Freiwilliges Libor-Regime wackelt

Britische Regierung und Wheatley-Review deuten staatliche Regulierung an

Freiwilliges Libor-Regime wackelt

Die britische Regierung zeigt sich entschlossen, den manipulationsanfälligen Libor auf eine neue Grundlage zu stellen. Dabei wird es wohl zu einer staatlichen Regulierung kommen.Von Peter Rásony, LondonDie Tage des wichtigsten Referenzzinssatzes der Welt in der bisherigen Form sind gezählt. Die vom britischen Schatzkanzler George Osborne eingesetzte Überprüfung der London Inter-Bank Offered Rate(Libor) durch den stellvertretenden Chef der britischen Finanzaufsicht, Martin Wheatley, hat am Freitag in London Optionen zur Reform präsentiert. Wheatley ließ dabei keinen Zweifel, dass der Libor sich ändern müsse. Der schwere Schaden, den das Vertrauen in den Zinssatz durch die Ende Juni bekannt gewordenen Manipulationen bei der britischen Großbank Barclays und mutmaßlich mindestens einem Dutzend weiterer Institute genommen habe, schließe eine unveränderte Fortführung der Art und Weise, wie der Zinssatz ermittelt werde, aus.Der Staatssekretär im Schatzamt, Mark Hoban, wurde gar noch deutlicher. Er versicherte, die Regierung werde den Regulierungsbehörden die notwendigen Kompetenzen verleihen, um in Zukunft eine Manipulation des Zinssatzes zu verhindern. Bisher hat die Finanzaufsicht FSA gar keine Kompetenzen in diesem Bereich. Es wird also mit Sicherheit zu einer Ablösung des Regimes kommen, das heute auf der Selbstregulierung durch den Britischen Bankenverband bzw. die an der Libor-Ermittlung freiwillig beteiligten 24 Banken gründet.Die Einschätzung Wheatleys und der Regierung ist nachvollziehbar. Der in den 1980er Jahren mit der großen britischen Finanzmarkt-Liberalisierung eingerichtete Libor basierte auf einer Vereinbarung der führenden City-Banken, die mit der Teilnahme an den Libor-Panels einen freiwilligen Beitrag leisteten, um den Referenzzinssatz jeden Morgen um elf Uhr zu bestimmen. Daraus zogen alle einen Nutzen. Heute ist der Libor für zehn Währungen und 15 Laufzeiten weltweit Grundlage der Preisgestaltung von Finanzinstrumenten im Volumen von mindestens 300 Bill. Dollar.Doch solche freiwillige Vereinbarungen basieren auf einem gemeinsamen Verständnis moralischer Rechte und Pflichten. Die Voraussetzung mochte in früheren Zeiten, als sich Londons Banker noch in den Gentleman-Clubs der City trafen, eher erfüllt gewesen sein. Die Anonymisierung und Globalisierung der Finanzmärkte und die nicht endende Serie von Bankskandalen in der City haben jedoch gezeigt, dass diese Grundlage nicht mehr gegeben ist. Das Vertrauen ist unwiederbringlich zerstört. Auch wenn die Stoßrichtung der Reform zu mehr staatlicher Regulierung und Aufsicht vorgezeichnet erscheint, so sind die Details alles andere als klar. Das macht das von Wheatley vorgelegte Papier deutlich, das Ende September, nach Abschluss einer Vernehmlassung, zu konkreten Vorschlägen führen soll.Das Wheatley-Papier regt an, dass die Eingaben der Banken so weit wie möglich durch Transaktionsdaten ergänzt und auf ihre Plausibilität überprüft werden. Eine komplette Ersetzung der Schätzungen sei aber schwierig, da nicht immer genügend Transaktionsdaten zur Verfügung stünden und geringe Volumen auch zu Manipulationen einladen. Deshalb spricht Wheatley zusätzlich die Möglichkeit an, die zur Ermittlung des Libor betrachteten Geschäfte breiter zu fassen und die Zahl der Referenzsätze zu reduzieren, um jene mit sehr geringen Volumen auszuschließen. Angeregt wird auch, die Eingaben der einzelnen Banken anonym zu halten, um den während der Finanzkrise zum Tragen gekommenen Anreiz zur Vermeidung einer Stigmatisierung einzelner Häuser auszuschließen. Zudem könnte die Zahl der beteiligten Banken ausgeweitet werden, um das Gewicht einzelner Manipulationen zu verringern. Auf Seiten der staatlichen Regulierung, welche die praktisch nicht vorhandene Selbstregulierung ersetzen dürfte, stellt sich die Frage, ob das Libor-Regime künftig der normalen Bankenregulierung unterstellt werden soll oder ob ein eigenes Aufsichtsregime formuliert werden soll. Wheatley zeigt sich besorgt über die mit einer stärkeren Aufsicht steigenden Kosten und den geringen Nutzen für die einzelnen Banken, weshalb er die Notwendigkeit einer Zwangsteilnahme erwägt.