Für Vielfalt und Wahlfreiheit - auch bei Wertpapieren

Kein Wohlstand ohne Risiko - Produktverbote sind ein Irrweg - Transparenz ist Anlegerschutz, der dem Investor wirklich nützt

Für Vielfalt und Wahlfreiheit - auch bei Wertpapieren

Anlegerschutz hat in Deutschland und Europa einen hohen Stellenwert. Über die Frage, wie man Anleger wirksam schützen kann, gibt es jedoch gegensätzliche Ansichten. Während sich die einen für Produkttransparenz starkmachen, setzen andere auf Produktverbote und nehmen in Kauf, dass sie damit die Wahlfreiheit der Anleger einschränken und marktwirtschaftliche Grundprinzipien aushebeln.Nach Auflösung des Warschauer Pakts und nach dem Desaster, das die Planwirtschaft in diesen Ländern angerichtet hatte, glaubten ja viele, die Marktwirtschaft habe ihre Überlegenheit bewiesen und werde zukünftig nicht mehr in Frage gestellt. Das ist leider ein Irrtum. Die marktwirtschaftliche Ordnung wird zwar nicht als Ganzes in Frage gestellt, aber sozialistisch-planwirtschaftliche Ideen sind wieder auf dem Vormarsch. Manche kommen auf leisen Sohlen, andere sind unüberhörbar. Das gilt auch für die Regulierung, wo im Namen des Anlegerschutzes immer mehr populistische Vorschriften erlassen werden, die die Vielfalt des Produktangebots und die Wahlfreiheit des Anlegers einschränken.Alle wichtigen politischen Entscheider in Deutschland sind sich einig in dem Ziel, den Wohlstand der Bürger zu sichern und zu mehren. Sie wollen den gesetzlichen Rahmen so ausgestalten, dass die Bürger Vermögen aufbauen und insbesondere für ihr Alter selbst vorsorgen können. Dies geht bei der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) aber nur, wenn die Bürger in nennenswertem Umfang in Wertpapiere investieren. Doch schon hier gibt es die ersten politischen Irrlichter.Unter dem Motto “Bloß kein Risiko eingehen!” warnen selbsternannte Finanzexperten vor dem Kauf von Aktien oder Zertifikaten und raten den Anlegern, in schlecht verzinste Staatspapiere zu investieren, da diese ja so sicher seien. Nachdem die Inflation wieder Fahrt aufgenommen hat, heißt das nichts anderes als Vermögensvernichtung. So werden diejenigen, die absolute Sicherheit propagieren, selbst zum größten Sicherheitsrisiko für den Privatanleger. Kluge Politiker und Anlegerschützer hingegen wissen, dass nur Wertpapiere mit überschaubaren Risiken mittel- und langfristig gute Chancen bieten, Vermögen aufzubauen und fürs Alter vorzusorgen. Vieles liegt im ArgenLeider liegt bei der Wertpapierkultur in Deutschland vieles im Argen. Dabei sind die Voraussetzungen ausgezeichnet. Nirgendwo in Europa ist die Vielfalt der Wertpapiere so groß wie in Deutschland. Die Anleger können aus einem riesigen Produktuniversum an Aktien, Anleihen, Fonds oder Zertifikaten auswählen. Gleichzeitig gibt es eine ganze Reihe von praxiserprobten Bewertungsinstrumenten und Orientierungshilfen, die den Anleger sicher durch die Produktlandschaft zu einem für ihn geeigneten Wertpapier führen. Anstatt aber die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass dem Anleger der Zugang zu diesen Wertpapieren er-leichtert wird, ist häufig das Gegenteil der Fall.Was ist der Grund dafür? Ganz einfach: Vielen dieser gut gemeinten Maßnahmen liegt ein paternalistisches Menschenbild zugrunde und nicht eines, das für eine freiheitliche Gesellschaft kennzeichnend ist. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung entscheiden mündige Verbraucher im Sinne der Konsumentensouveränität eigenständig darüber, welche Produkte sie kaufen. Speziell bei Wertpapieren entscheiden sie selbst, welche Risiken sie einzugehen bereit sind.Dieses Zutrauen in die Menschen haben viele Anlegerschützer und Politiker nicht. Sie halten den Anleger vielfach für unmündig oder unfähig, sinnvolle Entscheidungen zu treffen, und nutzen den gesamten regulatorischen Instrumentenkasten, um den Anleger vor Fehlinvestitionen zu schützen. Ihr Leitbild ist der hilfsbedürftige und unselbständige Verbraucher, der weder fähig noch bereit ist, sein Geld vernünftig anzulegen und der deshalb vor der bösen Finanzbranche geschützt werden muss. Sie fühlen sich moralisch überlegen, da ihr Handeln auf das vermeintliche Wohl der Anleger ausgerichtet ist, und sie fühlen sich geistig überlegen, da sie ja besser als der Anleger selbst wissen, was gut für ihn ist.Nun sind liberale Marktwirtschaftler, die sich am Leitbild des mündigen Verbrauchers orientieren, nicht blauäugig. Sie wissen, dass dieses Leitbild an eine wichtige Voraussetzung geknüpft ist, nämlich an die Produkttransparenz. Denn hier gilt der allgemeine Grundsatz: Jeder Anleger sollte nur das Wertpapier kaufen, dessen wesentliche Eigenschaften er auch wirklich kennt. Dafür aber muss das Produkt transparent sein. Sich ausreichend zu informieren, ist eine Holschuld des Anlegers, das Wertpapier transparent und verständlich zu beschreiben, ist hingegen eine Bringschuld des Emittenten und des Wertpapierverkäufers. Weniger ist häufig mehrTransparenz ist damit der Königsweg des Anlegerschutzes. Alle Regulierungsmaßnahmen der nationalen und europäischen Gesetzgeber und der entsprechenden Aufsichtsbehörden sollten sich also darauf konzentrieren, die Verständlichkeit und die Transparenz der Wertpapiere sicherzustellen. Ob ein Wertpapier transparent ist oder nicht, lässt sich im Übrigen mit objektiven Kriterien überprüfen. Schön wäre es auch, wenn die Politik dabei die neuesten Erkenntnisse der Verhaltensforschung berücksichtigen würde. Es kommt nämlich auf die Qualität und nicht auf die Quantität der Information an. Weniger ist hier häufig mehr.Die deutschen Produktinformationsblätter, die auf drei Seiten die Funktionsweise und alle wesentlichen Merkmale eines Wertpapiers beschreiben, haben den Praxistest bestanden und sind eine wichtige Orientierungshilfe. Hingegen kann niemand ernsthaft erwarten, dass sich ein Anleger durch einen mehrhundertseitigen Wertpapierprospekt wühlt. Außerdem hängt die Verständlichkeit ganz erheblich von der Darstellungsform ab. So sind Indikatoren, die beispielsweise das Risiko, die Kosten und die Performance eines Finanzproduktes beschreiben, in der Regel sehr viel besser verständlich als narrative Darstellungsformen. Hier bringen sich der Deutsche Derivate Verband (DDV) und sein wissenschaftlicher Beirat intensiv ein und begleiten den regulatorischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess auf europäischer Ebene mit vielen konkreten Vorschlägen.Leider geht die Entwicklung in einigen europäischen Ländern in eine ganz andere Richtung. Anstelle der Produkttransparenz tritt vielfach das Produktverbot. Die europäische Aufsichtsbehörde ESMA wird im Rahmen von MiFid II ermächtigt, Produktverbote auszusprechen, und auch die deutsche Aufsicht verfügt inzwischen über dieses scharfe Schwert, das nach eigenem Bekunden nicht ungenutzt in der Ecke stehen und verrosten soll. Doch während in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit diesem Instrument letztlich recht umsichtig umgeht, nimmt die Verhängung von Produktverboten in Ländern wie den Niederlanden oder Belgien inzwischen richtig Fahrt auf.Was können ein Verband wie der DDV und seine Mitglieder in dieser Situation tun? Die beste Alternative ist sicherlich, im Rahmen der Selbstregulierung deutlich zu machen, wie vernünftige Spielregeln aussehen können, die den Anleger wirklich schützen und ihn nicht in seiner Wahlfreiheit beschränken. Transparenz ist dabei das A und O.Für die deutsche Zertifikatebranche besteht hier kaum mehr Handlungsbedarf, denn in Sachen Transparenz haben die Zertifikateemittenten ihre Hausaufgaben gemacht und inzwischen wichtige Branchenstandards gesetzt: die Produktklassifizierung in Form der Derivate-Liga, die Festlegung der einheitlichen Fachbegriffe, die Muster-Produktinformationsblätter für alle Zertifikatetypen, aussagekräftige Risikokennzahlen für nahezu alle Zertifikate, die Zertifikate-Tests, um dem Anleger die Auswahl eines Zertifikats zu erleichtern, die Zertifikate-Indizes, mit denen sich die Branche dem Leistungsvergleich mit anderen Finanzprodukten stellt, und schließlich der Fairness Kodex, der für die Zertifikateemittenten ein Höchstmaß an Produkt- und Kostentransparenz festschreibt.Im Ringen um die Frage, wie man wirksamen Anlegerschutz gestalten soll, haben sich der Deutsche Derivate Verband und seine Mitglieder klar positioniert: Produktverbote sind ein Irrweg. Sie schränken die Produktvielfalt und die Wahlfreiheit der Anleger unnötig ein. Produkttransparenz hingegen ist Anlegerschutz, der dem Anleger auch wirklich nützt.—Hartmut Knüppel, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Derivate Verbands (DDV)