssige Liquidität schnell wieder einzusammeln.” Fehlentwicklung eingeräumtFratzscher wog Vor- und Nachteile der EZB-Politik ab. Als Vorteile nannte er etwa die Verhinderung schlimmerer Krisen inklusive Staatsbankrott in Spanien oder Italien, die Stabilisierung der Märkte, die – lange Zeit – große Glaubwürdigkeit und realwirtschaftliche Effekte wie ein höheres Kreditwachstum und nicht zuletzt Deutschlands enorme wirtschaftliche Dynamik in den vergangenen acht Jahren. “Mit ihrer schnellen Reaktion hat die Notenbank der Politik zudem Zeit erkauft, die von Ländern wie Spanien, Irland und Portugal genutzt wurde.” Er räumte aber auch ein, dass es Nachteile gegeben habe, etwa die Verschleppung von Solvenzproblemen und das Entstehen von Fehlanreizen.Mit der neuen EZB-Chefin Christine Lagarde gebe es nun zwar die Chance auf einen Neuanfang, allerdings sieht Fratzscher vor allem die Politik in der Pflicht. “Die Politik muss die Währungsunion vollenden und hinwirken auf eine Banken- und Kapitalmarktunion, eine begrenzte gemeinsame Fiskalpolitik – keine Fiskalunion – und gemeinsame Anleihen ohne Vergemeinschaftung von Risiken.” Die EZB sei ein “technokratisches Institut” und habe ganz klar ein Preisstabilitätsmandat – mehr nicht. Das aktuelle Umfeld hält er für ausgesprochen schwierig. “Die neuen IWF-Wachstumsprognosen sind zu optimistisch, es gab seit Lehman noch nie so viele Risiken wie heute.” Die jüngst nochmals gesenkten IWF-Wachstumsprognosen hält er für zu hoch, gerade für USA, China, EU und Japan. Besonders unterschätzt würden die Risiken in den USA, viel deute auf eine “signifikante Rezession” hin. Zehn Jahre Aufschwung habe es in der Geschichte fast nie gegeben. Trump gegen DeutschlandDeutschland werde durch den Handelskonflikt schon jetzt belastet, das Land befinde sich bereits in einer technischen Rezession. “Und bald wird sich Trump Deutschland als nächsten Gegner vornehmen.” Auch die Risiken durch den Brexit, die Lage in Italien und den zwischenzeitlich höheren Ölpreis würden vom IWF ignoriert.