Freisprüche ohne Rechtsfehler
Dass die Mühlen der Justiz in Deutschland langsam mahlen, kann als bekannt gelten. Dass sie im Wirrwarr zivil- und strafrechtlicher Auseinandersetzungen auch einmal 17 Jahre lang mahlen können, bis ein höchstrichterliches Urteil ergeht, zeigt der Komplex Kirch und Staatsanwälte versus Deutsche Bank.Von Bernd Wittkowski, Frankfurt4. Februar 2002: Bloomberg TV sendet ein Interview mit Rolf Breuer. Und der Vorstandssprecher der Deutschen Bank sagt einen Satz, der in die Wirtschaftsgeschichte eingehen wird: “Was alles man darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen.” Es geht um den Medienkonzern Kirch. Tatsächlich war etwa in der Börsen-Zeitung am 26. Januar 2002 zu lesen gewesen, dass seit Herbst 2001 von “Finanzschwierigkeiten” der Kirch-Gruppe die Rede sei und dass Anfang 2002 manche schon das Wort “Insolvenz” in den Mund genommen hätten. “Erschossen hat mich der Rolf”Doch Leo Kirch, der zwei Monate später Insolvenz anmelden musste, sah den Auslöser für den Untergang seines angeschlagenen Film- und Fernsehreichs in Breuers Interview. “Erschossen hat mich der Rolf”, sagte der 2011 verstorbene Medienunternehmer. Es begann eine nahezu unüberschaubare Serie zivil- und strafrechtlicher Auseinandersetzungen, die Legionen von Juristen ein auskömmliches Einkommen bescherte und nun 17 Jahre und neun Monate später ein (vorläufiges?) Ende findet.Gemäß Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Donnerstag sind Breuer sowie seine Nachfolger an der Spitze der Deutschen Bank, Josef Ackermann und Jürgen Fitschen, rechtskräftig vom Vorwurf des versuchten Prozessbetruges freigesprochen worden (Aktenzeichen 1 StR 219/17). Die höchsten deutschen Strafrichter in Karlsruhe – die dortige Filiale der Deutschen Bank war übrigens 1966 die erste Station auf Breuers Berufsweg nach den juristischen Staatsexamina – bestätigten damit ein entsprechendes Urteil des Landgerichts München I vom April 2016 und verwarfen die dagegen gerichtete Revision der Münchener Staatsanwaltschaft als unbegründet. Rechtskraft erlangte beim BGH zugleich der Freispruch der Deutschen Bank als Nebenbeteiligten, gegen die die Vorinstanz, anders als von der Anklagebehörde gefordert, keine Geldbuße aufgrund von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ihrer Vorstandsmitglieder verhängt hatte.Die Strafverfolger hatten den ursprünglich fünf persönlich Angeklagten – neben den drei Genannten auch die vormaligen Bankvorstände Clemens Börsig und Tessen von Heydebreck – zur Last gelegt, in einem Zivilprozess in der Causa Kirch beim Oberlandesgericht (OLG) München “bewusst falschen Sachvortrag in Anwaltsschriftsätzen veranlasst bzw. nicht unterbunden sowie auf Befragen (…) unwahre Angaben gemacht zu haben”. Aufgrund eines gemeinsamen Tatplans hätten sie hierdurch – im Ergebnis erfolglos – erreichen wollen, dass Kirchs an die Insolvenz anknüpfende Schadenersatzklage abgewiesen wird. Gegen die Angeklagten waren 2016 Freiheitsstrafen von bis zu dreieinhalb Jahren beantragt worden. “Blinder Verfolgungseifer”Doch in dem Prozess beim Landgericht, der sich auf 35 Verhandlungstage, verteilt über ein Jahr, erstreckte, erwiesen sich die Anschuldigungen als weit hergeholt. Es habe keine Verschwörung zur Falschaussage gegeben, konstatierte der Vorsitzende Richter Peter Noll. Ein Terabyte Akten habe seine Kammer ausgewertet, und “man hat nicht eine einzige Mail, eine einzige Notiz gefunden, wo irgendeine Absprache dringestanden ist”. Schon vor den Freisprüchen hatte er erklärt, die Argumentation der Staatsanwaltschaft “lässt jede Auseinandersetzung mit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vermissen”. Breuer-Verteidiger Norbert Scharf erkannte damals “blinden Verfolgungseifer” der Ankläger.Wie der BGH nun ausführte, enthält das von der Staatsanwaltschaft angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler – nur das wird in der Revisionsinstanz geprüft. Das Landgericht habe sorgfältig und eingehend begründet, weshalb es von der Schuld der Angeklagten nicht überzeugt war. Die Beweiswürdigung sei tragfähig, und die Entscheidungsgründe wiesen keine Widersprüche, Lücken oder falschen rechtlichen Begründungsansätze auf.Die Deutsche Bank begrüßte laut Agenturberichten das BGH-Urteil. “Wir haben stets zum Ausdruck gebracht, dass wir den Vorwurf des Prozessbetruges nicht für begründet halten”, wurde ein Sprecher des Instituts zitiert. Umso mehr erscheint unverständlich, warum die Bank dann 2014 auf der zivilrechtlichen Ebene einen für sie alles in allem rund 1 Mrd. Euro teuren Vergleich mit den Kirch-Erben schloss, um vermeintlich einen Schlussstrich unter die ganze Chose zu ziehen. Wenige Monate später folgte die strafrechtliche Anklage, über die am Donnerstag rechtskräftig geurteilt wurde.